Die Immobilienwirtschaft bewegt sich in ungewohnt unruhigem Fahrwasser. Während ESG, Inflation und Pandemie die weithin sichtbaren Wellen schlagen, sorgen weitere, vor allem steuerliche Entwicklungen ebenfalls für unruhigen Seegang. Es gilt, sich mit ihnen vertraut zu machen, um bestmöglich navigieren zu können. Immerhin hat sich die Immobilienwirtschaft bis zuletzt als robust erwiesen, wie das Rekordtransaktionsvolumen 2021 zeigt. Und doch gibt es angesichts der anstehenden Herausforderungen keinen Anlass, sorglos zu sein. Insbesondere die ökologische Transformation muss die Immobilienwirtschaft aus ureigenem Interesse jetzt voll annehmen. Andernfalls droht im Gebäudesektor, der für ein Gros aller Kohlenstoffdioxidemissionen verantwortlich ist, eine nicht zu unterschätzende Abqualifizierung der Assets.
Bewusstsein
Die gute Nachricht ist, dass die Branche sich dessen bewusst ist. Das belegen sowohl das Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2022 als auch der im Dezember 2021 veröffentlichte ESG-Snapshot von EY Real Estate. So erwarten 100 Prozent der für den ESG-Snapshot befragten Marktteilnehmer, dass Anleger künftig überwiegend in nachhaltige Immobilienprodukte investieren werden. Laut Trendbarometer erkennen mit 98 Prozent fast alle Investoren die Gefahr von Stranded Assets, also aufgrund von Nachhaltigkeitsaspekten unverkäuflichen, nicht refinanzierbaren Immobilien.
Spielraum
Die Frage nach dem Wie fällt jedoch weniger eindeutig aus. Viele Marktakteure sind mit Blick auf die Umsetzung der neuen Vorgaben unsicher, vieles ist nicht abschließend definiert. Das sollte jedoch nicht nur als Nachteil verstanden werden. Vielmehr eröffnet es der Branche Gestaltungsspielraum. Diesen sollte sie dringend nutzen. Hier ist gerade ein Blick auf die steuerlichen Gegebenheiten unausweichlich.
Anreize
Die Notwendigkeit der nachhaltigen Transformation kann heute als gesellschaftlicher Konsens bezeichnet werden. Es liegt daher auch im Interesse der Politik, wirkungsvolle und vor allem steuerliche Anreize zu setzen, dass unser Sektor den eingeschlagenen Weg weitergehen kann. Denn ohne solche Anreize wird es kaum gehen. Gerade jetzt, wo der Handlungsdruck immer größer wird, ist angesichts massiv gestiegener Bau- und Materialkosten und eines kurzfristig kaum zu behebenden Handwerkermangels der Korridor zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit für Immobilienunternehmen ausgesprochen schmal geworden. Aufmerksamkeit verdienen die zahlreichen Steuervorhaben, die im Koalitionsvertrag formuliert, angestoßen oder gar schon wirksam geworden sind und die Immobilienmarktteilnehmer im Blick haben müssen – von Änderungen bei der Grunderwerbsteuer über Anpassungen der Gewerbe- und Einkommensteuer bis hin zu Mieterstrom und Wohngemeinnützigkeit.
Zahlreiche Bedarfe
Der Bedarf an Wohnraum bleibt ungebrochen. Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln aus dem Jahr 2019 zufolge müssten bundesweit jährlich rund 350.000 neue Wohnungen entstehen. Zwischen 2016 bis 2018 wurden in den sieben größten Städten aber gerade einmal 71 Prozent der benötigten Wohnungen fertiggestellt. Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt am Main erreichten Quoten von über 78 Prozent, Stuttgart und München kommen dagegen nur auf 56 bzw. 67 Prozent. Mitte Februar dieses Jahres ging Bundesbauministerin Klara Geywitz daher auch von einem jährlichen Bedarf von rund 400.000 Wohnungen aus, davon rund ein Viertel Sozialwohnungen, und versprach Anpassungen bei Förderprogrammen und Rechtssicherheit. Ungebrochen ist auch der Fachkräftemangel. Unter dem Dach des Essener RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung wurde in einer Studie der Wohnungsbedarf in Deutschland bis zum Jahr 2035 allein für Fachkräfte errechnet. Demnach werden in den kommenden 14 Jahren pro Jahr rund 300.000 zusätzliche Wohnungen benötigt, um den prognostizierten Fachkräftezuzug aus dem Ausland unterzubringen. Weiteren Wohnraumbedarf lösen Flüchtlingsströme aus.