Der belgische Arbeitnehmer und seine Familie freuen sich: Soeben hat er mit seinem deutschen Arbeitgeber vereinbart, in Zukunft nicht mehr jede Woche zu seinem regulären Arbeitsplatz nach Aachen zu reisen, sondern größtenteils aus seinem Homeoffice heraus in Brüssel zu arbeiten. Dass dieses Modell gut funktioniert, hat sich in der Corona-Pandemie gezeigt. Sein Arbeitgeber war ebenfalls angetan, wie reibungslos die Zusammenarbeit virtuell über die Zeit funktioniert hat. Und wenn sich darüber noch Reisekosten reduzieren lassen und ein Beitrag für die Umwelt geleistet werden kann, ist das ein positiver Nebeneffekt der neuen Arbeitswelt.
Ähnlich erging es dem regionalen CFO in Deutschland, der für mehrere europäische Ländergesellschaften der Unternehmensgruppe verantwortlich ist. Wurde seine Woche vor der Corona-Pandemie durch ständige Auslandsreisen bestimmt, zeigte sich nun, wie gut die Abstimmung mit dem jeweiligen lokalen Management virtuell funktioniert. Ausgehend von diesen Erfahrungen möchte der regionale CFO auch in Zukunft gerne aufs Reisen verzichten.
Studie zeigt klaren Trend
Die beiden Praxisbeispiele stehen für einen neuen Trend. Das zeigt eine Marktforschungsstudie, die EY bereits im Sommer 2020 durchgeführt und im Frühjahr 2021 aktualisiert hat. Bei den über 3.600 Mitarbeitern und 700 Arbeitgebern, die weltweit befragt wurden, ergibt sich ein klares Bild: Die deutliche Mehrheit der Arbeitgeber erwägt bzw. überarbeitet ihre Richtlinien für mobiles Arbeiten (78 Prozent) und den Einsatz von Technologien für die digitale Zusammenarbeit (79 Prozent). Ähnliches gilt für die Vorgaben für Geschäftsreisen und Mitarbeitermobilität. Zudem überdenkt fast die Hälfte der befragten Arbeitgeber ihre strategische Personalplanung hinsichtlich Teamstruktur und Standortstrategie.
Man könnte also von einer schönen neuen Arbeitswelt sprechen, die allerdings einige rechtliche und steuerliche Fallstricke und daraus resultierend einen akuten Handlungsbedarf für Unternehmen mit sich bringt.
Matrixstrukturen gewinnen an Bedeutung
Die jüngste Entwicklung der Arbeitswelt fußt auf zwei Megatrends: der Globalisierung und der Digitalisierung. Beide bestimmen zwar schon seit geraumer Zeit die unternehmerische Transformation, diese wurde aber durch die Corona-Pandemie extrem beschleunigt und mündet in einen neuen „Way of Working“, der noch vor 18 Monaten nicht für realistisch gehalten wurde. Im Ergebnis offenbart sich, wie unwichtig der physische Arbeitsort für viele Tätigkeiten geworden ist. Dies fügt sich hervorragend in das zunehmend globale Selbstbild vieler Unternehmen. Der Fokus liegt auf den oft zentral gesteuerten Geschäfts- und Funktionsbereichen, die Grenzen zwischen den einzelnen Gesellschaften verschwimmen mehr und mehr und Matrixstrukturen gewinnen weiter an Bedeutung. Geografische Grenzen oder gesellschaftsrechtliche Strukturen spielen dabei keine Rolle mehr. „Working from anywhere“ ist die Devise.
Neue Managementstränge
Charakteristisches Merkmal für Matrixstrukturen ist, dass Unternehmen klassische Hierarchien und Ländergrenzen überwinden und der Fokus mehr auf den funktionalen Entscheidungsebenen liegt: Vertikal organisierte und geografisch angeordnete Managementstränge werden mit horizontalen, länderübergreifenden Berichtslinien zu einem komplizierten Matrixgebilde verknüpft. Es gibt eine zunehmende Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen, Shared Service Centers, Centers of Competence und – mit der Lockerung der Reiserestriktionen wohl wieder mehr, wenn auch vielleicht nicht mehr auf dem Niveau der Zeit vor der Corona-Pandemie – Business Travellers. Parallel nimmt der Anteil derjenigen Beschäftigten zu, die ihrer Arbeit aus einem anderen Land als dem des rechtlichen Arbeitgebers nachgehen möchten.
"Business goes global, but tax stays local"
Wo aber ist das Problem, wenn Ländergrenzen ihre trennende Funktion verlieren? Die Antwort lautet: Das Steuerrecht hält mit der Globalisierung der Arbeitswelt nicht Schritt. Für die sachgerechte ertragsteuerliche Gewinnallokation sind grundsätzlich weiterhin die einzelne Gesellschaft und das Territorialprinzip maßgeblich. Dabei kommt der physischen Substanz der Gesellschaft – in Form von Geschäftseinrichtungen oder Beschäftigten – unverändert eine zentrale Bedeutung zu. Auch für lohnsteuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Aspekte ist das Territorialprinzip für die rechtliche Würdigung zu beachten.
Provisorische OECD-Leitlinien
Die OECD hat mit ihrer in diesem Januar veröffentlichten „Updated Guidance on Tax Treaties and the Impact of the COVID-19 Pandemic“ Erleichterungen für Unternehmen und ihre „gestrandeten Mitarbeiter“ empfohlen. Letztlich sollen keine für die Unternehmen nachteiligen bzw. unbeabsichtigten ertragsteuerlichen Folgen entstehen und die Geschäftsvorfälle steuerlich so behandelt werden, wie sie in normalen Zeiten behandelt worden wären. Kritisch sind allerdings drei Aspekte: Erstens gelten die Empfehlungen der OECD nur für die Dauer der pandemiebedingten Restriktionen. Zweitens sind sie für die einzelnen Länder nicht verpflichtend und die Umsetzung erfolgt nicht überall gleichermaßen. Und drittens beschränken sich die Empfehlungen auf die körperschaft- und einkommensteuerlichen Folgen und bieten keine Erleichterungen bspw. bezüglich der indirekten Steuern oder einwanderungsrechtlicher Vorgaben.
Damoklesschwert Betriebsstätte
Eine für Unternehmen zentrale Herausforderung ist die Vermeidung unbeabsichtigter Betriebsstätten, die an eine physische Präsenz anknüpfen. Betriebsstätten führen nicht nur zu administrativem Mehraufwand, sondern können auch Steuernachzahlungen und Doppelbesteuerungen bedeuten oder steuerstrafrechtliche Konsequenzen haben. Prekärerweise lässt sich die Frage, ob bzw. wann ein Homeoffice oder „Remote Working“ eine Betriebsstätte begründet, nicht allgemein beantworten. Sie ist vielmehr stets aus Sicht des Landes zu erörtern, in dem sich der Mitarbeiter aufhält.
Vorsicht geboten
Ausgehend von dem im Jahr 2017 erschienenen OECD-Musterkommentar soll ein Homeoffice abkommensrechtlich nicht ohne Weiteres als Betriebsstätte qualifizieren. Dies soll nur dann denkbar sein, wenn es kontinuierlich für die Geschäftstätigkeit genutzt wird und das Unternehmen dies von dem Mitarbeiter verlangt, z. B. indem es ihm kein Büro zur Verfügung stellt. Hierauf wird man sich jedoch in der Praxis nur bei seit 2017 abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder einer lokal gelebten dynamischen Auslegung älterer Doppelbesteuerungsabkommen berufen können. Besondere Vorsicht ist bei Geschäftsführern und bei im Vertrieb tätigen Mitarbeitern geboten, die bedeutend schneller eine Betriebsstätte begründen können. In gewissen Konstellationen ist ebenfalls denkbar, dass eine in einem Land über einen längeren Zeitraum erbrachte Dienstleistung dort zu der Annahme einer Betriebsstätte führt.
Wer ist wirtschaftlicher Arbeitgeber?
Um die lohnsteuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten in den einzelnen Ländern erfüllen zu können, ist ein Monitoring der infrage kommenden Mitarbeiter, ihrer Tätigkeitsorte und Berichtswege notwendig. Das gilt nicht nur für den immer häufigeren Fall von „Remote Working“ über Grenzen hinweg. Ein Beispiel: Wenn ein in Frankreich ansässiger und dort angestellter Produktmanager in funktionaler Hinsicht einem in Deutschland ansässigen und dort angestellten Mitarbeiter untersteht, kann ein Wechsel des wirtschaftlichen Arbeitgebers vom französischen zum deutschen Unternehmen erfolgen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der französische Produktmanager nicht oder nur ungenügend bei seinem französischen Arbeitgeber integriert ist, weil dieser bspw. nicht mehr ausreichend in wichtige disziplinarische Vorgänge wie Einstellung, Gehalts- und Bonusvergabe, Urlaubsgenehmigungen oder einen Kündigungsvorgang involviert ist. Qualifiziert folglich die deutsche Gesellschaft für steuerliche Zwecke als wirtschaftlicher Arbeitgeber des französischen Produktmanagers, muss sie für jeden Tag, den sich der Mitarbeiter geschäftlich in Deutschland aufhält, deutsche Lohnsteuer einbehalten und an den Fiskus abführen.
Verrechnungspreise und Verlagerungen
In allen Fallkonstellationen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geht es auch um die Frage der richtigen Gewinnallokation und damit der fremdüblichen Verrechnungspreise. Dies kann die angemessene Verrechnung einer grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistung betreffen, wenn bspw. das Unternehmen des französischen Produktmanagers mit seiner Tätigkeit eine Dienstleistung an die deutsche Gruppengesellschaft erbringt und diese damit nicht bereits originär (z. B. bedingt durch einen Wechsel des wirtschaftlichen Arbeitgebers) den damit einhergehenden Aufwand trägt. Im Falle einer Betriebsstätte wird es aber auch um die richtige Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gehen. Im schlimmsten Fall können in einem Unternehmen durch veränderte Verantwortlichkeiten auch unbewusste steuerliche Entstrickungstatbestände erfüllt werden. Dies kann die Verlagerung einzelner Vermögensgegenstände beinhalten, aber auch ganze Funktionsverlagerungen. Der Tatbestand ist gerade aus deutscher Sicht mit dem verabschiedeten Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz verschärft worden: Die in § 1 Abs. 3b AStG enthaltenen Vorschriften für eine Funktionsverlagerung erfordern zukünftig nur noch, dass Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile (bislang: und) verlagert werden.
Wohin gehört das IP?
Das im deutschen Außensteuergesetz nun manifestierte und von der OECD entwickelte DEMPE-Konzept – also die Festlegung von Schlüsselfunktionen (Development, Enhancement, Monitoring, Protection and Exploitation), die mit einhergehender Risikotragung erst zum (anteiligen) Residualgewinn aus der Vermarktung immaterieller Wirtschaftsgüter berechtigen – stellt die Substanzfrage in den Vordergrund. Ein deutsches Unternehmen, das Auftragsforschung für eine ausländische Gruppengesellschaft betreibt und später an diese Lizenzen für die IP-Vermarktung im Inland zahlt, wird sich angreifbar machen, wenn die tatsächliche F&E-Leitung gar nicht in der ausländischen Gruppengesellschaft, sondern beim deutschen Auftragnehmer angestellt und tätig ist. Deutsche Betriebsprüfer könnten dann das IP wirtschaftlich der deutschen Gesellschaft zuordnen und die Zahlung der Lizenzen nicht anerkennen.
Organschaften und weitere Implikationen
Zu prüfen wäre auch, wie sich veränderte Verantwortlichkeiten auf ertragsteuerliche und umsatzsteuerliche Organschaften auswirken. Liegt die nach dem Umsatzsteuerrecht geforderte organisatorische Eingliederung noch vor und wie kann diese sichergestellt werden? Ertragsteuerlich muss die Geschäftsleitung der Organgesellschaft im Inland sitzen, während es beim Organträger auf die Zuordnung der Beteiligung an der Organgesellschaft zu einer inländischen Betriebsstätte ankommt. Weitere Herausforderungen liegen im Bereich des Gesellschafts-, Arbeits- und Sozialversicherungsrechts oder des Datenschutzes.
Co-Autoren: Markus Harz, Max Kronenberg