Seit geraumer Zeit versucht der Fiskus, steuervermeidende Gestaltungen im Zusammenhang mit grundbesitzenden Gesellschaften zu verhindern. Die mit der Grunderwerbsteuer aus dem Jahr 2021 einhergehende Verlängerung der Haltefristen und Senkung der schädlichen Beteiligungsgrenze sollte Gestaltungsmöglichkeiten weiter einschränken und eine umfassende Besteuerung sicherstellen. Doch es blieb eine Reihe von Anwendungsfragen offen und der Steuerpflichtige im Unklaren. Die Verwaltung hat nun mit den gleichlautenden Ländererlassen vom 10. Mai 2022 ihre Ansicht zu den Anwendungen der Ergänzungstatbestände § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG verlauten lassen. Die Erlasse sollen im Falle der Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG bereits in allen offenen Fällen, im Falle der Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG für alle Erwerbsvorgänge nach Inkrafttreten der Grunderwerbsteuerreform angewendet werden. Unternehmen und Konzerne mit Beteiligungen an grundbesitzenden Gesellschaften stehen damit vor einer Mammutaufgabe.
Zurechnung von Grundstücken
Die neuen Erlasse enthalten Grundsätze der Zurechnung von Grundstücken zu den jeweiligen Gesellschaften. Sie besagen, dass ein Gesellschafter, der mindestens 90 Prozent der Anteile an einer anderen Gesellschaft hält, für grunderwerbsteuerrechtliche Zwecke so zu behandeln ist, als wäre er selbst Eigentümer des Grundstücks. Daraus könnte die Finanzverwaltung ableiten, dass bei mehrstöckigen Strukturen mehrfach Grunderwerbsteuer ausgelöst wird, da die Grundstücke vielfach zugerechnet werden könnten. Diese Problematik ist nicht neu und tritt zumindest theoretisch bei der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG auf, bei der eine Mehrfachzurechnung in einer Beteiligungskette grundsätzlich denkbar wäre. In diesem Zusammenhang spricht gegen eine Mehrfachbesteuerung allerdings, dass der mittelbare Gesellschafterwechsel explizit geregelt wurde und somit eine mehrfache Zurechnung bei mittelbaren Beteiligungen subsidiär ist.
So verhält es sich auch in Bezug auf die beiden Ergänzungstatbestände § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG, die bei einem mittelbaren Gesellschafterwechsel unter gewissen Voraussetzungen eine Besteuerung vorsehen. Aber wenn es sich lediglich um ein grundstücksbezogenes Rechtsgeschäft handelt, spricht einiges dafür, dass nur einmal Grunderwerbsteuer ausgelöst werden kann.
Verhältnis von Abs. 2a und Abs. 2b des § 1 GrEStG
Eine Mehrfachbesteuerung wird aus Sicht der Finanzverwaltung für denkbar gehalten, wenn bei einer hundertprozentigen, unmittelbaren Beteiligung der G-KG an der grundbesitzenden G-GmbH der Grundbesitz der G-GmbH der G-KG zugerechnet würde.
Im Ergebnis würde bei einer Übertragung der Beteiligung des Altgesellschafters auf den Neugesellschafter auf der Ebene der tatsächlich grundbesitzenden G-GmbH ein Tatbestand gem. § 1 Abs. 2b GrEStG verwirklicht. Bei Zurechnung des Grundstücks zur G-KG würde ebenfalls § 1 Abs. 2a GrEStG verwirklicht, ohne dass ein Ergänzungstatbestand vorrangig anzuwenden wäre. Sollte die Finanzverwaltung in ähnlich gelagerten Fällen tatsächlich eine Mehrfachbesteuerung annehmen, ist es dringend ratsam, Einspruch einzulegen und eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken.
Anrechnungsmöglichkeit
Seit Inkrafttreten der Grunderwerbsteuerreform ist eine Anrechnung nicht mehr möglich, wenn eine Käufergesellschaft Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft erwirbt und diese anschließend auf die Käufergesellschaft verschmolzen wird. Dadurch, dass nunmehr eine Besteuerung des Anteilserwerbs nach § 1 Abs. 2b GrEStG erfolgt und der Käufer auf der Ebene der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft in Form einer „fiktiven neuen“ grundbesitzenden Kapitalgesellschaft angenommen wird, scheidet streng genommen eine Anrechnung nach § 1 Abs. 6 GrEStG mangels Erwerberidentität aus.
Anteilsbegriff
Nach der neuen RETT-Blocker-Struktur müssen mindestens 10,1 Prozent für zehn Jahre beim Verkäufer verbleiben. Daher ist es nun nicht unüblich, dass der Verkäufer Stimmrechte behält, um auf der Ebene der grundbesitzenden Gesellschaft (allein) entscheidungsbefugt zu sein. Die Finanzverwaltung macht jetzt klar, dass es nicht auf die mit den einzelnen Anteilen verbundene Rechtsmacht ankomme. Vorzugsaktien seien nicht anders zu behandeln als mit Stimmrecht ausgestattete Aktien. Ungeachtet dessen kann es sich empfehlen, bei sogenannten preferred shares die Ausgestaltung der Gesellschafterrechte genau zu prüfen,
um eine Steuerbarkeit zu vermeiden. Hier kann es ratsam sein, eine verbindliche Auskunft einzuholen.
Verkürzung der Beteiligungskette
Die Verkürzung der Beteiligungskette von Kapitalgesellschaften (z. B. durch Verschmelzung, Ausschüttung oder Verkauf) war vor dem Inkrafttreten der Grunderwerbsteuerreform nicht steuerbar, sofern bereits eine Beteiligung in Höhe von mindestens 95 Prozent bestanden bzw. sich die Beteiligung nicht erstmals auf mindestens 95 Prozent erhöht hat. Es war also unerheblich, ob es sich um eine unmittelbare oder um eine mittelbare Verkürzung handelte. Durch die Neuregelung gilt: Wie bei grundbesitzenden Personengesellschaften ist nur noch eine mittelbare Verkürzung der Beteiligungskette unschädlich, da die Gesellschafter weder Alt- noch Neugesellschafter in Bezug auf die grundbesitzende Kapitalgesellschaft sein können.
Bei unmittelbarer Anteilsübertragung an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft unterliegt die Verkürzung der Grunderwerbsteuer.
Untersagung des Formwechsel-Modells
An mehreren Erlassbeispielen wird deutlich, dass die Finanzverwaltung die Anwendung des sogenannten Formwechsel-Modells in unmittelbaren wie auch in mittelbaren Strukturen verhindern will. Dies kollidiert jedoch mit dem Gesetzeswortlaut. So werden Anteilseignerwechsel bei der Besteuerung von Personengesellschaften nach § 1 Abs. 2a GrEStG und Kapitalgesellschaften nach § 1 Abs. 2b GrEStG einzig in Bezug zur jeweiligen Rechtsform gesetzt. Eine Kombination aus beiden Normen – wie sie die Finanzverwaltung gelten lassen will – ist nicht vom Gesetzeswortlaut gedeckt. Die Finanzverwaltung rechnet entgegen geltendem Recht in den Erlass-Beispielen die Übertragungen unter den jeweiligen unterschiedlichen Rechtsformen zusammen, sodass die 90-Prozent-Schwelle ggf. als erreicht angesehen wird. Eine Besteuerung soll sodann gemäß demjenigen Ergänzungstatbestand erfolgen, der der gewechselten Rechtsform entspricht. Diese Auslegung der Finanzverwaltung sollte stets im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens angefochten werden.