Für den Fiskus hat die Sicherung des deutschen Steuersubstrats hohe Priorität. Im Zuge der Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD) in nationales Recht vor gut zweieinhalb Jahren kam es insbesondere im Bereich der Wegzugs- und Hinzurechnungsbesteuerung zu tiefgreifenden Anpassungen. Allerdings ließ das ATAD-Umsetzungsgesetz (ATAD-UmsG) viele Anwendungsfragen offen. Das Bundesfinanzministerium möchte nun mit einem neuen Erlass zum Außensteuergesetz (AStG-Erlass) Klarheit schaffen. Der Entwurf von Mitte Juli 2023 läuft allerdings auf eine Verfestigung der restriktiven Verwaltungsmeinung hinaus – zulasten von Steuerpflichtigen.
Fiktive Veräußerungsverluste fallen unter den Tisch
Zur Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts an stillen Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen sieht § 6 AStG eine Wegzugsbesteuerung vor. Beispiel: Ein Steuerinländer, der Anteile an einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 17 EStG hält, zieht ins Ausland. Dadurch wird das deutsche Besteuerungsrecht auf die (zukünftige) Veräußerung des Anteils ausgeschlossen oder beschränkt. Deshalb werden die stillen Reserven in der Beteiligung auch ohne tatsächliche Veräußerung im Wegzugszeitpunkt aufgedeckt und der deutschen Besteuerung unterworfen. Zur Sicherung des deutschen Steuersubstrats wird also eine Veräußerung fingiert. Allerdings geschieht dies nur einseitig, wie die Finanzverwaltung im Erlassentwurf bestätigt: Fiktive Veräußerungsgewinne werden besteuert, fiktive Veräußerungsverluste bleiben hingegen unberücksichtigt. Eine wünschenswerte Totalabrechnung, die auch die anteilsbezogenen Verluste berücksichtigt, erfolgt nicht.
Wenn DBAs plötzlich eine Besteuerung auslösen
Auffällig ist auch, dass die Finanzverwaltung den Tatbestand der „Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts“ sehr weit auslegt. Es soll z. B. auch bei neuen oder geänderten Doppelbesteuerungsabkommen – ohne Zutun der betroffenen Gesellschafter – zur Wegzugsbesteuerung kommen können, und zwar dann, wenn ein DBA zu einer Beschränkung oder einem Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts führt. Der Steuerpflichtige selbst hat darauf keinen Einfluss; ohne sein aktives Tun kommt es dann zur Besteuerung seiner fiktiven Veräußerungsgewinne. Steuerpflichtige sollten daher nicht nur ihren Wohnsitz mit Bedacht wählen, sondern dort auch die entsprechenden Steuerrechtsnormen genau überwachen, um nicht versehentlich ohne Änderung der eigenen Lebensumstände in die Wegzugsbesteuerung zu rutschen.
Reicht die bloße Rückkehrabsicht?
Mit dem ATAD-UmsG wurde 2021 eine sogenannte „One fits all“-Lösung eingeführt. Danach kann die festgesetzte Steuer auf den fiktiven Veräußerungsgewinn ratierlich über sieben Jahre gezahlt werden. Diese Regelung unterscheidet hinsichtlich ihrer Rechtsfolge nicht mehr danach, in welchen Staat der Steuerpflichtige verzieht. Die Rückkehroption mit einer Stundung ohne Jahresraten wurde im Wesentlichen beibehalten. Allerdings wurde der Zeitraum, in dem der Steuerpflichtige in die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland zurückkehren muss, um zwei Jahre auf nunmehr sieben Jahre verlängert (es besteht eine weitere Verlängerungsmöglichkeit von unverändert fünf Jahren). Streit gibt es derweil immer um die Frage, ob es auf die tatsächliche fristgerechte Rückkehr ankommt (objektive Umstände) oder auf die bloße Absicht zur Rückkehr (subjektive Umstände). Der Bundesfinanzhof entschied kürzlich zugunsten der tatsächlichen fristgerechten Rückkehr. Im Erlassentwurf bleibt unklar, wann eine bloße Rückkehrabsicht ausreicht und wann eine tatsächliche Rückkehr erforderlich ist.
Wann beherrscht man eine Gesellschaft?
Bei der Hinzurechnungsbesteuerung – dem zweiten großen Thema beim geplanten AStG-Erlass – ist die wesentliche Voraussetzung, dass ein Steuerinländer eine ausländische Gesellschaft beherrscht. Typischerweise liegt eine unmittelbare oder mittelbare Mehrheitsbeteiligung vor. Aber: Seit dem ATAD-UmsG können auch Minderheitsbeteiligte eine ausländische Gesellschaft beherrschen, etwa wenn der Steuerpflichtige 25 Prozent an einer Holding-Gesellschaft hält und diese wiederum zu 100 Prozent an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt ist. Für diese Situation treibt die Finanzverwaltung die Auslegung zur Ermittlung der relevanten Beteiligungshöhe in ihrem Erlassentwurf auf die Spitze. Denn ohne eigene Beteiligung des Steuerpflichtigen an der ausländischen Gesellschaft wird ihm die 100-Prozent-Beteiligung der (ihm nahestehenden) Holding-Gesellschaft nicht nur „durchgerechnet“, sondern voll zugerechnet. Weitere wichtige Aspekte in diesem Zusammenhang sind die Beherrschung aufgrund eines abgestimmten Verhaltens gem. § 7 Abs. 4 AStG und durch schuldrechtliche Instrumente (z. B. Genussrechte und partiarische Darlehen). Die Ausgestaltung und Auslegung des Beherrschungskriteriums kann insbesondere bei Private-Equity-Sachverhalten relevant werden.
Warum zählt nur der Verkauf, aber nicht der Einkauf?
Unter den Katalog der aktiven Einkünfte fällt gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG der Handel. In den Ausführungen des Erlassentwurfs wird der Handel so definiert, dass es sich um eine „gewerbsmäßige, gegen Entgelt erfolgende Veräußerung von Gütern und Waren“ handelt. Die Definition bezieht lediglich den Absatz, nicht aber den Einkauf ein. Nach unserem Verständnis sollte die Definition zwingend um die Einkaufskomponente erweitert werden, um eine übliche und zeitgemäße Ausgestaltung zu erreichen.
Wie Einkünfte passiv werden
Die Ausführungen der Finanzverwaltung zum Aktivkatalog des § 8 AStG lassen im Erlassentwurf erkennen, dass dieser insgesamt nicht an die insbesondere digitale unternehmerische Realität angepasst wird. Ein Beispiel: Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann die Bereitstellung einer Online-Plattform durch den deutschen Steuerpflichtigen, die auch die ausländische Gesellschaft nutzt, dazu führen, dass Handelseinkünfte der ausländischen Gesellschaft passiv werden. Auffällig ist auch, dass die Finanzverwaltung (weiterhin) nicht unterscheidet, ob die Handelsbeziehungen fremdüblich vergütet sind oder nicht. Eine fremdübliche Vergütung schützt somit nicht vor passiven Einkünften der Zwischengesellschaft.
Was fällt unter eine aktive Umwandlung?
Mit Blick auf die gesetzlichen Anforderungen an aktive Umwandlungsvorgänge enthält der Erlassentwurf eine strenge Rechtsauffassung der Finanzverwaltung. Abgestellt wird ausschließlich auf Vorgänge, die unter das deutsche UmwStG fallen (würden sie in Deutschland stattfinden). Wünschenswert wären dagegen eine insgesamt großzügigere Auslegung der potenziell aktiven Umwandlungen und die Veröffentlichung einer White List, also einer Auflistung vergleichbarer ausländischer Umwandlungsvorgänge. Zudem sind die Nachweishürden für die Buchwertfortführung zu hoch, unter anderem fordert die Finanzverwaltung nunmehr auch das Einhalten umwandlungssteuerlicher Sperrfristen, was unseres Erachtens nicht zumutbar ist.
Gefahren für den Gegenbeweis
Der Gegenbeweis ist für Betroffene ein zentrales Element der Hinzurechnungsbesteuerung. Gelingt dem Steuerpflichtigen der Gegenbeweis, findet die Hinzurechnungsbesteuerung keine Anwendung. Erwartungsgemäß will die Finanzverwaltung den Gegenbeweis unter strenge Voraussetzungen stellen. Zentrales Thema in der Praxis ist der Bereich Outsourcing. Dieses soll schädlich für den Gegenbeweis sein. Allerdings ist diese strikte Haltung unionsrechtlich kritisch zu sehen. Denn der Europäische Gerichtshof hat bisher das Outsourcing zumindest im gleichen Staat als zulässig betrachtet. Außerdem ist ein Informationsaustausch zwischen Deutschland und dem ausländischen Staat entscheidend für den Erfolg des Gegenbeweises. Hier besteht die Finanzverwaltung nämlich darauf, dass der Informationsaustausch auch effektiv durchgeführt wird. Eine fehlende Umsetzung eines Informationsaustauschs in nationales (ausländisches) Recht oder eine tatsächlich nicht konkret hinreichende Auskunft seitens des anderen Staates (d. h. vollständig und innerhalb angemessener Frist) lässt damit den Gegenbeweis scheitern. Gleiches gilt für das Auskunftsverweigerungsrecht eines Staates: Dies lastet die Finanzverwaltung im Erlassentwurf entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dem Steuerpflichtigen an. Stattdessen sollte ein gültiger rechtlicher Rahmen für die Erfüllung des Merkmals „bestehender Informationsaustausch“ vollkommen ausreichen.