5 Minuten Lesezeit 2 Juni 2023
Gras in einem Schmutzbehälter bildet eine aufsteigende Kurve

Wie Unternehmen fit werden für die ESG-Anforderungen der Banken

Von Jens Gerke

Director Capital & Debt Advisory, Sustainable Finance, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Experte für Finanzierungsstrukturierung und -umsetzung sowie für Rating Advisory; verantwortet im CDA-Team den Bereich Nord/Ost; findet Entspannung bei Familie, Yoga und Kochen.

5 Minuten Lesezeit 2 Juni 2023

Nachhaltigkeit gewinnt bei der Finanzierung an Bedeutung. Die Bewertung entwickelt sich weiter, die Konditionen werden darauf abgestellt.

Überblick
  • Nachhaltigkeit wird nicht nur in allen Bereichen der Wirtschaft immer wichtiger; sie wird in Zukunft auch eine Grundvoraussetzung für einen sicheren Kapitalzugang am Finanzmarkt sein.
  • Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sich Kapitalgeber immer stärker auf Nachhaltigkeitsrisiken fokussieren, insbesondere bei Finanzierungsfragen.
  • Noch gibt es keine einheitlichen Bewertungsmaßstäbe. Unternehmen sollten jedoch darauf vorbereitet sein, dass Ökologie, Soziales und Governance – kurz ESG – bonitätsrelevant werden.

Bei Kohle und Öl ist das Problem schon länger bekannt: Die Finanzierung von Projekten wird immer komplizierter. Der Grund: Finanzgeber haben Bedenken, dass die schlechten Kennziffern dieser Konzerne in Sachen Emissionen und Ressourcenverbrauch auf die eigene grüne Bilanz durchschlagen. Auch Branchen wie Zement und Stahl werden wegen ihres Energieverbrauchs und Schadstoffausstoßes inzwischen mit einem Malus belegt.

Von „grüner“ Finanzierung zu umfassender Nachhaltigkeit

Auch wenn längst nicht jedem Unternehmen wegen seiner Kohlendioxidbilanz ein Finanzierungsproblem droht, an Nachhaltigkeit kommt niemand mehr vorbei. Produktpaletten, Lieferketten, Energieversorgung und Herstellungsprozesse werden zunehmend nach ökologischen Kriterien, sozialen Fragen und der Qualität der Unternehmensführung bewertet. Bekannt sind diese Aspekte als ESG, kurz für „Environmental, Social, Governance“.

Auch bei der Finanzierung spielen diese Faktoren eine immer wichtigere Rolle. Begonnen hat die Entwicklung mit „grünen“ Finanzierungen für Projekte, die einen messbaren positiven Effekt auf die Umwelt auslösen. Dabei werden das spezifische Projekt sowie mögliche Auswahlkriterien im Vertrag zwischen Finanzgeber und Unternehmen festgeschrieben und von einem unabhängigen Dritten überprüft.

Inzwischen hat sich dieser Ansatz deutlich ausgeweitet. Heute steht eine ganzheitliche Nachhaltigkeit im Vordergrund, die nicht mehr auf einzelne Projekte abzielt, sondern das Profil des gesamten Unternehmens im Blick hat. Zum Umweltaspekt zählen neben dem bereits genannten Ressourcenverbrauch und den Schadstoffemissionen auch Biodiversität oder Recyclingquoten. Das Soziale umfasst Arbeitssicherheit, Diversität oder faire Arbeitsbedingungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Unter „Governance“ sind Aspekte wie die Unabhängigkeit der Aufsichtsorgane oder die Verhinderung von Korruption zusammengefasst.

Immer weitere Finanzierungsinstrumente werden nachhaltig ausgestaltet

Anfangs waren Anleihen die typischen Finanzierungsinstrumente, die mit diesen Bedingungen ausgestattet waren. Den Start machte schon 2008 die Weltbank mit der ersten grünen Anleihe. Mit der Zeit ergänzten Unternehmen die öffentlichen Emittenten. Dann wurden Schuldscheine und syndizierte Kredite entsprechend ausgestaltet. Inzwischen gelten die Kriterien für die gesamte Palette der Finanzierungsinstrumente, darunter beispielsweise Leasing, Factoring, Zinssicherungen oder Verbriefungsstrukturen.

Auch in der Breite der deutschen Wirtschaft hat sich die Nachfrage für nachhaltige Finanzierungen rasant ausgeweitet. Zunächst standen Großkonzerne im Vordergrund, inzwischen finden die Maßstäbe auch im Mittelstand Anwendung. Dieser Trend wird sich rasch fortsetzen, allein schon durch die anstehende Regulierungswelle. Von der Berichterstattung zur Nachhaltigkeit im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union sind bisher nur Betriebe von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Beschäftigten betroffen. Darunter fallen börsennotierte Unternehmen, Banken und Versicherungen.

Neue Regeln rücken mittelständische Unternehmen in den Fokus

Doch mit dem laufenden Geschäftsjahr erweitert sich der Kreis der Betriebe, die im Rahmen ihres Jahresabschlusses auch eine Nachhaltigkeitsstrategie vorlegen müssen. Unabhängig von der Gesellschaftsform sind dann Firmen betroffen, die zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: Bilanzsumme von mehr als 40 Millionen Euro, Umsatz von über 20 Millionen Euro, mindestens 250 Beschäftigte.

Parallel steigt von zwei Seiten die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen. Die Corporate-Sustainability-Richtlinie der EU gilt ab dem Geschäftsjahr 2024 auch für viele Mittelständler. Gleichzeitig müssen die finanzierenden Banken im Rahmen ihres Reportings vermehrt darüber berichten, wie ESG-konform ihre Portfolios sind.

Zusätzlich steigt von Finanzierungsseite der Druck, sich mit der Nachhaltigkeit des eigenen Unternehmens auseinanderzusetzen. Denn auch für Banken und Finanzdienstleister verschärfen sich kontinuierlich die Regeln und sie müssen ihre Portfolios nachhaltiger ausgestalten. Entsprechende Vorschriften sind beispielsweise die Sustainable Finance Disclosure Regulation oder die Green Asset Ratio, die ein Portfolio mithilfe der Regeln der EU-Taxonomie bewertet.

Wie rasch die Entwicklung voranschreitet, unterstreichen die Zahlen. Während vor fünf Jahren noch kaum ein Konzern über nachhaltigkeitskonforme Finanzierung nachgedacht hat, beträgt der ESG-bezogene Anteil bei syndizierten Krediten mittlerweile mehr als 30 Prozent. Und der Trend steckt noch in den Anfängen. Unternehmen sollten sich das Thema daher dringend und ausführlich vornehmen.

Bandbreite vom ESG-Rating zu individuellen KPIs

Ein wichtiger Aspekt dabei ist es, geeignete Kennziffern auszumachen, um die Nachhaltigkeit eines Unternehmens zu bewerten. Als klassischer Weg galt dafür zunächst ein ESG-Rating, das von einer unabhängigen Agentur erstellt wird. Etablierte Anbieter von Bonitäts-Ratings haben diese genauso im Programm wie spezialisierte Agenturen, die sich auf Nachhaltigkeit konzentrieren. Die Bewertungen zielen auf eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit ab und bieten auch anderen Stakeholdern einen guten Einblick in den Stand der Nachhaltigkeit des bewerteten Unternehmens. Bis heute fehlt aber eine einheitliche Methodologie – die verschiedenen Agenturen setzen unterschiedliche Schwerpunkte, was die Vergleichbarkeit erschwert.

Eine Alternative bei der Bewertung ist ein Ansatz auf der Basis ausgewählter Nachhaltigkeitskennzahlen, sogenannter Key Performance Indicators (KPIs). Im Unterschied zum komprimierten Rating setzt dieser Ansatz auf unternehmens- und branchenspezifischen Indikatoren zur Nachhaltigkeit auf. Das können die Reduktion von Stickstoffemissionen oder des Wasserverbrauchs sein, der Anteil ESG-konformer Lieferanten, der Anteil EU-Taxonomie-konformer Investitionen oder die Kundenzufriedenheit. In Abstimmung mit dem Finanzdienstleister werden diese KPIs zu individuellen Sustainable Performance Targets (SPTs) ausgearbeitet, die messbar, relevant und ambitioniert sein müssen und kein „business as usual“ darstellen. Somit können auch Reputationsrisiken, das sogenannte Greenwashing, verhindert werden.

Individueller Standard

90 %

der nachhaltigen Finanzierungsinstrumente setzen laut Daten der International Finance Corporation heute auf KPIs. Bei 10 % greift ein ESG-Rating.

Der Trend zeigt dabei zunehmend in Richtung eines KPI-Ansatzes. Laut Daten der International Finance Corporation werden heute rund 10 Prozent der nachhaltigen Finanzierungsinstrumente mithilfe eines ESG-Ratings bewertet. In neun von zehn Fällen greifen die Vertragsparteien zu KPIs.

Nachhaltigkeit beeinflusst die Kosten der Finanzierung

Bei der Ausgestaltung der Finanzierung werden die entscheidenden SPTs sowie ein Rahmen für ihre Verbesserung vertraglich festgelegt. Daran orientieren sich dann auch die Kosten der Finanzierung; werden die Werte erreicht, kann die Risikomarge um 5 bis 10 Basispunkte sinken; bei Nichterreichung droht ein entsprechender Aufschlag. Die Ausgestaltungen sind jedoch von Instrument zu Instrument unterschiedlich und müssen daher an die individuelle Situation wie auch an das Instrument angepasst werden.

Bei der Auswahl der KPIs gilt es zu beachten, dass sie materiell bzw. wesentlich für das Unternehmen und seine Nachhaltigkeitsstrategie und -ziele sein müssen. Zudem muss das Reporting darauf ausgerichtet sein, dass die für die SPTs erforderlichen Daten regelmäßig, verlässlich und zeitnah erfasst und abgebildet werden können.

Spielraum bei der Auswahl der KPIs

Bisher ist die Vorgehensweise der Finanzdienstleister noch sehr individuell, eine Harmonisierung der Kennziffern steht noch aus. Darüber hinaus nutzt jeder Anbieter seine individuellen Fragebögen, um den Stand der Nachhaltigkeit des zu finanzierenden Unternehmens zu ermitteln. Für die Unternehmen besteht gerade hier ein Risiko. Sie müssen ihr ESG-Narrativ klar herausarbeiten und die zugehörigen Fakten zusammenstellen. Finanzdienstleister sind zukünftig gezwungen, ESG-Risiken in die allgemeine Risiko- und Bonitätsbewertung einzubauen. Gerade deshalb müssen die gesetzten Ziele im Rahmen der Finanzierung ambitioniert sein und die Bereitschaft zur Veränderung unterstreichen.

Drei bis fünf Kennzahlen sind heute üblich, um Fortschritte zu erkennen, aber die Komplexität nicht zu hoch werden zu lassen. Noch stehen dabei Ökologie und Soziales im Vordergrund, Governance nimmt aber an Bedeutung zu. Das Erreichen dieser vereinbarten KPIs wird mindestens einmal im Jahr geprüft, üblicherweise durch einen externen Dritten, etwa einen Wirtschaftsprüfer.

Abstimmung mit dem Finanzdienstleister ist sinnvoll

Mithilfe dieser Indikatoren lässt sich inzwischen jedes Finanzierungsinstrument nachhaltig ausgestalten. Viele Banken gehen diesen Schritt aktiv an und unterstützen ihre Kunden bei der Umstellung. Angesichts der aktuellen Entwicklung der Klimakrise wird sich der Trend dynamisch weiterentwickeln; Politik und Aufsichtsbehörden werden die Geschwindigkeit der Umsetzung eher noch erhöhen. Auch für den Mittelstand bedeutet das zunehmend, dass die Betriebe nach ihrer Nachhaltigkeit beurteilt werden – und sie es ohne klares ESG-Narrativ immer schwerer haben werden, an Finanzierungen zu gelangen.

Fazit

Nachhaltigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung, seien es ökologische Fragen, Soziales oder Governance. Auch bei der Finanzierung spielen diese Aspekte zunehmend eine Rolle. Unternehmen müssen sich nicht nur auf Fragen ihrer Finanzgeber einstellen, sondern auch darauf, dass Kreditkonditionen daran festgemacht werden, wie nachhaltig das Unternehmen aufgestellt ist. Das erfordert Vorbereitung, mehr Transparenz und ein adäquates Reporting – verspricht aber, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens auch bei der Kapitalbeschaffung zu sichern.

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Von Jens Gerke

Director Capital & Debt Advisory, Sustainable Finance, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

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