Mit Urteil vom 01.12.2021 (II R 44/18) hat der BFH in einem Fall § 1 Abs. 2a GrEStG betreffend entschieden, dass ein Grundstück der Untergesellschaft ihrer Obergesellschaft nur dann zuzurechnen ist, wenn es ihr im Zeitpunkt der Steuerentstehung aufgrund eines unter § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG fallenden und verwirklichten Erwerbsvorgangs grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen ist. Das bedeutet, der bloße Erwerb des Grundstücks durch die Untergesellschaft führt nicht automatisch zu einer Zurechnung des Grundstücks zur Obergesellschaft. So begründet allein die Beteiligung an der Untergesellschaft keine Zurechnung der Grundstücke zur Obergesellschaft. In zwei weiteren Entscheidungen führte der BFH diese Rechtsprechung fort und äußerte sich zur Frage der Zurechnung von Grundstücken i.S.d. Gehörens nach § 1 Abs. 3 GrEStG (vgl. EY-Steuernachricht vom 07.07.2022). Dabei stellte der BFH in II R 40/20 klar, dass wenn die Grundstücke vor dem Anteilseignerwechsel – im konkreten Fall aufgrund des Abschlusses einer Vereinbarungstreuhand – bereits Gegenstand eines Veräußerungsvorgangs gewesen sind, diese nicht mehr zum Vermögen der Gesellschafterin der grundbesitzenden Gesellschaft „gehören“ (BFH-Urteil vom 14.12.2022, II R 40/20). In II R 33/20 (NV) wendete der BFH die Zurechnungsgrundsätze im Fall einer ausländischen Gesellschaft an (vgl. EY-Steuernachricht vom 05.04.2023).
Mit den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16.10.2023 reagiert nun die Finanzverwaltung mit einem Anwendungserlass zur Frage der Zurechnung von Grundstücken für die Ergänzungstatbestände in § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG auf die BFH-Rechtsprechung.
Darin führt die Finanzverwaltung für die Frage des „Gehörens“ der Grundstücke i.S.d. Ergänzungstatbestände folgendes aus:
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung vertritt auch die Verwaltung den anerkannten Grundsatz, dass die Zurechnung allein nach grunderwerbsteuerlichen Grundsätzen erfolgt und sich damit weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 AO richtet. Für Beginn und Ende einer grunderwerbsteuerlichen Zurechnung ist allein die Verwirklichung der Tatbestände nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG entscheidend. Durch die Verwirklichung der Tatbestände nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG, die den Übergang auf eine neue Gesellschaft fingieren, ändert sich die grunderwerbsteuerliche Zurechnung jedoch nicht.
Im Grundsatz gilt, dass ein Grundstück einer Gesellschaft für einen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG zum Zeitpunkt der Steuerentstehung nur dann zuzurechnen ist, wenn die Gesellschaft zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 GrEStG verwirklicht hat. Mit der Zurechnung ist diese Gesellschaft (zivilrechtliche Eigentümerin) auch grundbesitzende Gesellschaft i.S.d. GrEStG. Für die Ergänzungstatbestände nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG ist einer Gesellschaft ein Grundstück jedoch dann nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 GrEStG verwirklicht hat, d.h. das Grundstück Gegenstand eines Veräußerungsvorgangs war (vgl. II R 40/20). Entsprechendes gilt bei Verwirklichung eines Tatbestandes des § 1 Abs. 2 GrEStG. In diesem Fall ist das Grundstück der Gesellschaft zuzurechnen, die die Verwertungsbefugnis erworben hat.
Neben der grundbesitzenden Gesellschaft kann das Grundstück aber auch einer anderen Gesellschaft zum Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG zuzurechnen sein (Mehrfachzurechnung). Dies ist laut den Erlassen dann der Fall, wenn diese Gesellschaft zuvor hinsichtlich dieses Grundstücks einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG verwirklicht hat. Hierbei ist für die Frage der Zurechnung durch Verwirklichung eines Vorgangs nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG die jeweils geltende Rechtslage zu beachten (bis zum 30.06.2021: 95 Prozent-Grenze, ab dem 01.07.2021 90 Prozent-Grenze). Für die Frage der Beendigung der Zurechnung des Grundstücks aufgrund des Unterschreitens der maßgeblichen Beteiligungsgrenze nach § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG ist laut den Erlassen bei Vorgängen ab dem 01.07.2021 stets die (niedrigere) Beteiligungsgrenze von 90 Prozent zu beachten. Dabei ist unerheblich, wann der Erwerbsvorgang verwirklicht wurde und wann die Zurechnung begonnen hat.
Da § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG vorrangig gegenüber § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG anzuwenden sind, äußern sich die Erlasse auch zu der Frage der Zurechnung bei Verwirklichung sowohl des § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG. Sofern eine Verwirklichung dieser Tatbestände zeitgleich erfolgt, verdrängt § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG die Anwendung von § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG, mit der Folge, dass kein Tatbestand nach § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG verwirklicht ist. Daher ändert sich in diesen Fällen auch die Zurechnung nicht. Anders verhält es sich laut den gleichlautenden Erlassen jedoch in den Fällen, in denen das Signing und das Closing und damit die Besteuerungszeitpunkte von § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG zeitlich auseinanderfallen. In diesen Fällen wird laut den Erlassen der Vorrang zwar durch die grunderwerbsteuerrechtliche Korrekturvorschrift des § 16 Abs. 4a i.V.m. Abs. 5 Satz 2 GrEStG umgesetzt. Dennoch gilt der Tatbestand des § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG als verwirklicht, mit der Folge, dass sich dann auch die Zurechnung ändert. Diese Zurechnung endet zudem laut Verwaltungsauffassung auch dann nicht, wenn der Bescheid nach § 16 Abs. 4a GrEStG aufgehoben oder geändert wird. Das bedeutet, trotz Aufhebung oder Änderung des Bescheids gilt das Grundstück nach Auffassung der Finanzverwaltung weiterhin als zugerechnet. Nach diesen Grundsätzen ist im Ergebnis nach Verwaltungsauffassung insbesondere eine Doppelzurechnung und damit eine Doppelbesteuerung nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG möglich.
Daneben äußern sich die Erlasse auch zur Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 GrEStG und zum Rückerwerb nach § 16 Abs. 2 GrEStG. Eine Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs führt laut den Erlassen nicht dazu, dass eine Zurechnung rückwirkend entfällt. Das bedeutet, das Grundstück ist trotz Rückgängigmachung weiterhin der Gesellschaft zuzurechnen, bis die Zurechnung beendet ist. Diese ist laut den Erlassen erst zu dem Zeitpunkt beendet, an dem der Anspruch auf Aufhebung der Festsetzung oder der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 GrEStG entstanden ist. In den Fällen des Rückerwerbs nach § 16 Abs. 2 GrEStG ist die Zurechnung erst beendet, sobald das steuerauslösende Rechtsgeschäft für den Rückerwerb geschlossen wird.
Der gleichlautende Erlass ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Soweit in gleich lautenden Erlassen, die vor diesem Erlass veröffentlicht worden sind, gegenteilige Ausführungen enthalten sind, sind diese Ausführungen nicht mehr anzuwenden. Es ist daher davon auszugehen, dass aus Sicht der Finanzverwaltung in Zukunft das Erfordernis besteht, auch vergangene Fälle noch einmal auf ihre Anzeigepflicht hin zu untersuchen.