Zwei Ingenieure und Konstrukteure diskutieren über die Berechnung von reiner Energie

„Die Energiewende findet im Verteilnetz statt“

Interview mit Susanne Fabry, Netzvorständin RheinEnergie AG


Überblick

  • Wie sieht eine zukunftsfähige Netzinfrastruktur aus?
  • Welche Entwicklung der Netzentgelte ist im Kontext der Energiewende zu erwarten?
  • Wie sollten sich Netzbetreiber organisationsbezogen und personell aufstellen?

Köln will bis 2035 klimaneutral sein – was heißt das für die Strom-, Gas- und Wärmenetze in Köln? Wie wirkt die RNG aktiv mit, um das Ziel zu erreichen?

Wir wirken mit, indem wir Netze ausbauen. Auch wenn wir in diesem Bereich schon viel machen, müssen wir den Netzausbau noch stärker vorantreiben. Im Rahmen unserer Asset-Strategie haben wir uns die Strom-, Gas- und Wärmenetze genau angeschaut. Wie sehen sie aktuell aus? Wie erweitern wir sie? Welche Rolle spielt das Gasnetz in Zukunft? Wie nutzen wir Gasinfrastruktur in Zukunft? Können wir eine Stadt wie Köln künftig komplett mittels Fernwärme und Strom mit Wärme versorgen? Das alles sind Fragen, die wir im Rahmen unserer Strategie bearbeitet haben.

Die Herausforderungen liegen auf der Hand. Um klimaneutral zu werden, müssen die Stromverteilnetze künftig deutlich mehr Last aushalten und auch die Fernwärmenetze ausgebaut werden. Auch die Rolle der Gasnetze ist in Diskussion. Dabei kommen wir aus einer Struktur, deren Ausbau in der Vergangenheit dem Bedarf eher folgte. Heute machen wir das strategisch anders, schauen mehr voraus und versuchen, eine ringförmige Struktur aufzubauen – was natürlich im städtischen Bereich nicht so einfach ist. Das beschäftigt uns sehr.

Die Netze für Strom, Erdgas, Wasserstoff und Wärme sollen zusammenhängend gedacht werden. Wie planen und steuern Sie Ihre einzelnen Netze derzeit bzw. welche Rolle nimmt die Sektorenkopplung bei Ihnen in der Netzplanung ein?

Jede Kommune ist aufgefordert, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen. In Köln haben wir ein zentrales Fernwärmenetz, das im Vergleich zu anderen Städten noch relativ klein ist, und zwei bis drei dezentrale Fernwärmenetze. Wir wollen einen inneren Ring aufbauen und diesen erweitern.

In Neubaugebieten geht es aufgrund des vermehrten Einsatzes von Wärmepumpen vor allem um die Stromnetze und Quartierslösungen – insbesondere bei der Erschließung größerer Gebiete. Es wird auch einen Zwischenbereich geben, wo wir nach jetzigem Stand mit Gasnetzen operieren werden. Diese müssen allerdings nach den jüngsten Gesetzesentwürfen ebenfalls grün werden.

Ein Vorteil ist, dass wir alle Medien – Strom-, Gas- und Wärmenetze – bei uns haben. Daher können wir die Netzinfrastruktur gemeinschaftlich betrachten. Unser Augenmerk liegt darauf, möglichst keine doppelten Infrastrukturen aufrechtzuerhalten.

Susanne Fabry, Netzvorständin RheinEnergie AG Susanne Fabry, Netzvorständin RheinEnergie AG

EY und BDEW Stadtwerkestudie 2023

Wie die Stadtwerke mit neuen Strategien auf die Energiekrise reagieren.

Die Wärmewende im Bestand wird es erfordern, in einem Ballungsraum unzählige Wärmepumpen, PV-Anlagen, Ladesäulen etc. in kurzer Zeit ins Stromnetz zu integrieren. Wie schaffen Sie das?

 

Im Innenbereich der Städte kann ich mir Wärmepumpen nicht vorstellen. Wir werden dort verstärkt auf Fernwärme setzen – das muss man ganz klar sagen. Auch bei der Ladeinfrastruktur ist sicher, dass es nicht für alle 250.000 Fahrzeuge eine eigene Ladesäule geben wird – die braucht es aber auch nicht. Mittel- und langfristig müssen wir aber das Stromnetz im Niederspannungsbereich ausbauen, um den Bedarf zu decken.

 

Wärmepumpen wird es eher im Bereich der Einfamilienhäuser geben. Dafür müssen Mittel- und Hochspannungsnetze ausgebaut werden. Auch durch Industrie- und Gewerbekunden, die von Gas auf Strom umstellen wollen, steigt der Bedarf. Hier wird noch viel Netzausbau erforderlich sein.

 

Digitalisierung und Flexibilität werden zentrale Stellhebel für die Integration der Energiewende in den Verteilnetzen darstellen – woran krankt es seit Jahren, dass der Rollout intelligenter Messsysteme und die Thematik „Steuerbarkeit“ inkl. „zustandsorientierte Netzentgelte“ nicht in Schwung kommen? Erwarten Sie sich durch die letzten politischen bzw. regulatorischen Veränderungen (u.a. GNDEW, Neuregelung § 14a EnWG) eine Beschleunigung?

 

Wir sind froh, dass die Bundesregierung den Smart-Meter-Rollout beschleunigen will und versucht, bürokratische Hemmnisse zu beseitigen. Für mich ist immer die Frage, was die Erwartungshaltung dabei ist. Auch als Netzbetreiber brauchen wir Smart Meter zur Steuerung, es wird jedoch nicht so sein, dass jeder Kunde ständig den Verbrauch ablesen kann.

 

Ein weiteres Thema ist der Preis, der gleich bleiben soll. Einen erheblichen Teil der Kosten für die Smart Meter soll der Netzbetreiber zahlen. Für den Bürger ist das schön, der Energiewende wird das jedoch nicht helfen. Es ist noch vollkommen unklar, wie dieses Geld für Smart Meter in die Regulierung eingepasst werden soll. Bei zwei Millionen Messpunkten sprechen wir über ein Investitionsvolumen von rund 100 Millionen Euro – zusätzlich zum Netzausbau. Das ist aus meiner Sicht zu kurz gedacht.

 

Hinzu kommt, dass die Marktkommunikation komplizierter wird. Natürlich werden wir Smart Meter ausrollen. Aber wenn jeder Kunde sich den Einbau unabhängig von unserer Planung wünschen darf, können wir den Ausbau nicht adäquat planen. Es macht die Sache komplizierter und ich bin nicht sicher, ob das den Rollout endgültig beschleunigt.

 

Die Netzentgelte für Haushaltskunden haben das Niveau von Beginn der Anreizregulierung erreicht. Sehen Sie die möglichen Effizienzpotenziale bei den Netzbetreibern vollständig abgeschmolzen und welche weitere Entwicklung der Netzentgelte erwarten Sie?

 

Die Netzentgeltregulierung stammt aus Jahren, in denen es darum ging, Effizienzen zu heben. Wir sind inzwischen schon sehr viel effizienter geworden. Nicht umsonst sind die Netzentgelte zwischenzeitlich deswegen gesunken. Mittlerweile steckt sehr viel Energiewende in der Infrastruktur, und die Netzbetreiber übernehmen viele zusätzliche Aufgaben seit Beginn der Anreizregulierung. Die Energiewende und damit der Netzausbau müssen uns etwas wert sein. Wir werden viel Geld dafür investieren, deshalb gehe ich von steigenden Netzentgelten aus.

Die Frage ist, ob wir im Niederspannungsbereich nicht künftig Flatrate-Netzentgelte sehen werden und sich bei den Commodities über die Preise Vorteile für die Kunden generieren lassen. Das Thema Netzentgelte bedarf einer Überarbeitung.

 

Welche Bedeutung wird der Fernwärmenetzausbau in Köln haben?

 

Der Fernwärmenetzausbau hat eine sehr hohe Bedeutung für unsere Klimaziele 2035. Die Ziele sind nur erreichbar, wenn viel Wärme zentral über grünen Wasserstoff erzeugt wird und durch den Netzausbau möglichst viele Haushalte angeschlossen werden. Es wird daher einen massiven Ausbau des Fernwärmenetzes geben.

 

Aktuell arbeiten wir daran, unser Gaskraftwerk in Niehl auf Wasserstoff-Beimischung und künftig komplett auf Wasserstoff umzustellen. Ebenso planen wir konkret zwei Großwärmepumpen, eine bis 150 MW Leistung. Auch Anlagen, die derzeit mit Braunkohle arbeiten, ersetzen wir durch Gas und gestalten sie H2-ready. In Zukunft wird auch die Klärschlammverbrennung eine Rolle spielen. Wenn wir unsere Wärmeerzeugung auf grün umbauen, können wir durch die zentrale Bereitstellung alle darüber versorgten Haushalte mit einem Schlag umstellen. So entfalten zentrale Energienetze ihre wahre Wirkung für die Energiewende gerade in Ballungsräumen.

 

Wie blicken Sie auf das Gasnetz? Werden Sie das Gasnetz in Köln rückbauen (müssen)? Mit welchen Ausspeisemengen rechnen Sie 2023? Wie werden sich Netzentgelte entwickeln?

 

Das Thema Netzentgelte spielt auch dabei eine zentrale Rolle und das kommunizieren wir deutlich in Richtung Bundesnetzagentur. Dafür muss die Politik Vorgaben machen, wie der Infrastrukturumbau eingepreist werden soll. Ein Teil der vorhandenen Rohrnetzinfrastruktur bleibt erhalten und lässt sich für grünen Wasserstoff nutzen. Die Politik muss sich Gedanken machen, wie man das Gasnetz umwidmen und ein stückweit auch zurückbauen kann.

 

Wenn ich Energiewende ernst meine, werden wir es ohne große Mengen an grünem Wasserstoff nicht schaffen – auch in den bisherigen Gasnetzen. Welcher Anteil des Gasnetzes dafür nutzbar ist, wird aktuell ermittelt. Das hängt auch damit zusammen, wie die Nachfrage der Kunden sein wird. Die komplexe Netzplanung ist nicht trivial.

 

Welchen Einfluss werden Rohstoffknappheit, Fachkräftemangel oder Lieferkettenprobleme auf den Ausbau und die Weiterentwicklung Ihrer Netze haben?

 

Wir merken deutlich, dass die Materialien und Dienstleistungen teurer werden. Das hat auch Einfluss auf unsere Investitionen. Darüber hinaus haben wir signifikant längere Lieferzeiten. Dauerte es bei einigen Teilen – beispielsweise Motoren – früher zwei Wochen, vergehen jetzt zum Teil sechs Monate bis zur Lieferung. Das ist schon eine Herausforderung.

 

Was die Fachkräfte angeht, ist klar: Wir brauchen Zuwanderung. Wir reißen uns jetzt schon um die Fachkräfte. Aktuell sind wir sehr anspruchsvoll in unseren Ausbildungsgängen und ziehen Menschen mit guter Schulbildung an. Dennoch hinterfragen wir den hohen Standard in den Prüfungen und Anforderungen.  Vor allem im technischen Bereich bauen wir daher die Ausbildung aus und um: Hin zu einer passgenaueren Ausbildung. Daher haben wir auch wieder angefangen, zweijährige Ausbildungsgänge anzubieten. Nicht jeder muss alles können. Wenn ich Betriebselektroniker bin, muss ich nicht eine komplette Hausanlage digital planen und steuern können. Da muss ich genau hinschauen: Welche Menschen brauche ich wofür? Ein Vorteil: Viele, vor allem junge Menschen interessieren sich wahnsinnig für die Umsetzung der Energiewende. Dieses Interesse spüren wir: Viele finden es spannend, aus diesem Grund bei uns zu arbeiten.

 

Es geht aber auch darum, die Organisation zukunftsfähig für den Netzausbau zu machen. Weg vom Silodenken hin zu einer verzahnten agilen Arbeitsweise und einer Projektorientierung. In den vergangenen Jahren haben wir die Führungsstruktur konsequent daraufhin angepasst. Transparenz, Kommunikation auf Augenhöhe, eine agile Arbeitsweise und crossfunktionale Teams, die an kundenorientierten Prozessen arbeiten, sind uns wichtig. Auch viele altgediente Mitarbeiter lassen sich mitreißen und erkennen den Mehrwert – auch wenn sie zu Beginn vielleicht skeptisch gegenüber den neuen Arbeitsweisen waren. Ein klassisches Beispiel sind Planung und Bau. Nicht alles, was früher „im stillen Kämmerlein“ geplant wurde, ließ sich in der Praxis auch baulich umsetzen. Dort zeigen sich die Vorteile einer frühzeitigen organisationsübergreifenden Zusammenarbeit sehr deutlich. Wir arbeiten daran, dass wir einer der modernsten Netzbetreiber Deutschlands werden.

Die regulatorischen Anforderungen an Netzbetreiber sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen – wie sehr bremsen regulatorische Themen Ihre strategische Weiterentwicklung ein?

Wichtig ist, dass man die Strategie hält und sich immer wieder darauf besinnt. Wir werden künftig noch viel mehr Wert auf unsere Asset-Strategie legen und den Bereich Planen und Bauen operativer auslegen.

Was uns bremst, sind die vielen Vorschriften – es wird immer undurchsichtiger. Bringt das wirklich Mehrwert für den Wettbewerb? Netzbetreiber neigen dazu, alles hinzunehmen und umzusetzen. Diese Kapazitäten – vor allem, was die steigenden Anforderungen bei Abrechnungen angeht – könnten wir meiner Meinung nach deutlich besser für vorrausschauende Netzplanung nutzen. Mich beschäftigt daher vor allem, wie wir das System entschlacken können.

Das Thema Cybersicherheit gewinnt in der kritischen Infrastruktur zunehmend an Bedeutung. Wie bewerten Sie die erfolgreichen Angriffe der vergangenen Jahre auf Energieversorger und welche Auswirkungen hatten die Berichte und gegebenenfalls selbst abgewehrte Angriffe auf den Stellenwert von Cybersicherheit bei RheinEnergie?

Der Schutz vor Angriffen ist elementar – da schaut unsere IT-Sicherheit genau hin und der Stellenwert ist dementsprechend hoch. Cybersicherheit ist aber nur eine Komponente. Datensicherheit ist auch ein großes Thema. Oft hängt es an einzelnen Menschen. Dabei geht es auch um so simple Dinge wie die Sperrung der Rechner, wenn der Arbeitsplatz verlassen wird, oder den Zugang zu Gebäuden. Das sind simple Einfallstore und dafür sensibilisieren wir unsere Mitarbeitenden.

Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welcher wäre das?

Die Bundesregierung sollte uns als Partner bei der Energiewende wahrnehmen und anerkennen, dass die Energiewende im Verteilnetz vor Ort stattfindet. Es funktioniert nur, wenn wir alle partnerschaftlich unterwegs sind. Und es geht nicht nur um Verbraucherschutz, sondern auch um den Stellenwert, den die Verteilnetze bei der Energiewende haben.

Außerdem wünsche ich mir, dass die Bundesregierung näher an die kommunale Ebene heranrückt und die Dinge so anpackt, dass sie vor Ort pragmatisch funktionieren und nicht bürokratisch gebremst werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Fazit

Susanne Fabry ist Netzvorständin der RheinEnergie AG. Die Juristin mit MBA in European Utility Management verantwortete zuvor als Head of Regional Market, Energy Networks Germany bei E.ON SE die Koordinierung und strategische Ausrichtung der großen deutschen E.ON-Regionalunternehmen. Davor arbeitete sie u. a. als Geschäftsführerin der Avacon Netz GmbH, als Leiterin Netzwirtschaft bei der Westfalen Weser Netz GmbH und als Head of Legal bei E.ON in Tschechien. Sie ist seit vielen Jahren in verschiedenen Netzgremien im BDEW wie auch im DVGW und im AGFW aktiv.

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