Junges Team von Wartungsingenieuren bei der Arbeit in einem Windkraftpark bei Sonnenuntergang

„Das Wie der Energiewende ist nicht zu Ende gedacht“

Interview mit Siegfried Müller, Geschäftsführer der Stadtwerke Lippstadt GmbH


Überblick

  • In welchen Bereichen können Stadtwerke auf nachhaltige Zuwächse hoffen?
  • Wie viel „Krise“ haben Stadtwerke 2022 wirklich erlebt?
  • Warum sind Preissubventionen kontraproduktiv?

Wenn Sie auf die letzten drei Krisenjahre zurückblicken, insbesondere das letzte Jahr der Energiekrise, wie sehr waren Sie in Lippstadt mit dem operativen Krisenhandling beschäftigt? Sind deshalb Themen Ihrer strategischen Agenda liegen geblieben?

Manche Projekte haben in der Zeitfolge etwas gelitten. Wie viele andere haben wir uns intensiv mit dem Thema Gasmangel auseinandergesetzt, bis hin zu Gasnotfallplänen. Wir haben mit unseren zahlreichen industriellen Kunden gesprochen. In den Krisenstäben mit den Kreis- und den städtischen Behörden wurde viel Zeit in das Thema Stromversorgung und Blackout investiert – und in die Beantwortung der Frage, wie gut wir in der Notstromversorgung aufgestellt sind. Das an diesen Stellen aufgebotene Personal stand dann entsprechend nicht für andere Themen rund um Energiewende und Dekarbonisierung zur Verfügung.

Und dann gab es ja noch die Themen von politischer Seite, Beispiel Gasumlage. Kommt sie, kommt sie nicht? Hier haben wir viel Zeit in die Kommunikation mit unseren Kunden investiert, aber natürlich waren auch unsere Kaufleute mit den Vorbereitungen befasst. Also, da ist schon einiges liegen geblieben, was wir uns für das Jahr vorgenommen hatten. In vielen Teilen sind Projekte aber auch weitergelaufen, zum Beispiel die Planung von Windparks, die Beauftragung für Gutachten und so weiter. Es war ein anspruchsvolles Jahr, aber ich glaube, es war für die Energiewirtschaft zu meistern – zumal wir von vornherein gesehen haben, dass 2022 eigentlich wenig Probleme zu erwarten sind, sondern die größeren Probleme für die Energiewirtschaft und für die Stadtwerke eher 2023 anstehen.

Bestätigt sich diese Annahme nach den ersten Monaten des Jahres?
[Anm. der Redaktion: Das Interview fand Ende Februar statt]

Ja, bislang entwickelt es sich genauso, wie wir uns das ausgemalt haben. Wir sind gut vorbereitet und sehen keine Probleme, haben im letzten Jahr etwa intensiv auch das Thema Liquidität betrachtet. Wir wussten durch unsere Beschaffungspunkte relativ früh, wie hoch unsere Gasrechnung im Januar und Februar sein würde. Und wir wussten mehr oder weniger auch relativ frühzeitig, wie viel Geld wir unseren Kunden im Zuge der Jahresendabrechnung erstatten müssen. In dieser Auseinandersetzung mit der Liquidität haben wir zwei Szenarien betrachtet: 1. Es kommt eine Gasmangellage, die zu sehr hohen Preisen führt, vor allem im Gasbereich, und die im Januar, Februar, März ein hohes Risiko im Bereich der Beschaffung mit sich bringen würde. 2. Die Lage entspannt sich. Der Winter bleibt relativ warm, die Preise gehen zurück, der Wettbewerb im Gasbereich springt frühzeitig wieder an. Nachdem dieses zweite Szenario so zu sehen war, fühlen wir uns im Moment sicher, auch mit dem Wettbewerb. Damit ist allerdings auch klar, dass wir den Preis des ersten Quartals nicht werden halten können. 

Siegfried Mueller
Siegfried Müller, Geschäftsführer der Stadtwerke Lippstadt GmbH

EY und BDEW Stadtwerkestudie 2023

Wie die Stadtwerke mit neuen Strategien auf die Energiekrise reagieren.

Junge Bäuerin geht durch einen Solarpark

Haben die Eindrücke der Energiekrise dazu geführt, dass Sie Ihre strategische Sicht auf Geschäftsfelder verändert haben? Welchen Einfluss haben die Rohstoffknappheit oder Lieferkettenprobleme auf die Weiterentwicklung von Geschäftsfeldern und welchen Einfluss haben sie auf das Kerngeschäft?

 

Unsere Geschäftsfelder verändern sich nicht. Wir sind ein Querverbundunternehmen, kommunal getragen durch die Stadt Lippstadt, tätig in den Sparten Gas, Wasser und Strom. Wasser ist eine stabile Sparte, da verändert sich nichts. Im Gasbereich erwarten wir natürlich ein Stück weit einen Rückgang der Absatzmengen. 2022 haben wir in diesem Kontext für unser Haus entschieden, dass wir generell auf Erschließungsmaßnahmen für Gas in Neubaugebieten verzichten. Bei den letzten beiden Baugebieten, die wir 2021/22 noch erschlossen haben, zeigte sich, dass die Anschlussquote bei Gas deutlich unter 10 Prozent liegt. Die Gasheizung wird durch Wärmepumpe, Photovoltaik und Co. ersetzt und das ist auch der richtige Weg. Im Wohnungsbestand wird immer noch Gas nachgefragt, aber die Anschlussquote geht auch hier zurück. Dennoch gehe ich davon aus, dass die ambitionierten Ziele der Politik bis 2030 nicht funktionieren werden. Wir werden auch 2050 noch Gas in Deutschland verteilen.

 

Auf den rückläufigen Gasbedarf und auch auf Themen wie Fachkräftemangel oder Umbau von Anlagen stellen wir uns ein. Einen Zuwachs hingegen sehen wir in den nächsten Jahren beim Strom. Das bedeutet viele Investitionen im Verteilnetz durch den Zubau der Anlagen für erneuerbare Energie sowie durch die Steuerung und den Ausbau der Smart Meter. Damit gehen selbstverständlich Herausforderungen einher. Unsere Lager sind zwar immer gut gefüllt, aber wir sehen auch einen eklatanten Preisanstieg, beispielsweise bei Transformatoren, und machen die ungewohnte Erfahrung, dass wir jetzt auch mal zwölf Monate auf Transformatoren warten müssen, wodurch sich Projekte verzögern können. All das führt jetzt aber nicht zu der Erkenntnis, Geschäftsfelder zu wechseln oder neue aufzubauen. Wir wissen, was wir können – und viele neue Geschäftsfelder erscheinen uns nicht nachhaltig. Dass wir nicht von Wärme-Contracting oder dem Contracting von Photovoltaikanlagen träumen, ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass wir ein Mittelstandsunternehmen und relativ schlank aufgestellt sind. Diese neuen Geschäftsfelder würden natürlich Personalaufbau erfordern – ohne den geht es nicht.

 

In unserer Befragung blicken 100 Stadtwerke wirtschaftlich skeptisch auf die nächsten Monate. Wie schätzen Sie die Situation für die Stadtwerke Lippstadt ein und welche Werte der Stadtwerke Lippstadt haben sich in den letzten Jahren als krisenfest bewiesen?

 

Wir blicken relativ positiv und auch entspannt nach vorn. Ich glaube, dass vor allem im letzten Jahr – medial getrieben und politisch aufgegriffen – ein vollkommen falscher Eindruck entstanden ist. Machen wir es einmal am Beispiel Lippstadt fest: Wir haben 2022 die Preise nicht verändert. Am Ende haben wir den Gaspreis sogar gesenkt, nachdem die Mehrwertsteuer reduziert wurde. Man sollte sich vor Augen halten, dass die Einwohner Lippstadts erst 300 Euro im September erhalten haben, dann den Dezemberabschlag, die EEG-Umlage wurde gesenkt und die Mehrwertsteuer. Letzteres wirkt nicht nur für drei, sondern für zwölf Monate. Das hat schließlich dazu geführt, dass wir unseren Kunden 14 Millionen Euro erstattet haben. Anzuerkennen ist selbstredend das Sparverhalten der Kunden. Gleichzeitig war das letzte Jahr aber auch deutlich wärmer als die Vorjahre. Insgesamt haben wir kein Problem gesehen, was sich in dem guten Jahresergebnis 2022 bestätigt. Auch außerhalb von Lippstadt glaube ich nicht, dass die Stadtwerke 2022 große Probleme hatten.

Wie lässt sich das begründen?

Zum einen sehen wir ja die guten Ergebnisse für 2022. Was soll denn jetzt, 2023, anders sein? Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Die Risiken, die diskutiert wurden und werden und die es zweifellos gibt, die haben wir doch in unsere Preise einkalkuliert – vorausgesetzt dass ordentlich gearbeitet wurde. Wir etwa haben uns im Einkauf viele Gedanken gemacht, insbesondere dazu, dass wir wohl teuer nachkaufen und unter Umständen günstig wieder verkaufen müssen. Wir haben uns auch im Rahmen unserer Preisgestaltung darauf vorbereitet, dass wir Verluste durch uneinbringliche Forderungen bei Kunden zu verzeichnen haben.

Was ich mir eher vorstellen kann, ist, dass einige Unternehmen gewisse Liquiditätsprobleme im Zuge der Gaspreisbremse bekommen. Wir müssen die Rechnung im Januar, Februar oder März zahlen, während die Erstattung vom Staat vielleicht erst Ende März kommen. Da fehlen dem ein oder anderen womöglich vorübergehend ein paar Millionen in der Liquiditätslinie, was es zu überbrücken gilt. Aber im Jahresergebnis wird sich das nicht spiegeln.

Was erwarten Sie bei den Preisentwicklungen für Endverbraucher? Kommen die derzeit sinkenden Großhandelspreise bei ihnen an – oder sind sie die Verlierer der stark schwankenden Preise?

Wir werden die Preise für Strom und Gas im Mai senken – allerdings nicht so deutlich wie manch anderer Versorger. Ich denke mir meinen Teil, wenn der Strompreis von 0,62 auf 0,42 Euro sinkt oder der Gaspreis von 0,28 auf 0,18 Euro. Wir bewegen uns eher im einstelligen Bereich, merken im Moment aber auch sehr stark, dass der Wettbewerb bei Gas beginnt. Insgesamt glaube ich, dass die Kunden, auch in Lippstadt, sehr wohl vernommen haben, was wir als Stadtwerke leisten und wie wir agieren. Wir werden die Preissenkungen zum Beispiel auch an Kunden mit Preisbindungen in ihren Verträgen weitergeben.

Die Motivation dahinter ist Kundenbindung? Wie wichtig ist diese für Sie und wie erfolgreich sind Sie damit angesichts einer unverkennbar gestiegenen Wechselbereitschaft der Kunden?

Wir pflegen seit 20 Jahren eine Geschäftsphilosophie: Wir wollen keinen Gewinn machen. Es gibt eine Art stilles Agreement zwischen Gremien, Stadtrat und Geschäftsführung, wonach wir versuchen, möglichst günstige Tarife für Privatkunden und Industrie zu bieten. Wir nennen das Standortsicherung und Wirtschaftsförderung. Die Idee dahinter ist, durch günstige Standortbedingungen Zuwachs an Gewerbe und Bevölkerung und dadurch höhere Gewerbesteuereinnahmen und höhere Einkommensteueranteile etc. zu generieren. Die Aussage zum Gewinn ist immer relativ, hat aber dazu geführt, dass wir als Stadtwerke in den vergangenen 15 Jahren keine Vollausschüttung durchgeführt haben. Sicherlich hat die Stadt einen Gewinnanteil auf ihr Stammkapital erhalten, aber alles, was darüber hinaus erwirtschaftet wurde, ist bei uns verblieben – mit dem Ergebnis einer Eigenkapitalquote von knapp unter 50 Prozent. Dementsprechend gelingt es bei Investitionen mit Fremdkapitalbedarf vergleichsweise leicht, diese Mittel zu bekommen.

Wo sehen Sie sich in Ihrem Leistungsportfolio im Jahr 2030? Wie wird das Produktspektrum aussehen?

Vor allen Dingen werden wir in die Infrastruktur investieren. Ich sehe unsere primäre Aufgabe als Stadtwerke darin, ein Netz zur Verfügung zu stellen, damit die Energiewende funktioniert. Dafür brauchen wir aber mehr Klarheit und Planbarkeit, denn bei der Intensität des Zubaus der erneuerbaren Energien kommen auch wir so langsam an die Leistungsgrenze. Und doch gibt es keine Alternative.

Produktseitig werden wir weiter Energie, nach meiner Lesart aber keine Wärme vertreiben. Ja, wir bauen auch Ladesäulen, aber daran kann man als Stadtwerke weder Rendite noch Spaß finden. Als Ingenieur bin ich von der Technologie nicht überzeugt – ebenso wenig wie übrigens von Wasserstoff als Energieträger in der Größenordnung unserer Gasverteilung. Vor allen Dingen glaube ich auch nicht, dass die Masse der Ladevorgänge im öffentlichen Bereich stattfindet. Das geschieht eher beim Arbeitgeber oder zu Hause.

Wo sehen Sie angesichts dieser sicherlich berechtigten Skepsis Möglichkeiten für die erforderliche Dekarbonisierung?

Zum einen sind viele Stadtwerke anders aufgestellt als wir, weshalb sich die Antworten hier unterscheiden dürften. Wenn ich im Ruhrgebiet auf Fernwärme setzen kann, sollte ich das natürlich tun. Da Lippstadt kein Fernwärmenetz hat, bietet sich das für uns nicht an, ebenso wenig die Nutzung industrieller Abwärme. Bessere Möglichkeiten, Energie zu sparen, sehe ich in mehr Energieeffizienz. Neubauten nach KfW-40- oder KfW-55-Standard kann man mit einer Flächenheizung, Solaranlage und Wärmepumpe problemlos beheizen. Der Bestand ist bekanntermaßen eine wahnsinnige Herausforderung. Wenn ich heute ein Wärmenetz plane, kann ich nicht die Verbräuche von heute zugrunde legen – ich muss mit künftigen Verbräuchen rechnen.

Ein ganz wesentlicher Hebel ist zudem die Preisgestaltung. Für die Wärme- bzw. Energiewende konnte uns eigentlich nichts Besseres passieren als höhere Preise. Wir machen – überspitzt formuliert – kaum etwas anderes mehr, als Anträge für Solaranlagen zu unterschreiben. Warum ist das so? Klar, die Anlagen rechnen sich bei einem Strompreis von knapp unter 40 Cent. Und bei einem Gaspreis von 20 Cent denken Sie auch eher darüber nach, Ihr Gebäude zu isolieren, um weniger Energie zu verbrauchen. Das war bei 5 Cent grundlegend anders. Das Problem dieser Preisstellung sind die sozialen Verwerfungen, weil eine Vielzahl der Menschen diese Preise nicht bezahlen kann. Umso wichtiger ist es, klarzumachen: Die Energiewende kostet Geld, viel Geld, weil wir momentan zwei Energiesysteme vorhalten.

Was uns direkt zu dieser Frage führt: Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welche wäre das?

Es geht darum, genau diese Tatsache deutlich zu kommunizieren. Wir sagen es schon länger: Der Preis muss viel höher sein. Frühere Generationen haben etwa beim Hausbau nicht ansatzweise über die Energiekosten nachgedacht. Energie war ja günstig. Nun ist sie teuer und wir denken darüber nach. Doch jetzt subventionieren wir das Ganze auch mit Hunderten von Milliarden Euro. Wenn Energie wieder billiger würde, kämen wir nicht voran. Das ist ein elementares Problem. Es müsste eigentlich teuer bleiben. Dann wiederum muss man sich überlegen, wie man die Menschen mitnimmt, die es sich nicht leisten können. Denn die größte soziale Ungerechtigkeit, die dieses Land die letzten 20 Jahre hervorgebracht hat, ist die Energiewende.

Dass sie alternativlos ist, steht außer Frage, doch das Wie ist nicht zu Ende gedacht. Einsparungen, ob bei Wasser, Gas oder Strom, führen vorerst zwangsläufig zu höheren Preisen. Man mag an der Ressource selbst sparen, aber Fixkosten, Personalkosten etc. bleiben oder erhöhen sich in der Folge sogar, um die Infrastruktur zu erhalten. Das muss den Menschen offen und ehrlich gesagt werden – nur so können wir sie mitnehmen. Das ist nicht zu verwechseln mit Panikmache, von der wir momentan auch einiges sehen. Gewiss würde es helfen, Vertreter von Energieversorgern hier aktiv einzubinden – am besten schon bei der Entwicklung von Ideen und Maßnahmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Fazit

Siegfried Müller startete seine berufliche Laufbahn nach Abitur und Studium an der TU Dortmund 1992 bei den Technischen Werken am Rhein in Ludwigshafen. Im Jahr 1994 wechselte er zu den Stadtwerken Lippstadt, wo er die Aufgabe des Betriebsleiters Stromversorgung übernahm – und damit zu der Zeit, als die Stadtwerke Lippstadt zum 1. Januar 1995 im Zuge der Rekommunalisierung das Stromversorgungsnetz von der damaligen VEW erworben hatten und somit ein neuer Betriebszweig im Unternehmen entstand. Seit Oktober 2001 hat er die Alleingeschäftsführung der Stadtwerke Lippstadt inne, seit 2005 führt er parallel die Stadtentwässerung Lippstadt AöR. 

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