Elektroingenieurin mit Schutzausrüstung bei der Arbeit in einem Windkraftanlagenpark

„Stadtwerke können Krise – und sie können Zukunft gestalten“

Interview mit Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW


Überblick

  • Warum sind Stadtwerke für das Gelingen der Wärmewende unersetzbar?
  • Welche Rolle(n) und Aufgaben werden Stadtwerke künftig (nicht) übernehmen?
  • Wie kann der Gesetzgeber zu einer erfolgreichen Klimawende beitragen?

Die diesjährige Stadtwerkestudie blickt zurück auf das Krisenjahr 2022 und behandelt im Schwerpunkt die strategischen Implikationen auf die Stadtwerke. Welche beschleunigte Wirkung hat die Energiekrise auf die Energiewende und auf die Stadtwerke einerseits und welche Entwicklungen werden andererseits ausgebremst?

Die Erfahrungen aus der Energiekrise mit Blick auf die Abhängigkeiten von russischen Gasimporten und die gestiegenen Energiepreise führen insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien und Wärmeversorgung zu einer Transformationsbeschleunigung. Klar ist: Stadtwerke sind bereit, weiterhin in Energiewende-Technologien zu investieren und die Versorgungssicherheit zu stärken. Entsprechend passen sie ihre Investitionsstrategien an und schauen auch, welche neuen Geschäftsfelder ausgebaut werden können. Ausgebremst werden Stadtwerke dort, wo es keine verlässliche Planungssicherheit gibt. Hier ist die Politik gefordert, dies zu ändern. 

Welche Eigenschaften haben Stadtwerke in den letzten Krisen ausgezeichnet und welche Rolle sollten aus Ihrer Sicht Stadtwerke im Zuge der Energiewende vor Ort in Zukunft einnehmen?

Stadtwerke waren und sind immer dort, wo sie gebraucht werden: vor Ort und nahe bei den Bürgerinnen und Bürgern. Sie haben ihnen Sicherheit gegeben in unsicheren Zeiten, haben ihnen die komplexen Regelungen zu den Energiepreisbremsen „übersetzt“ und die vielen Fragen durch immer ansprechbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kundencentern beantwortet. Auf sie ist Verlass, auch in schwierigen Zeiten. Deshalb kann ich nur sagen: Hut ab vor diesem Engagement! Stadtwerke können Krise. Sie können aber auch Zukunft gestalten. Und das werden sie in den nächsten Jahren verstärkt tun.

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW

EY und BDEW Stadtwerkestudie 2023

Wie die Stadtwerke mit neuen Strategien auf die Energiekrise reagieren.

Die Wärmewende ist für das Erreichen der energiepolitischen Ziele und den Weg hin zu einer Dekarbonisierung ein zentraler Baustein. Welche Chancen ergeben sich für Stadtwerke und wie sollten sich diese in die kommunale Wärmeplanung einbringen?

Die Wärmewende wird vor Ort umgesetzt. Stadtwerke kennen die Infrastrukturen in ihrer Region wie kein Zweiter. Sie sind die energiewirtschaftlichen Experten mit tiefer lokaler Verwurzelung. Deshalb sind sie für das Gelingen der Wärmewende unersetzbar. Kommunen und Stadtwerke müssen die Wärmewende gemeinsam mit allen relevanten Stakeholdern angehen, damit das Ergebnis aus einem Guss kommt. Die Chance für die Stadtwerke liegt darin, dass sie durch die Mitwirkung an der kommunalen Wärmeplanung eine solide Grundlage erhalten und erarbeiten, in welche Richtung sie investieren können und sollen. Dazu gehört die Wärmepumpe, aber auch die grüne Fernwärme und klimaneutrale Gase.

Stadtwerke können Krise, das haben sie in den zurückliegenden Krisenmonaten eindrücklich bewiesen. Sie können aber auch Zukunft gestalten. Und das werden sie in den nächsten Jahren verstärkt tun.

Stadtwerke stehen vor dem Hintergrund der Wärmewende vor einer großen strategischen Fragestellung in Bezug auf die Gasnetze. Die Gasnetzbetreiber reagieren bereits mit Verschiebungen von Investitionsentscheidungen. Welche Trends sehen Sie für die Gasnetze, deren Wirtschaftlichkeit und die Auswirkungen für die sinkende Anzahl Gaskunden?

 

Momentan besteht eine große Unsicherheit in Bezug auf die Gasnetze: Wir haben auf europäischer Ebene die Diskussion im Rahmen der Novellierung der Gasbinnenmarktrichtlinie mit der Frage des Ownership Unbundling. Und wir warten auf nationaler Ebene auf die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Dazu spielen noch die Regelungen zu 65 Prozent erneuerbare Energien bei neuen Heizungen im Rahmen der Novellierung des GEG mit hinein. Sicher ist: Je nach lokalen Gegebenheiten besteht die Transformation der Gasnetze aus drei unterschiedlichen Entwicklungsszenarien: der Weiternutzung bestehender Gasnetze für klimaneutrale Gase, dem Bau neuer Wasserstoffleitungen und der Stilllegung von Leitungen, wo Gasanwendungen nicht mehr benötigt werden. Hier brauchen wir einen flankierenden regulatorischen Ordnungsrahmen, der die Transformation der Gasnetze begleitet und den Unternehmen Planungssicherheit gibt. Auf dieser Basis können die Unternehmen entsprechend handeln.

 

Erwarten Sie vor diesem Hintergrund Veränderungen im Wettbewerb um Gaskonzessionen? Wird es weiter Wettbewerb geben?

 

Für eine planbare und gesamtwirtschaftlich effiziente Transformation muss der Betrieb von Gasnetzen und damit der Erwerb von Gasnetzkonzessionen auch zukünftig wirtschaftlich attraktiv sein, solange die Versorgung über ein Gasnetz unverzichtbarer Bestandteil der lokalen Energieversorgung ist. Auch in dieser Hinsicht brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen, der den Wettbewerb sinnvoll flankiert.

 

Nachhaltige Energieversorgungsstrukturen werden ein wichtiger Baustein und Standortfaktor für Kommunen sein. Kommunen sind also gut beraten, ihren Stadtwerken Spielräume zu lassen, diesen Standortfaktor auszubauen. Welchen Rat geben Sie den kommunalen Gesellschaftern? Was dürfen und was sollten sie von ihren Stadtwerken fordern?

 

Stadtwerke zählen zu den zentralen Akteuren und Treibern der Energiewende vor Ort. Diese Rolle wird in Zukunft noch weiter zunehmen – und damit auch die Aufgaben für die Stadtwerke. Deshalb sollten Kommunen ihre Stadtwerke auch in Zukunft eng einbinden. Sie sollten aber gleichzeitig berücksichtigen, dass mit diesen Aufgaben auch enorme Investitionen verbunden sind. Dafür brauchen Stadtwerke die notwendigen finanziellen Mittel. Deshalb kann es sein, dass Stadtwerke die Ausschüttungserwartungen ihrer Gesellschafter nicht immer werden erfüllen können. Darüber sollte gegebenenfalls auch gesprochen werden.

 

Die Preisgünstigkeit als eine Säule des energiepolitischen Dreiecks hat sich in den letzten Monaten fragil gezeigt. Sehen Sie die Gefahr, dass Energie zunehmend zum Luxusgut wird? Und welche Maßnahmen sind notwendig, um eine Trendabkehr zu erzielen?

 

Energie gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschen und darf deshalb auf keinen Fall zum Luxusgut werden. Als sich im Rahmen der Energiekrise steigende Energiepreise abgezeichnet haben, hat die Bundesregierung mit der Soforthilfe und den anschließenden Energiepreisbremsen schnell reagiert. Das war auch richtig so. Nicht sachgerecht war, dass sie bei der Umsetzung der Entlastung der Verbraucher – eine originär hoheitliche Aufgabe – die Energieversorger in die Pflicht nahm. On top zu ihrem eigenen Krisenmanagement mussten die Energieversorger dafür Sorge tragen, dass die Entlastungen bei den Verbrauchern ankommen. Die Umsetzung dieser Aufgaben hat insbesondere die Stadtwerke und regionalen Versorger an die Grenzen ihrer Ressourcen und ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Deshalb haben wir als Verband klargestellt: Dieses Delegieren staatlicher Aufgaben an die Energiewirtschaft muss eine einmalige Sache bleiben.

 

Die Trendabkehr bei den Energiepreisen sehen wir bereits: Der Wettbewerb ist wieder angelaufen und der Krisenmodus ist vorbei. Insofern denke ich, dass wir nun auf die marktwirtschaftlichen Prozesse vertrauen können und sollten.

Ganz grundsätzlich wünsche ich mir vom Gesetzgeber zwei Dinge: zum einen Weitsicht, die eine langfristige Planungs- und Investitionssicherheit für die Unternehmen ermöglicht, und zum anderen Praktikabilität mit Blick auf die sinnvolle und schnelle Umsetzbarkeit der Regelungen in der Praxis.

In der Stadtwerkestudie 2023 wird von den Teilnehmern immer wieder der Gesetzgeber kritisiert: Die Regelungsdichte nimmt immer stärker zu und getroffene Regelungen erfahren in immer kürzeren Abständen Anpassungen. Was wünschen Sie sich vom Gesetzgeber für das Gelingen der Klimawende?

Diese Kritik kann ich sehr gut nachvollziehen. Das Tempo wird immer schneller und die gesetzlichen Regelungen werden auch kleinteiliger und komplexer, das nehme auch ich so wahr. Im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren zu den Energiepreisbremsen mussten wir als Verband teilweise innerhalb von 24 Stunden mit einer fundierten Stellungnahme reagieren. So etwas geht natürlich nicht. Ganz grundsätzlich wünsche ich mir vom Gesetzgeber zwei Dinge: zum einen Weitsicht, die eine langfristige Planungs- und Investitionssicherheit für die Unternehmen ermöglicht, und zum anderen Praktikabilität mit Blick auf eine sinnvolle und schnelle Umsetzbarkeit der Regelungen in der Praxis. Dies gilt insbesondere für die nicht krisenbedingte Gesetzgebung und ist ein essenzieller Beitrag für das Gelingen der Energiewende und der Dekarbonisierung der Industrie und des Gebäudesektors.

Fazit

Kerstin Andreae ist seit November 2019 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Freiburg arbeitete sie bei verschiedenen Instituten und Unternehmen, bevor sie von 1999 bis 2002 Gemeinderätin im Gemeinderat der Stadt Freiburg war. 2002 wurde Andreae über die Landesliste der Partei „Bündnis 90/DIE GRÜNEN“ in den Deutschen Bundestag gewählt. Von 2002 bis 2007 war sie Mitglied im Finanzausschuss und kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN und von 2007 bis 2012 als wirtschaftspolitische Sprecherin tätig. 2012 wurde Andreae zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt. Ab 2017 war sie wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

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