EY: Airlines, Gastronomie und auch die Pflege sind besonders plakative Beispiele dafür, dass die Beschäftigten den Unternehmen den Rücken kehren. Kann man diese Entwicklung auch zum Beispiel in den IT-Bereichen der Firmen beobachten?
Markus Heinen: Zumindest die Verunsicherung der Beschäftigten zieht sich durch alle Branchen und Bereiche. Die Automobilindustrie etwa kommuniziert das Ende des Verbrennungsmotors für das Jahr 2035. Aber was passiert denn dann mit denjenigen, die in diesen noch immer großen Bereichen tätig sind? Wenn die Automobilhersteller das Problem nicht lösen und nicht an der Mobilität der Zukunft arbeiten, werden auch hier vor allem die guten Talente gehen. Oder anders formuliert: Wenn das Management keine Perspektive entwickelt, kann es von den Beschäftigten nicht erwarten, dass sie das selbst tun.
EY: Zu dieser Entwicklung passt, dass nur 48 Prozent der Beschäftigten ihrem Arbeitgeber das Vertrauen aussprechen. Kommt also auch in Sachen Unternehmenskultur noch viel Arbeit auf die Firmen zu?
Markus Heinen: Auch im Hinblick auf die Firmenkultur gibt es ganz grundsätzliche Versäumnisse. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklungen müssen sich Firmen sehr viel stärker fragen: Was für eine Kultur will ich denn eigentlich schaffen? Welche Führungskultur will ich etablieren? Ebenso geht es darum, mit den Mitarbeitenden einen schlagkräftigen Purpose zu entwickeln, der als Leitmotiv wie auch als Inspiration und Aufforderung zugleich dient. Denn wichtig ist natürlich auch, dass die Beschäftigten für die Ziele des Unternehmens brennen. Ihnen nur eine Umgebung zu bieten, in der sie komfortabel remote arbeiten können, wird nicht ausreichen. Auch das zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre sehr deutlich: So ist am Anfang der Pandemie die Produktivität gestiegen, weil sich die Mitarbeitenden in der neuen, unsicheren Situation beweisen wollten. Mit der Zeit aber haben sie sich an die neue Arbeitswelt gewöhnt und sich zum Teil verstärkt ins Private zurückgezogen. Durch diese Entwicklung verharrt die Produktivität nun auf einem Niveau, das viele Arbeitgeber dazu treibt, die Beschäftigten wieder zurück in die Büros zu holen. Doch auch das wird nicht funktionieren, da die Konkurrenz auf dem leer gefegten Arbeitsmarkt nicht zuletzt mit Remote-Arbeit und Workation-Angeboten um Talente wirbt.