Nachhaltigkeit ist die nächste Welle der Innovation

Nachhaltigkeit ist die nächste Welle der Innovation | EY - Deutschland

Ob die grüne Transformation gelingt, hängt maßgeblich vom Umgang mit Daten und moderner Technologie ab. Gefragt ist strategisches Handeln – auch über Landes- und Unternehmensgrenzen hinweg.


Überblick

  • Die grüne Transformation im Sinne von Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit wird durch moderne Technologie und innovative Datennutzung erst ermöglicht.
  • Regulatoren auf globaler, EU- und Landesebene sind maßgeblich gefragt, Rahmenbedingungen für die Entwicklung zu schaffen.
  • Dekarbonisierung und Digitalisierung befeuern sich gegenseitig. Organisationen sollten das strategisch nutzen, denn die Zeit zum Handeln wird knapp.
  • Im Interview: Adam Thompson,  IBM Consulting’s Global Sustainable Finance + ESG Reporting Offering Leader

Die grüne Transformation ist im vollen Gange und Ansätze wie das 1,5-Grad-Ziel des Paris-Übereinkommens und der EU Green Deal bringen spürbare Bewegung in die Entwicklung. Was bedeutet das für Organisationen und wie können sie davon profitieren?

Florian Huber: Die gute Nachricht ist, dass kaum jemand das Warum dieser Transformation hinterfragt. Die schlechte Nachricht ist, dass viele am Wie scheitern. Denn Nachhaltigkeit ist vielschichtig und komplex und für viele Akteure eine Unbekannte. Man weiß nicht, was genau kommen wird und wie man damit umgeht. Aus unserer Sicht kann die Antwort auf diese Herausforderung aber nicht das vereinfachende, anekdotische Handeln sein. Wir müssen analytisch vorgehen und die Komplexität dann Daten getrieben begreifbar und beherrschbar machen. Wir gehen klar davon aus, dass Nachhaltigkeit der nächsten großen Entwicklungstreiber im Corporate Space ist.

Inwiefern?

Florian Huber: Zuletzt wurde das bei der Digitalisierung deutlich, die alle Bereiche von Organisationen revolutioniert hat und heute das Leben praktisch aller Menschen zumindest berührt und oftmals sogar grundlegend prägt. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr zurückdrehen, die Digitalisierung wieder wegdenken zu wollen ist unvorstellbar. Beim Thema Nachhaltigkeit wird sich das ganz ähnlich verhalten, sie ist klar die nächste Welle der Innovation. Jetzt geht es darum, das Potenzial darin zu erkennen, es auszuschöpfen und nutzbar zu machen.

Ein Bild von Adam Thompson

Adam Thompson: Wir sehen anhand der aktuellen Informationen ganz deutlich, dass die globalen Makrotrends in der Nachhaltigkeit in eine negative Richtung gehen. Und es ist klar, dass das Konsequenzen haben wird, die uns alle berühren. Millionen von Menschen werden beispielsweise zwangsweise ihren Wohnort verlassen müssen, sei es aufgrund von Dürre, Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Deshalb kann Nachhaltigkeit als Trend dieser Größenordnung keinesfalls nur atomistisch betrachtet werden. Es braucht einen holistischen Ansatz, der Unternehmen, NGOs, Staaten und zwischenstaatliche Organisationen an einen Tisch bringt und berücksichtigt, dass es sich um eine komplexe Gemengelage zahlreicher Einzelfaktoren handelt, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen.

Was wäre nötig, um bei einem so komplexen Thema anzusetzen? Kann man Nachhaltigkeit grundlegend managen, wenn es so umfangreich und schwer greifbar ist?

Florian Huber: Ein zentraler Treiber auf politischer Ebene, auch über den Staat hinaus sowie bei Entscheidern auf C-Level ist die Herausforderung der Dekarbonisierung, also der Wandel hin zu einer Wirtschaft, die deutlich weniger Treibhausgase wie etwa CO2 ausstößt als jetzt. Und damit müssen wir die bisher gültige „Weltformel“ wirtschaftliches Wachstum = erhöhter CO2-Ausstoß brechen. Die größte Herausforderung unserer Zeit wird es sein, wirtschaftliches Wachstum und gleichzeitig einen auf null reduzierten CO2-Ausstoß zu erreichen.

So hat unsere globale CEO-Studie ergeben, dass die klaren Prioritäten der kommenden zwölf Monate signifikante Investments sowie Daten- und Technologiekompetenzen sind und außerdem neue, umfassende Transformationsinitiativen angegangen werden müssen. Das alles macht eine grundlegende Evolution in der Art und Weise, wie Organisationen agieren, unabdingbar. Aber damit neue Produktionsmodelle und strategische Ansätze überhaupt möglich werden, braucht es einen klaren Buy-in seitens aller Stakeholder, auf Unternehmensseite, aber auch darüber hinaus und in der Gesellschaft im Allgemeinen. Wir müssen Vertrauen darin schaffen, dass die angestrebte Transformation gut, wichtig und wirtschaftlich sinnvoll ist. Klare, verlässliche Daten sind der Schlüssel dazu.

Adam Thompson: Das berührt einen ganz grundlegenden Punkt, nämlich den der Transparenz. Damit informierte wirtschaftspolitische und strategische Entscheidungen getroffen werden können, sind verlässliche Daten essenziell. Und wir sind heute dazu in der Lage. Wir können mittels fein abgestimmten Analytics-Lösungen mehr als nur gute Empfehlungen abgeben. Wir können die konkrete Wirkung – den „Impact“ – von Entwicklungen und Entscheidungen darstellen und definieren, wo wir sinnvollerweise in der Zukunft ansetzen sollten.

Betrifft das also nur große Organisationen, die über entsprechende Kapazitäten verfügen?

Adam Thompson: Ganz und gar nicht. Die zielgerichtete Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, die Nachhaltigkeit als Entwicklungstreiber mit sich bringt, ist genauso für kleine und mittelständische Organisationen relevant. Die Basis muss so oder so aus verlässlichen Daten und transparenten Analysen bestehen. Wir sollten deshalb genau an diesem Punkt ansetzen und für klare Reporting-Standards und Regularien sorgen. In der Vergangenheit hat es immer wieder fehlerhaftes oder unpassend gewichtetes Reporting gegeben, was Vertrauen gekostet hat.

Florian Huber: Aus unserer Perspektive sind es auch die Regulatoren, die die grüne Transformation maßgeblich vorantreiben, und zwar sowohl auf Länderebene als auch international. Sie können Transparenz schaffen und Incentives sowie ein möglichst einheitliches und vergleichbares regulatorisches Framework schaffen, das auch zukünftige Unabwägbarkeiten mit einbezieht und sich klar an den ambitionierten Dekarbonisierungszielen orientiert. Damit schaffen sie Vertrauen, geben einen klaren, übersichtlichen Handlungsrahmen vor und wirken auch Greenwashing entgegen.

Was sind die konkreten Herausforderungen, die sich Organisationen stellen?

Florian Huber: Es gibt sechs grundlegende Herausforderungen, die sich C-Level-Entscheidern im Kontext der grünen Transformation stellen. Um sie greifbar zu machen, wurden sie in sechs Fragen für die Analyse der eigenen Organisation gegossen:

  • Wie können wir unsere Organisation dekarbonisieren?
  • Wie generieren wir durch Nachhaltigkeit langfristige Werte?
  • Wie können wir Compliance und Risikomanagement mit fairen Kosten sicherstellen?
  • Wie können wir Daten im Nachhaltigkeitskontext managen und automatisieren?
  • Wie können wir unsere Wertschöpfung neu ausrichten?
  • Wie finanzieren wir diese Transformation?

Es wird schnell deutlich, dass es nicht damit getan ist, Nachhaltigkeit als ein oberflächliches Nice-to-have zu behandeln. Ehrliche Antworten auf diese Fragen setzen voraus, dass man sich intensiv mit der eigenen Organisation auseinandersetzt. Aus diesem Grund wurde das sogenannte 8A Framework entwickelt. Damit kann jede mögliche Dekarbonisierungsstrategie Schritt für Schritt geprüft und sichergestellt werden, dass sie auch die richtigen Ergebnisse erzielt – sprich: den richtigen „Impact“ erzeugt.chtlichen Handlungsrahmen vor und wirken auch Greenwashing entgegen.

Wie kann IBM dabei helfen?

 

Adam Thompson: Wir bringen unsere Expertise aktiv ein, um einen nachhaltigen Impact zu erzielen. Gemeinsam mit EY haben wir unterschiedliche Offerings entwickelt, um Organisationen optimal zu unterstützen. Da gibt es beispielsweise unsere Industry Data Fabric, die ein Technologie-agnostisches Data Layer für komplexe Datenanalysen in Echtzeit verfügbar macht. Oder die Scalable Lifecycle Analysis, mit der Organisationen den Carbon Footprint ihrer Produkte sichtbar machen können, um auch kleinste Optimierungspotenziale offenzulegen. Unsere Carbon Off-Setting Platform hilft derweil dabei, die Möglichkeiten zum Co2-Ausgleich zu optimieren, und mit dem Green Compass lässt sich der CO2-Fußabdruck in Wertschöpfungsketten minimieren – bei weniger Risiko und bis zu 32 Prozent höherer Effizienz. Aber es geht uns nicht darum, eine Vielzahl einzelner Werkzeuge anzubieten. Unser Ziel ist es vielmehr, einen umfassenden Baukasten miteinander kompatibler und für die Zusammenarbeit optimierter Lösungen aus einer Hand zugänglich zu machen.

 

Wie ist die aktuelle Situation dazu auf dem Markt?

 

Florian Huber: Der Markt für Lösungen zu Nachhaltigkeit im Beratungs- und Technologiebereich ist noch sehr fragmentiert, sehr uneinheitlich. Die Erfahrung zeigt, dass Organisationen gezielt nach Lösungen aus einer Hand suchen. Sie wollen im Optimalfall einen einzelnen Anbieter, der dabei helfen kann, die gesamte grüne Transformation schlüssig, strategisch und strukturiert zu managen. Das liegt auch an der Komplexität des Ganzen. Es geht dabei um enorme Datenmengen, langfristige strategische Neuausrichtungen und die Konfrontation mit Sachverhalten, Risiken und regulatorischen Umfeldern, die heute kaum abzusehen sind, auf die aber unter Umständen schnell und konsequent reagiert werden muss. Deshalb geht es uns auch nicht lediglich um Carbon Offsetting. Das ist ein wichtiges Werkzeug, aber ein temporäres. Wichtig ist, Dekarbonisierung als einen umfassenden, integralen Bestandteil der langfristigen Strategie zu begreifen und entsprechend zu handeln. Dafür braucht es wieder Transparenz und Vertrauen in die gewählten Lösungen und die technischen Systeme. 

 

Wie wird sich das absehbar entwickeln? Auf welche Trends sollten sich Organisationen einstellen?

 

Florian Huber: Grundlegend wird immer mehr das Reporting automatisiert werden, mit dem Ziel, umfassende Real-Time-Kapazitäten zur Verfügung zu haben. Zudem müssen belastbare Zukunftsszenarien berechnet und designt werden, die unter anderem regulatorische Entwicklungen sowie Klimarisiken, Technologie-, CO2-Preis- und Wettbewerbsentwicklungen antizipieren, um den Handlungsraum der Unternehmen abzustecken und die strategische Positionierung und Steuerung zu ermöglichen. Dazu wird künstliche Intelligenz immer umfangreicher interne und externe Daten zusammenbringen, analysieren und klar und verlässlich nutzbar machen. Das wird eine Qualität erreichen, die bis dato nicht denkbar war. Außerdem wird der Austausch von Informationen durch die gesamte Organisation und über das eigene Ökosystem hinweg essenziell werden, also auch über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinweg, entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Am Markt sehen wir darüber hinaus einen klaren Trend hin zu deutlich umfangreicheren und rigoroseren Nachhaltigkeitsbewertungen. So führen laut unserer weltweiten Umfrage unter institutionellen Anlegern 72 Prozent eine strukturierte, methodische Bewertung der nichtfinanziellen Offenlegungen durch – 2018 waren es lediglich 32 Prozent. Von diesen Trends zu profitieren setzt aber voraus, jetzt zu handeln. Wer zögert, verpasst möglicherweise die Chance, die eigene grüne Transformation maßgeblich zu gestalten.

 

Adam Thompson: Am Ende gilt, dass durch den Klimawandel entstehende Risiken genau wie die Corona-Pandemie einen klar globalen Charakter haben. Lösungen auf Länderbasis sind wichtig und sinnvoll, aber wir brauchen dennoch einen holistischen Ansatz. Klima- und Produktionsdaten, Infrastrukturinformationen, Risikoeinschätzungen, regulatorische Rahmenbedingungen und andere Perspektiven sind alles wichtige Teile, die zu einem umfassenden Bild möglicher Zukunftsszenarien zusammengefügt werden müssen. Dann erst können daraus sinnvolle, langfristige Handlungsoptionen abgeleitet werden. Die in unserer Kooperation entwickelten, optimal vernetzten Lösungen sind ein wichtiger Schritt dabei. 

Fazit

Die grüne Transformation ist die nächste Welle der Innovation, die die Wirtschaft und mit ihr die Welt verändern wird. Damit Organisationen das darin steckende Potenzial heben können, müssen sie jetzt handeln – und auf innovative Daten- und Technologielösungen setzen. Wertvoll ist dabei ein konsequent holistischer Ansatz anstatt einer Vielzahl von Einzellösungen – und das über das gesamte unternehmerische Ökosystem hinweg.

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