Baustelle vor dem Berliner Reichstagsgebaeude bei sonnigem Wetter und blauen Himmel mit einer wehenden Deutschlandflagge

„Wir müssen handeln: bei Steuern, Bürokratie, Arbeitsmarkt, rundum“

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Der Vergleich mit anderen Staaten zeigt: Deutschland verliert den Anschluss. Unsere Nachbarn gewinnen gleichzeitig an Attraktivität. Dabei hat es unser Land in der Hand, sich selbst zu reformieren.


Überblick

  • Deutschland bildet die drittgrößte Volkswirtschaft weltweit, ist jedoch Schlusslicht unter den Industrienationen beim Thema Wirtschaftswachstum.
  • Deutschland hat die Chance, sich aus eigener Kraft selbst zu erneuern.
  • Viele Länder haben es bereits verstanden, das Steuersystem als Anreizsystem umzubauen, um seine Lenkungswirkung zu nutzen.

Deutschland hat Stärke und Substanz. Unser Land bildet die drittgrößte Volkswirtschaft, die Welt beneidet uns um die mittelständischen Global Player und die breite Mittelschicht. Das Bildungssystem ist respektabel, der soziale Frieden ein hohes Gut. Diese grundlegenden Stärken stehen in krassem Widerspruch zu aktuellen Entwicklungen: Deutschland ist unter den Industrienationen Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum, Unternehmen investieren hauptsächlich im Ausland und viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich ernsthaft, ob Arbeit sich für sie noch lohnt.

Was also ist los in unserem großartigen Land? Und was vor allem können wir tun, damit Deutschland wieder ein Wachstumsmotor und Stabilitätsanker für die Welt wird?

Oder anders gesagt: „Ich bin überzeugt: Wir können wieder eine Spitzenposition einnehmen, in Wissenschaft und Technik, bei der Erschließung neuer Märkte. Wir können eine Welle neuen Wachstums auslösen, das neue Arbeitsplätze schafft.“ Diese Worte sind mehr als 26 Jahre alt, gesprochen hat sie der frühere Bundespräsident Roman Herzog im Berliner Hotel Adlon am 26. April 1997.

Gute Reformen, neue Probleme

Damals stand Deutschland wirtschaftlich noch schlechter da als heute. Präsident Herzog sagte: „Dabei stehen wir wirtschaftlich und gesellschaftlich vor den größten Herausforderungen seit 50 Jahren: 4,3 Millionen Arbeitslose, die Erosion der Sozialversicherung durch eine auf dem Kopf stehende Alterspyramide, die wirtschaftliche, technische und politische Herausforderung der Globalisierung.“

Einige Probleme kommen uns heute wieder sehr bekannt vor. Gleichwohl hat sich in den mehr als 26 Jahren seit der Ruck-Rede viel getan. Mit mutigen Reformen im Steuerrecht, am Arbeitsmarkt und im Sozialsystem ist Deutschland zu Beginn des neuen Jahrtausends als „kranker Mann Europas“ (Economist) genesen. Wir haben nach der globalen Finanzkrise ein Jahrzehnt des wirtschaftlichen Aufschwungs erlebt. Nun aber brauchen wir dringend wieder einen Ruck.

Grafik: Deutschland: Mehr als eine 1 Billion 
Steuereinnahmen im Jahr 2025 erwartet

Willkommenskultur der Anderen

Als Partner im Bereich Tax bei EY erlebe ich tagtäglich, wie sehr die hohen und komplizierten Steuern selbst deutschlandfreundliche Investoren inzwischen abschrecken. Andere Länder pflegen eine steuerpolitische Willkommenskultur. Selbst die skandinavischen Länder, Frankreich und Belgien richten ihr Steuersystem unternehmensfreundlich aus. Die Niederlande, Österreich oder die USA werben offensiv mit steuerlichen Anreizen um Unternehmen. In dieser Ausgabe möchten wir Ihnen exemplarisch einige Länder vorstellen, die im globalen Wettbewerb punkten. Sie setzen für die international vernetzte Wirtschaft Benchmarks.

Deutschland dagegen ist mit einer schleichend steigenden Steuerlast von mittlerweile rund 30 Prozent nicht mehr attraktiv für Kapitalgesellschaften. Selbst standortverbundene Familienunternehmen beschränken sich hierzulande auf unbedingt erforderliche Ersatzinvestitionen und wachsen lieber im Ausland. Eine Unternehmenssteuerreform ist unvermeidlich. Vereinzelte Megasubventionen für Auto- oder Chipfabriken sind kein Ersatz. Auch emotionale Debatten um Begünstigungen bei der Umsatz- oder Stromsteuer helfen uns nicht weiter. Wir verlieren uns im Klein-Klein, um nur allzu gern das Kernproblem der insgesamt zu hohen Steuerlasten zu verdrängen.

Ich bin überzeugt: Wir können wieder eine Spitzenposition einnehmen, in Wissenschaft und Technik, bei der Erschließung neuer Märkte. Wir können eine Welle neuen Wachstums auslösen, das neue Arbeitsplätze schafft.
Grafik: Unternehmensbesteuerung Deutschlands im internationalen Vergleich

Impulse? Bürokratie!

Nehmen wir zum Beispiel das Wachstumschancengesetz. Die Bundesregierung wollte damit sicherlich einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Nun sehen wir, was daraus geworden ist. Und zum Stand der Drucklegung musste sogar der Vermittlungsausschuss angerufen werden. Von den Wachstumsimpulsen ist im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr viel übrig geblieben. Man kann nur hoffen, dass die nationale Anzeigepflicht zu Steuergestaltungen entfernt werden wird. Das Gesetz zur Mindestbesteuerung ist zwar eine große Reform, die aber deutsche Unternehmen mit viel Compliance-Pflichten belastet und dem deutschen Staat voraussichtlich kein großes Steueraufkommen bescheren wird.

Eine Reform müsste viel grundlegender ansetzen: Zum einen braucht es eine Entlastung beim Steuertarif und zum anderen eine Entlastung von Compliance-Pflichten und Bürokratie. Das Steuerrecht muss vereinfacht werden, für Unternehmen und Bürger gleichermaßen.

Tarif von 20 bis 25 Prozent

Im Unternehmensbereich sollte man zunächst über die Abschaffung einzelner Steuern nachdenken. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist längst überfällig und auch auf die Gewerbesteuer könnte man steuersystematisch gut und gerne verzichten. Letzteres mag unrealistisch klingen, da es diese (ergebnislose) Diskussion immer wieder gegeben hat und die Kommunen nicht darauf verzichten wollen. Städte und Gemeinden könnten allerdings auch über eine direkte Beteiligung an der Körperschaftsteuer (ggf. mit einer eigenen Hebesatzkomponente) entschädigt werden.

Ohne die anachronistische (und weltweit einzigartige) Gewerbesteuer könnte uns ein Körperschaftsteuertarif von 20 bis 25 Prozent wieder der internationalen Wettbewerbsfähigkeit näherbringen. Sofern man sich nicht zur Abschaffung der Gewerbesteuer durchringen kann, sollte der Körperschaftsteuersatz auf 10 Prozent sinken. Perspektivisch sollten wir auch einmal über das estnische Modell nachdenken, in dem Gewinne erst dann besteuert werden, wenn sie ausgeschüttet werden.

Weg mit Meldepflichten

Wer Initiative zeigt, wer vor allem neue Wege gehen will, droht unter einem Wust von wohlmeinenden Vorschriften zu ersticken. Um deutsche Regulierungswut kennenzulernen, reicht schon der Versuch, ein simples Einfamilienhaus zu bauen […] Und dieser Bürokratismus trifft nicht nur den kleinen Häuslebauer. Er trifft auch die großen und kleinen Unternehmer, und er trifft ganz besonders den, der auf die verwegene Idee kommt, in Deutschland ein Unternehmen zu gründen.

Wer Initiative zeigt, wer vor allem neue Wege gehen will, droht unter einem Wust von wohlmeinenden Vorschriften zu ersticken. Um deutsche Regulierungswut kennenzulernen, reicht schon der Versuch, ein simples Einfamilienhaus zu bauen […] Und dieser Bürokratismus trifft nicht nur den kleinen Häuslebauer. Er trifft auch die großen und kleinen Unternehmer, und er trifft ganz besonders den, der auf die verwegene Idee kommt, in Deutschland ein Unternehmen zu gründen.

Grafik: Wachstumsprognose der OECD in Prozent des BIP

Lohnabstand einhalten

Alle wissen heute, dass Löhne und Sozialhilfeleistungen so weit auseinander liegen müssen, dass es sich für den Einzelnen auch lohnt zu arbeiten. Dabei geht es mir nicht um die viel zitierte Mutter mit vier oder fünf Kindern. Aber warum ist es so schwierig, das Lohnabstandsgebot für die durchzusetzen, die wirklich arbeiten könnten?

Dieser Staat lähmt die Leistungsanreize unserer Bürgerinnen und Bürger. Wenn das Bürgergeld ein leistungsfreies Einkommen ermöglicht und sich viele Menschen die Frage stellen: „Lohnt die Arbeitsaufnahme noch?“, dann ist unsere soziale Marktwirtschaft im innersten bedroht. Wir müssen dringend staatliche Lasten und Leistungen neu austarieren und insbesondere das Lohnabstandsgebot wiederherstellen. Daher muss der Faktor Arbeit kostenreduzierend gedacht werden. Bevor also über eine Erhöhung des (Brutto-)Mindestlohns erneut debattiert wird, sollte über eine Reduzierung der Sozialabgaben oder eine effizientere Verwendung dieser Mittel nachgedacht werden.

Drei Punkte für mehr Fachkräfte

Unser Arbeitsmarkt entwickelt sich zum schwerwiegenden Standortnachteil. Der Fachkräftemangel ist eklatant, die Perspektiven angesichts der demografischen Entwicklung alarmierend. Was tun? Wir brauchen einen Dreiklang:

  • Das heimische Potenzial mobilisieren: Zu viele Menschen gehen zu früh in Ruhestand (Rente mit 63), zu viele Elternteile kehren nicht schnell genug ins Erwerbsleben zurück (Kita- und Betreuungsmangel), es fehlen Arbeitsanreize (mangelnder Lohnabstand). Höhere Grundfreibeträge und lohnende Hinzuverdienste schaffen Anreize. Sozialleistungen müssen auf Arbeitsmarkteffekte überprüft werden.
  • Fachkräfte nach Deutschland holen: Die Blue Card ist ein löblicher Ansatz. Wir brauchen aber viel mehr Arbeitswillige, von Pflegekräften über Handwerker bis hin zu Wissenschaftlern. Wer arbeiten will, soll willkommen sein.
  • Asylsuchende sollten so schnell wie möglich Deutsch lernen und qualifiziert werden, um dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Viele Migranten sind bereit, sich mit eigener Kraft eine Existenz aufzubauen. Wir sollten sie dabei unterstützen.

Vor allem sollten wir rasch, unbürokratisch und unideologisch handeln. Denn: „Wer die großen Reformen verschiebt oder verhindern will, muss aber wissen, dass unser Volk insgesamt dafür einen hohen Preis zahlen wird. Ich warne alle, die es angeht, eine dieser Reformen aus wahltaktischen Gründen zu verzögern oder gar scheitern zu lassen.“ (Roman Herzog)

Mit der Corona-Krise, dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, dem Ende von billigem Geld und Gas treten Deutschlands alte und neue strukturelle Defizite zutage. Als Bürger ist einem bewusst, dass die Zeiten schwierig sind und dass Themen wie Inflation, Energiepreise und Wohnungsmangel nicht von heute auf morgen erledigt werden können. Gleichzeitig gewinnt man aber auch den Eindruck, dass in allen Lebensbereichen auch viele Dinge nicht gut genug funktionieren, die nicht von plötzlichen Krisenereignissen herrühren. Es fehlen Kita-Plätze, Unterricht an den Schulen fällt aus, Straßen sind in schlechtem Zustand, die Bahn fährt nicht pünktlich, auf den Ämtern werden noch Nummern gezogen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. 

Grafik: Tax Complexity Index 2022

Tax Complexity Index 2022

Inzwischen gilt nicht mehr nur die Höhe der Steuern als wichtiges, Standort entscheidendes Kriterium, sondern auch der Grad der Einfachheit bzw. Komplexität aller fiskalischen Aspekte. Vergleichbarkeit schafft nun das Global MNC Tax Complexity Project der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Paderborn. Das Projekt ist Teil des Sonderforschungsbereichs „Accounting for Transparency“ der Universität Paderborn, HU Berlin und der Universität Mannheim (www.accounting-for-transparency.de).

Auf der Basis einer internationalen Befragung von lokalen Steuerexperten renommierter Beratungsgesellschaften und Netzwerke – unter anderem auch EY –, die zahlreiche Fragen zu ihren Steuersystemen beantworteten, haben die Forscher einen Tax Complexity Index entwickelt. Damit lässt sich die Komplexität von 100 Körperschaftsteuersystemen vergleichen. Der Index ist so konstruiert, dass er Werte zwischen 0 (keine bis sehr geringe Komplexität) und 1 (sehr hohe Komplexität) annehmen kann. (Quelle)

Einfach mal machen!

Während wir also spüren, dass vieles im Argen liegt und die Ärmel sprichwörtlich hochgekrempelt werden müssten, führen wir weiter Umverteilungsdebatten, diskutieren ernsthaft eine Einführung der Viertagewoche und sinnieren, wie wir die Schuldenbremse lockern können. Statt umzusteuern, machen die Politiker genau das Gegenteil: Das Lieferkettengesetz, viele Klimaschutzauflagen (gerade startet CBAM) und neue soziale Leistungen wie das Bürgergeld belasten den Standort Deutschland erneut.

Als Bürger dieses Landes muss ich sagen: Mir blutet das Herz! Wir haben so viel Potenzial und machen viel zu wenig daraus! Deutschland hat es nicht verdient, nach unten in die zweite und dritte Liga durchgereicht zu werden.

Fazit

Im Gegensatz zu vielen Ländern dieser Welt haben wir die Chance, uns aus eigener Kraft zu erneuern. Wir brauchen keinen Schuldenerlass von der Weltgemeinschaft, keine Entwicklungshilfe, keine externen Berater. Wir müssen einfach nur selbst handeln. Jetzt. Mit einem Ruck.

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