7 Minuten Lesezeit 4 März 2024
Geschäftsleute, die in grünen Büroräumen arbeiten

Wie Fähigkeiten und Führung die grüne Transformation unterstützen

Autoren
Kim Sandy Eichler

Consultant, PAS, EY Consulting GmbH | Deutschland

Gründerin des EY Women Network Germany; ESG-Enthusiastin; leidenschaftliche Verhaltenswissenschaftlerin; genießt gerne ein gutes Restaurant und eine Runde Tennis

Alessa Münch

Director, People Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Langjährige Erfahrung in der Durchführung von Veränderungs-, Kommunikations-, Kulturentwicklungs- und Lernprogrammen; stolze Mutter von zwei Töchtern und passionierter Foodie.

7 Minuten Lesezeit 4 März 2024

Eine nachhaltige Transformation ist unumgänglich. Externe Regulatorik setzt Maßstäbe, aber wahre Veränderung erfordert interne Umstellungen.

Überblick

  • Unternehmen müssen Nachhaltigkeit als Selbstverständnis etablieren und die Fähigkeiten sowie das Führungsverhalten ihrer Belegschaft entsprechend anpassen.
  • „Grüne Skills“ sind gefragter denn je.

Die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit in den Kern jedes Unternehmens zu integrieren, ist unausweichlich. Die Liste an bedeutsamer Regulatorik wächst schier unaufhaltsam: angeführt von Initiativen wie dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) über ESG-Richtlinien (Environmental, Social, Governance) und die EU-Taxonomie bis hin zu den European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die klare Maßstäbe für Unternehmen setzen. Der Druck steigt. Doch weit über diese externen Vorgaben hinaus erfordert die Transformation hin zu Nachhaltigkeit auch interne Veränderungen – von Fähigkeiten bis hin zum Führungsverhalten –, um eine Wirkung zu erzielen, die wortwörtlich nachhaltig ist. Denn eine Regulatorik und eine Strategie sind immer nur so gut, wie sie gelebt und umgesetzt werden. Das entscheidende Glied in der Kette? Der Mensch!

Nachhaltige Entwicklung: grüne Brille statt rosarot?

Wir möchten einmal mutig sein und uns einer nachhaltigen Traumwelt hingeben: einer Welt, in der eine Nachhaltigkeitstransformation über alle Dimensionen hinweg erfolgreich gelungen ist, eine Veränderung, die auf der einen Seite drastisch und utopisch erscheint, auf der anderen Seite jedoch zum Umdenken anregt.

Fangen wir mit dem an, was die meisten mit einer nachhaltigen oder „grünen“ Arbeitswelt assoziieren. Ein Blick in die Presse lohnt sich. Denn hier finden sich schnell emotionalisierte Artikel, die zum Teil auch zum Schmunzeln anregen, etwa über den revolutionären Aufstieg des Veganismus als Bedrohung für die deutsche Kantine oder erfrischende Kolumnen, die die Fahrradkultur hochleben lassen und dabei auf nachhaltige Geschenkideen verlinken, die laut Corporate nun en vogue sind. Zugegeben, hier wurde bewusst frech und überspitzt formuliert. Aber ist nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in diesen Zeilen enthalten? Anders gefragt: Woran denken Sie, wenn Sie an die Nachhaltigkeit Ihres Unternehmens denken? Geht es um operative Tätigkeiten und Geschäftsmodelle oder doch eher nur um die Aufforderung, bitte das Licht vor Verlassen des Bürogebäudes auszuschalten?

Selbstverständlich hat sich in den vergangenen Jahren viel Positives getan, dennoch scheinen die CSR-Abteilung und das Nachhaltigkeitsteam oftmals eine Silofunktion zu sein, die ihr unerlässliches Fachwissen nicht vollends in die Organisationsstrukturen streuen können, wie es notwendig wäre. Der Grund? Nachhaltigkeit ist viel zu oft nur ein „Projekt“, ein „Bericht“ oder eine „Tick-the-Box-Aufgabe“ und weniger Treiber eines holistischen Wandels, der den Menschen bei der Arbeit in die Verantwortung nimmt und ein Umdenken forciert.

Nachhaltigkeit ist in vielen Unternehmen häufig nur ein „Projekt“, ein „Bericht“ oder eine „Tick-the-Box-Aufgabe“ und weniger Treiber eines holistischen Wandels, der den Menschen in die Verantwortung nimmt und ein Umdenken forciert.

Setzen wir dazu doch einmal die „grüne Brille“ auf und blicken auf ein vermeintlich ideales Zukunftsbild: Das Unternehmen hat sein Geschäftsmodell umgestellt und setzt nun auf Zirkularität. Die Umsetzung der CSRD-Anforderungen erfolgt fließend und die dafür notwendigen Daten werden automatisiert gewonnen und überprüft, sodass auch das Risikomanagement- und das interne Kontrollsystem auf ESG-bezogene Risiken holistisch eingehen. Zudem sind diverse Nachhaltigkeitsthemen wie zum Beispiel Sustainable Finance oder nachhaltige Lebensmittelketten Teil des interaktiven Pflichtcurriculums. Auch die HR-Abteilung und damit der Bereich Learning & Development hat Nachhaltigkeit neu gedacht und zum festen Bestandteil des Employee Lifecycle gemacht. Was ist am besten daran? Es ist die Belegschaft, die Teil des Umdenkens ist und durch ihr Verhalten dazu beiträgt, dass Nachhaltigkeit eben nicht nur ein Projekt ist, sondern ein tagtägliches Selbstverständnis. Letztlich wird auch der Mensch als Glied der Nachhaltigkeitskette verstanden und folglich so im Beruf eingesetzt, dass er sich täglich regenerieren kann und nicht ausbrennt. Auch dem psychischen und physischen Wohlbefinden kommt in der grünen Idealwelt ein höherer Stellenwert zu. Die Work-Life-Balance wird nicht länger belächelt, sondern die Arbeitsumgebung wird so ausgerichtet, dass sie die Balance zwischen Mensch, Umwelt und Unternehmen begünstigt.

Reporting-Fokus statt eines frühen Muts zu Weitblick?

Zugegeben: Die beschriebene grüne Idealwelt klingt in der Realität von heute noch utopisch. Aber ist sie wirklich so unerreichbar? Oftmals sind es die vermeintlich kleinen Schritte, die in Wahrheit signifikant für einen Wandel sind – und das kann bereits auf Organisationsebene gelingen.

Dabei ist es verständlich, dass die Regulatorik und die Einhaltung von Gesetzen momentan sowohl der größte Treiber als auch die größte Druckquelle für Unternehmen hinsichtlich ESG und Nachhaltigkeit sind. Fraglich bleibt, ob ein Reporting nicht lediglich zur regelkonformen Berichterstattung veranlasst, aber den Gedanken der tatsächlichen Transformation außer Acht lässt. Dabei wäre es für die Belegschaft zielführender, ein holistisches Narrativ zu konzipieren, das Unternehmensstrategie, Nachhaltigkeitsagenda, Reportinganforderungen sowie Purpose und Vision eines Unternehmens unter einen Hut bringt. Es geht darum, auf den Punkt zu bringen, warum sich etwas in der Organisation ändert und welche Vorteile sich daraus für die Mitarbeitenden und die externen Stakeholder ergeben. Nachhaltigkeit betrifft uns alle – das gilt auch für die Arbeitswelt.

Darüber hinaus sind Unternehmen gut beraten, sich schon heute über die benötigten Fähigkeiten von morgen Gedanken zu machen. Eine Skill-basierte Organisation wendet sich von klassischen Jobprofilen und Rollenmodellen ab und fokussiert sich auf das kontinuierliche Erlernen von Skills – das kognitive Kapital der Zukunft. Um dabei dem Thema Nachhaltigkeit die nötige Gewichtung zu geben, sollten auch die richtigen Anreize geschaffen werden. Beispielsweise sollte die Thematik nicht nur in freiwilligen Web-Based Learnings zu finden sein oder gar nur in den Onboarding-Materialien, sondern zum festen Agenda-Punkt von Learning und Development werden. Es geht um Kompetenzprofile, die zum einen das fachliche Know-how mitbringen, aber ebenso Soft Skills, die für einen systemischen Nachhaltigkeitsansatz wichtig sind, beispielsweise die Offenheit, interdisziplinär zu arbeiten und zu denken, sich mit externen Interessengruppen zusammenzuschließen oder in der Lage zu sein, sich aktiv mit der Zukunft auseinanderzusetzen, anstatt nur über das Heute zu debattieren. Daraus wird deutlich, dass sowohl Hard Skills als auch Soft Skills in den Fokus rücken und Unternehmen zunehmend einen Druck verspüren, diese Kompetenzen zu fördern und ihre Belegschaft entsprechend auszubilden. In der schnelllebigen, volatilen Welt von heute ist es daher nicht verwunderlich, dass man von einer vierten industriellen Revolution spricht – und die zeigt sich auch im Talentmarkt. „Grüne Skills“ sind so gefragt wie noch nie. Ein Artikel des World Economic Forum (2023) unterstreicht dies und weist darauf hin, dass Unternehmen nicht nur vermehrt Stellen im Bereich Nachhaltigkeit ausschreiben, sondern diese Rolle zunehmend von innen heraus aktivieren und ausbilden müssen, denn die Nachfrage ist größer als das Angebot.

„Grüne Skills“ sind auf dem Arbeitsmarkt so gefragt wie noch nie.

Dazu gehört es, die Führungskräfte an die Hand zu nehmen und sie zu einer nachhaltigen Arbeitsweise zu befähigen. Durch gelungenes Vorleben von Normen und Werten, die für eine nachhaltige Arbeitswelt nötig sind, wird auch die Belegschaft sukzessive an neue, „nachhaltige“ Arbeitsweisen herangeführt. Das beginnt bereits bei der Terminplanung: Lege ich die Meeting-Zeit so fest, dass auch Beschäftigte von außerhalb mit dem Zug anreisen können, oder suggeriere ich als Führungskraft, dass der Termin nur über einen Inlandsflug zu erreichen ist? Die Führungsriege ist in der Verantwortung, Nachhaltigkeit den nötigen Raum zu geben – auch außerhalb der „typischen“ Verantwortung der jeweiligen Mitarbeitenden. Dazu gehört beispielsweise das Fördern des sozialen Engagements und das Unterstützen innovativer Ideen, die die Entwicklung nachhaltiger Produkte oder Services eines Unternehmens voranbringen. Viel zu oft passiert es, dass Anforderungen und Incentivierungsmuster nicht aufeinander abgestimmt werden. So wird beispielsweise Teamarbeit gepredigt, aber lediglich die Einzelleistung belohnt. Besonders beim Thema Nachhaltigkeit ist es wichtig, solche Fehler zu vermeiden und frühzeitig die richtigen Anreize zu setzen und zu kommunizieren.

Apropos Kommunikation: Die Bedeutung dessen, inwiefern die Belegschaft hinsichtlich eines wirtschaftlichen Umdenkens informiert und besonders aktiviert wird, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Nachhaltigkeit sollte nicht nur im Abschlussbericht thematisiert werden, sondern auch im Tagesgeschäft und in der Kaffeeküche sowie in den virtuellen Townhalls, im Intranet oder in Executive-Videobotschaften Gehör finden: kontinuierlich, authentisch, aber dennoch inspirierend. Wichtig ist, dass die Botschaften auf die Zielgruppe abgestimmt sind und auf die versteckten Bedürfnisse, Ängste und Wünsche der Leser- oder Zuhörerschaft eingehen. Nicht zu ignorieren sind die Branchenunterschiede und die Kontraste zwischen verschiedenen Gruppen der Belegschaft. Für die einen ist Nachhaltigkeit der Treiber neuer Dienstleistungsmodelle, für andere eine steigende Kostenstelle oder sogar das Stoppschild für die weitere Produktion. De facto wird Nachhaltigkeit oft zum Politikum und entsprechend emotional debattiert. Daher ist es im Unternehmenskontext ein schmaler Grat, der vermeintlich zwischen Ideologie und Inspiration hin zum Umdenken entscheidet und bestimmt, wie Nachhaltigkeit letztlich kognitiv verankert und gelebt wird.

Fazit

Nachhaltigkeit ist komplex und mehrdimensional. Die obigen Ausführungen zeigen, dass das Thema einen Weitblick verlangt, der über das klassische Reporting hinausgeht. Deutlich wird auch, dass ein Umdenken nicht von heute auf morgen erreicht werden kann und Empathie erfordert, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen.

Letztlich möchte der Mensch an die Hand genommen, befähigt und so informiert werden, dass er tatsächlich auch die Möglichkeit hat, sich und seine Umwelt zu verändern – das ist ein stetiger Lernprozess und wie die Nachhaltigkeit selbst kein Projekt, sondern eine tagtägliche Herausforderung.

Über diesen Artikel

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Kim Sandy Eichler

Consultant, PAS, EY Consulting GmbH | Deutschland

Gründerin des EY Women Network Germany; ESG-Enthusiastin; leidenschaftliche Verhaltenswissenschaftlerin; genießt gerne ein gutes Restaurant und eine Runde Tennis

Alessa Münch

Director, People Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Langjährige Erfahrung in der Durchführung von Veränderungs-, Kommunikations-, Kulturentwicklungs- und Lernprogrammen; stolze Mutter von zwei Töchtern und passionierter Foodie.