Drei Geschäftsleute diskutieren in einem Besprechungsraum über Diagramme auf einem Bildschirm

Beyond Forecasting: Wie Firmen für eine disruptive Welt planen können

In einer unsicheren Umgebung funktionieren hergebrachte Planung und Budgetierung nicht mehr. Unternehmen müssen sich dringend für die neue Dynamik wappnen.


Überblick

  • In einem immer komplexeren Umfeld müssen Firmen dynamischer planen. Statt in Silos zu denken, sollten sie vernetzt das ganze Ökosystem in den Blick nehmen.
  • Intelligente Datenmodelle steigern die Planungsgeschwindigkeit im Vergleich zu internen Abstimmungen deutlich.
  • Beyond Forecasting liefert Leitplanken für eine agile Steuerung, in der die Planung an Maßnahmen ausgerichtet ist, nicht am Reporting.

Unwägbarkeiten hinsichtlich Energie- und Ressourcenkosten, hohe Schwankungsbreiten in den Konjunkturzyklen, Strafzölle im Außenhandel, Populismus und Protektionismus als Gegenbewegung zu Jahrzehnten der Globalisierung, Lockdowns, Lieferkettenabrisse durch geopolitische Konflikte – das sind nur einige Ausprägungen der neuen, volatilen Weltwirtschaftsordnung. Von Unternehmen erfordert dies ständig neue Entscheidungen. Produkte und Lieferketten wollen angepasst, Investitionsentscheidungen überdacht und Prognosen und Szenarien aktualisiert werden.

Sicher ist, dass nichts sicher ist, selbst das nicht – ein Bonmot des Kabarettisten Joachim Ringelnatz, das die neue Realität der Unternehmensplanung beschreibt. Denn Unsicherheit ist die neue Konstante. Deutlich macht das zum Beispiel der sogenannte Unsicherheitsindex, der erfasst, wie häufig das Wort in den Länderreports der Economist Intelligence Unit (EIU) verwendet wird. Der Index zeigt, dass ein gewisses Maß an Unsicherheit schon immer existiert hat. In den letzten Jahren nahmen jedoch die Ausschläge der Indexkurve im Hinblick auf die Häufigkeit und Intensität der Unsicherheitsereignisse deutlich zu. Dies lässt sich damit erklären, dass die Entwicklungen der letzten Jahre zu sich stetig verändernden Spielregeln im Welthandel führen und diese sich unmittelbar auf globale Wertschöpfungsketten auswirken.

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Die Übersicht ist mehr als eine semantische Auswertung. In der Summe führen Schocks und geopolitische Krisen dazu, dass die internationale Handelsverflechtung längst nicht mehr so reibungslos läuft wie noch vor einem Jahrzehnt. Stabile und skalierbare Lieferketten als Grundprinzip, unbeschränkter Zugang zu Ressourcen mit stabilen Preisen, Kostenoptimierung und Lohnarbitrage als alleinige Entscheidungskriterien waren die Managementparadigmen der Vergangenheit und stellen die alte Realität dar.

Neue Realität ist in vielen Unternehmen noch nicht angekommen

Große Teile der Welt rücken ab von den Grundsätzen der Globalisierung. Die Produktion wird wieder näher an die Binnenmärkte geholt, um sie dauerhaft sichern zu können, ohne Sorge vor plötzlichen Verwerfungen der Lieferketten. Statt der Kosten gewinnen in diesen unsicheren Zeiten Robustheit und Agilität der Einkaufs- und Absatzsysteme erheblich an Bedeutung.
Viele Manager stecken weiter fest im hergebrachten Weltbild, einer internationalen Wirtschaftsordnung, die sich immer weiter öffnet und vernetzt. Andere erliegen der Trägheit des geringsten Widerstandes und machen einfach weiter wie bisher. Doch Veränderung tut dringend not.

Für Unternehmen mit komplexen Lieferketten, die in zahlreichen Märkten aktiv sind, bedeutet die neue Wirklichkeit einen fundamentalen Wandel. Sehr viel häufiger als in der Vergangenheit stehen sie vor kritischen Entscheidungen, müssen erhebliche Anpassungen in ihrer Planung vornehmen, politische Entwicklungen auf den Geschäftsalltag herunterbrechen.

Wer in der Fertigung Halbleiter nutzt, ist plötzlich mit einem knappen Angebot konfrontiert, das durch die Spannungen zwischen den USA und China noch schwieriger planbar ist. Chemiekonzerne können sich als Folge von Sanktionen nicht mehr darauf verlassen, Erdgas in der nötigen Menge zu den geplanten Preisen zu beziehen. Zulieferer, die lange in der Volksrepublik produziert haben, sehen sich nach alternativen Fertigungsstätten in Südostasien um, mit dem Ziel, Risiken breiter zu streuen. Autozulieferer müssen geplante Investitionen in China unter veränderten Vorzeichen neu durchrechnen.

Planung als Steuerungsinstrumente einsetzen

Grundlegende Veränderungen der Rahmenbedingungen passieren inzwischen so häufig, dass Planung und Steuerung dringend beschleunigt werden müssen, denn Unternehmen sind gezwungen, sehr viel agiler zu handeln und gegenzusteuern als in der Vergangenheit. Sowohl die traditionelle Budgetierung als auch der Forecast sind in der Realität häufig überladen ausgeprägt und bedienen multiple Zwecke (z. B. Anreizwirkung, Koordination, Abstimmung, Bonuskalkulation), wodurch der primäre Steuerungs- und Maßnahmenfokus deutlich zu kurz kommt oder gar untergeht. Klare Maßnahmenorientierung, entkoppelt von begleitenden Planungszwecken, ist der zentrale Schlüssel für eine effektive Steuerung.

Vernetzte Planung wird entscheidend

Als „Beyond Forecasting” lässt sich die Lösung beschreiben. Beschaffungs-, Produktions- und Absatzseite müssen dabei deutlich umfänglicher und offener analysiert werden als in der Vergangenheit und konsequent nach ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Diese Analyse wird verknüpft mit Daten zum internen und externen Ökosystem und eingebettet in ein anpassungsfähiges Entscheidungsmodell, das sich über zahlreiche Stellschrauben rasch und unkompliziert anpassen lässt.

Stärker als bisher ist jedes Unternehmen gefordert, eigene Modelle zu finden und auf die individuelle Situation zuzuschneiden. Patentlösungen funktionieren in der immer dynamischeren Welt nicht mehr. Eine strikte Budgetierung – trotz Veränderungen der Rahmenbedingungen – und extrem schlanke Planung passen nicht mehr.

Ein Praxisbeispiel eines Konzerns aus der Gesundheitswirtschaft: Am Ende des vierten Quartals werden dort die Ziele auf Konzernebene vorgegeben. Dabei fließen die Ergebnisse des jährlichen Strategieprozesses genauso ein wie die Vorhersagen des dritten Quartals, externe Benchmarks und Erwartungen des Kapitalmarktes. Diese Vorgaben werden im weiteren Verlauf monatlich mit neuen Werten und einer rollierenden Vorhersage abgeglichen, die einen Zeithorizont von eineinhalb Jahren umfasst.

Daten- und Szenariomodelle als Beschleuniger

Ein zentrales Instrument, um auf Änderungen und neue Szenarien in einer vernetzten Planungswelt rasch zu reagieren, sind Datenmodelle. Erst hierdurch wird der Spielraum erweitert, um auf Änderungen rasch zu reagieren

Umfassende Datenmodelle helfen, Entwicklungen im Blick zu halten, Maßnahmen zur Steuerung zeitnah abzuleiten und so Handlungsfähigkeit zu erlangen.

Aufgabe des Finanzressorts ist es, Modelle für die Planung zu entwickeln, die Verfügbarkeit und Qualität von Daten sicherzustellen und relevante Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge darzustellen. Dies bildet das Fundament für automatische bis autonome Planungsmodelle aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz.

Ambitionierte Ziele setzen, in zwei Geschwindigkeiten umsetzen

Für den erforderlichen Paradigmenwechsel in Planung und Steuerung ist zunächst ein deutlich erweiterter Blick nötig. Operations, Finanzbereich, Vertriebsfunktion – sämtliche Geschäftseinheiten müssen dafür kooperieren. An die Stelle von Entscheidungen, die lediglich einzelne Silos der Organisation betreffen, rücken ganzheitliche Betrachtungen, die sämtliche Funktionen umfassen und das ganze Ökosystem berücksichtigen. Voraussetzung für diese Transformation ist die Erfassung, Analyse und Interpretation der zugehörigen Daten, sowohl aus dem eigenen Haus als auch derjenigen zur Entwicklung der betroffenen Märkte.

Sind die Grundlagen geschaffen und ambitionierte Ziele gesetzt, ist eine Entwicklung in zwei Geschwindigkeiten sinnvoll. Während sich eine Gruppe darum kümmert, dass der laufende Geschäftsbetrieb rund läuft, arbeitet eine zweite daran, künftige Wertschöpfungsmöglichkeiten zu realisieren, indem sie die Entwicklungen am Markt ständig im Blick behält und Ansätze entwirft, schnell und flexibel darauf zu reagieren.

Beispiel Finanzfunktion: Ein Teil der Beschäftigten arbeitet in dem neuen Modell zunächst weiter wie bisher, um quasi als Verwalter sicherzustellen, dass das regelmäßige Arbeitspensum erledigt wird. Hinzu kommen Arbeitsgruppen, die die neuen Ansätze in praktische Arbeitsschritte übersetzen, Datenmodelle aufbauen, auf Hypothesen aufbauende Analysen und den Einsatz agiler Methoden testen – und diese Lösungen passgenau in unterschiedlichen Abteilungen einführen. Sie arbeiten wie Lotsen, die selbst schnell und wendig sind, denen es aber auch gelingt, große Schiffe auf Kurs zu bringen.

Entscheidender Kulturwandel für die neue Welt

Um diese Veränderungen im Unternehmen einzubetten, müssen auch die kulturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Das Budget sollte nicht mehr als politisches Instrument eingesetzt werden, um Erwartungen zu steuern, sondern zum echten Prognosemodell werden.
Werden die Modelle flexibel und agil, genügt es nicht, die Handlungsroutinen anzupassen. Die Veränderung muss auch in der Herangehensweise der Mitarbeitenden, vom Sachbearbeiter bis in den Vorstand, verankert werden.

Beyond Forecasting hilft nicht nur, die wachsende Unsicherheit besser in den Griff zu bekommen, die Methode macht sich insgesamt bezahlt, wie die Erfahrungen von EY zeigen. Die Lieferkosten lassen sich um 5 bis 10 Prozent reduzieren, die Lagerbestände um 10 bis 20 Prozent. Auch auf die Bilanz schlagen die Maßnahmen durch: Bis zu 15 Prozent höhere Umsätze, 2 bis 10 Prozent bessere Margen und ein Zuwachs von bis zu 2 Prozent beim EBIT. Und nicht zuletzt das gute Gefühl, für eine veränderte globale Lage gewappnet zu sein.


Fazit

Disruptive Zeiten erfordern dynamische und effiziente Entscheidungsprozesse in den Unternehmen. „Nichts ist sicher“ darf nicht als Ausrede für Stillstand und Festhalten am Status quo gelten. Beyond Forecasting stellt einen umfassenden und pragmatischen Ansatz dar, der der zunehmenden Unsicherheit gerecht wird und die Unternehmensplanung und ­steuerung fit macht für häufige Schocks und fundamentale Anpassungen.

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