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Wie KI schon heute die Medizin der Zukunft prägt

Algorithmen und Software-Intelligenz haben einen großen Einfluss auf unser Leben. Fünf konkrete Beispiele aus dem Bereich Healthcare.

Schuld ist am Ende vielleicht Stanley Kubrick: In seinem Science Fiction-Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ hatte der Supercomputer HAL 9000 das Kommando über das Raumschiff Discovery One übernommen und alle Besatzungsmitglieder getötet. Bis heute prägt solch ein Szenario häufig die Vorstellung von Künstlicher Intelligenz (KI).

KI als Science Fiction-Technologie, als komplexes Phänomen, das viel eher Ängste als Hoffnungen weckt? Das ist heute längst nicht mehr so. Viele Fachbereiche nutzen die technik- und algorithmenunterstützte Arbeit seit einiger Zeit im Alltag. Ein Beispiel ist das Gesundheitswesen. Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind vielfältig – und die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen komplex. Einzelne Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt werden genauso neue Herausforderungen lösen müssen, wie die Mitarbeiter, die künftig mit neuen Anforderungen konfrontiert sind.

1. KI macht Operationen effizienter und mindert Komplikationen

KI-Algorithmen analysieren Patientendaten und unterstützen den Arzt anschließend während einer Operation bei der konkreten Steuerung von OP-Instrumenten: Die Harvard Business Review berichtet, dass dies bereits in der orthopädischen Chirurgie in Erprobung war. In neun US-Bundesstaaten wurde eine Pilotstudie mit 379 Patienten durchgeführt. Das Ergebnis: Im Vergleich zu komplett selbständig operierenden Ärzten lag die Zahl der Komplikationen bei Operationen mit KI um das Fünffache niedriger.

2. KI bringt medizinische Versorgung in Problemregionen

Das US-Magazin The Atlantic hat nachgezählt: Allein in den vier Schulungskrankenhäusern auf der Longwood Avenue, einer Straße in Boston (USA), arbeiten mehr Radiologen als in ganz Westafrika. Während es in einem Krankenhaus auf der Longwood Avenue 126 Radiologen gibt, sind es in Liberia nur zwei.
Von KI unterstützte Telepathologie kann Versorgungslücken in den betroffenen Regionen schließen. In dem Pilotprojekt „Partners for Cancer Diagnosis and Treatment in Africa“ werden Krebsspezialisten aus den USA mit denen in Kliniken in Botswana, Haiti, Lesotho, Liberia, Ruanda und Swaziland verbunden. Im ostafrikanischen Ruanda haben die Mediziner bereits erfolgreich bei der Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen geholfen. Das Programm wurde 2015 von der American Society of Clinical Pathology (ASCP) und der Clinton Health Access Initiative ins Leben gerufen.

3. KI erkennt, wenn Anrufer bei einem Notruf Herzprobleme haben

Ein Beispiel aus Dänemark zeigt, wie Algorithmen Einfühlungsvermögen simulieren: Zwar geht in dortigen Notrufzentralen noch ein Mensch ans Telefon, doch im Hintergrund hört „Corti“ mit, eine Künstliche Intelligenz. Sie analysiert die Wörter und den Tonfall der Anrufer sowie die Hintergrundgeräusche. Dabei nutzt „Corti“ maschinelles Lernen: Die Technologie wird stetig besser, je mehr Fälle sie analysiert.

KI-Diagnose
Sekunden braucht Künstliche Intelligenz, um Herzprobleme zu erkennen.

Die Software des dänischen Start-ups Corti konnte in 93 Prozent der Fälle korrekt einen Herzstillstand diagnostizieren, bei menschlichen Notruf-Mitarbeitern lag diese Quote bei 73 Prozent. Ein weiterer Vorteil: Die Software brauchte für ihre Analyse im Schnitt 48 Sekunden und damit mehr als eine halbe Minute weniger als Menschen. Die Software gilt als sinnvolle Unterstützung für Menschen in einem sehr anspruchsvollen Job, berichtet Bloomberg.

4. KI standardisiert Verwaltungsaufgaben

Bürokratische Aufgaben sind eine hohe Zusatzbelastung und benötigen viel Zeit. Zeit, die dann wiederum für die tatsächliche Behandlung und den Austausch mit den Patienten fehlt. Das ist eine der häufigsten Klagen von Ärzten und Pflegern. KI kann hier gleich mehrfach helfen, schreibt Venture Beat. Behandlungsprotokolle lassen sich mithilfe von KI einfacher transkribieren und intelligent gesteuerte Erfassungsmasken vereinfachen die Dokumentation der Fälle. Auch die Analyse von Abrechnungsdaten kann mit KI effizienter umgesetzt werden.

5. KI wertet 3D-Scans schneller aus

 

Chirurgen, die mit 3D-Scans arbeiten, haben häufig ein Problem: Es kann bis zu zwei Stunden dauern, um beim Vergleich der Aufnahmen Unterschiede festzustellen. Beispielsweise bei Tumorbehandlungen kann dieser Zeitraum bereits kritisch sein.

 

Unter Leitung von Forschern am MIT in Boston (USA) haben Wissenschaftler einen lernenden Algorithmus entwickelt, der 3D-Aufnahmen bis zu 1.000 Mal schneller als bisher vergleichen kann. Dafür „lernt“ der Algorithmus zunächst, die Scans übereinanderzulegen und sinnvoll zu vergleichen. Anschließend kann er rund eine Million 3D-Pixel, sogenannte Voxel, in kurzer Zeit auf Unstimmigkeiten überprüfen.

 

Das Pilotprojekt hat sich mit Hirn-Scans beschäftigt, an einer Ausweitung auf weitere Organe wird laut dem Blog engadget bereits gearbeitet. So könnte beispielsweise die Behandlung nach Lungen- oder Herz-Operationen verbessert werden.

 

Unverzichtbar: Medizinische Anwendungsfelder erfordern spezielle Regulierung

All diese Anwendungsmöglichkeiten benötigen eine international abgestimmte Regulierung. Besonders im Medizinbereich mehren sich Stimmen, die Grenzen für die KI-Programmierung fordern und auf die Notwendigkeit einer anerkannten Digital-Ethik hinweisen. Daran wird berufsrechtlich und behördlich auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene gearbeitet.

Die medizinprodukterechtliche Zertifizierung oder arzneimittelrechtliche Zulassung von KI, die selbstständig Entscheidungen trifft, ist aktuell noch nicht abgeschlossen. Erste Anhaltspunkte liefern die „10 Gebote“ der Robotik-Richtlinie des EU-Parlaments.

Sie beschreiben unter anderem, dass Roboter künftig menschliche Fähigkeiten stets nur ergänzen, nicht aber ersetzen dürfen. Außerdem sollen sie jederzeit von Menschen kontrollierbar sein und in einer Blackbox sämtliche Entscheidungen speichern, sowie einen Ausklinkmechanismus besitzen, den sogenannten „Kill-Schalter“.

Zehn Regeln des EU-Parlaments zum Umgang mit den Risiken intelligenter Roboter

  1. Es soll eine EU-Agentur für Robotik und Künstliche Intelligenz geschaffen werden.
  2. Es soll ein umfassendes EU-Registrierungssystem für fortschrittliche Roboter geschaffen werden.
  3. Roboter sollen in den Dienst der Menschheit gestellt sein.
  4. Roboter sollen menschliche Fähigkeiten ergänzen, nicht ersetzen.
  5. Roboter sollen als Roboter zu erkennen sein, wenn sie mit Menschen interagieren.
  6. Roboter sollen jederzeit vom Menschen kontrollierbar sein. Es soll maximale Transparenz bei der Programmierung der Robotiksysteme sowie Vorhersehbarkeit des Roboterverhaltens vorgeschrieben werden.
  7. Roboter sollen mit einer "Blackbox" ausgestattet sein, in der die Daten über jede von der Maschine ausgeführte Aktion - einschließlich der logischen Abfolgen, die zu etwaigen Entscheidungen geführt haben - gespeichert sind. Die Entscheidungsfindungsschritte des Roboters für die Rekonstruktion und Rückverfolgung sollen zugänglich sein.
  8. Roboterhandlungen sollen umkehrbar sein, um es Nutzern zu ermöglichen, unerwünschte Handlungen rückgängig zu machen und in die "gute" Phase ihrer Arbeit zurückzukehren.
  9. In Roboter sollen Ausklinkmechanismen ("Kill-Schalter") integriert sein.
  10. Der für Roboter geltende ethische Leitrahmen soll auf den Grundsätzen der Benefizienz, der Schadensverhütung, der Autonomie und der Gerechtigkeit beruhen. Er soll darüber hinaus auf den in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EU) und in der Charta der Grundrechte der EU verankerten Grundsätzen und Werten, auf anderen, dem Unionsrecht zu Grunde liegenden Grundsätzen und Werten sowie auf bestehenden ethischen Praktiken und Regelwerken beruhen.









Konkret bedeutet das beispielsweise, dass nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht nur Software zum Betrieb von Medizinprodukten als Medizinprodukt gilt und daher medizinprodukterechtlich zu zertifizieren ist. Dieselbe „Software as Medical Device“-Einstufung gilt auch für Programme, die für Diagnose- und Therapie-Entscheidungen herangezogen werden.

Regulierung von KI wird damit zu einer wichtigen Rechtsaufgabe. Daraus folgen auch neue Aufgaben für Juristen. Diese müssen sich künftig nicht nur mit regulatorischen Fragen auseinandersetzen, sondern auch bei technischen Neuerungen auf dem neuesten Stand bleiben. 

Fazit

Viele Beispiele und Pilotprojekte zeigen, wie Künstliche Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen Diagnosen, Therapien und Verwaltungsaufgaben verändert. KI unterstützt beispielsweise Ärzte während Operationen, wertet selbstständig Patientendaten aus oder erkennt, wenn ein Anrufer bei einem Notruf Herzprobleme hat. Für Gesetzgeber, die Gesundheitsbranche und Unternehmen ergeben sich dadurch neue Anforderungen für die Regulierung und Zulassung von Medizinprodukten. 

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