1. Ein Gefühl für die Möglichkeiten entwickeln
Zuerst sollten die Möglichkeiten von GenAI im rechtlichen Bereich aufgezeigt werden. Es geht darum zu verstehen, was bereits mit einfachsten Mitteln geht, wo die technischen Grenzen liegen, und die Neugierde zu wecken, sich auf den Weg zur Änderung der eigenen Arbeitsgewohnheiten zu machen. Ist ein Grundstock an Tools zugänglich – sei es Microsoft 365 Copilot, eine eigene GenAI-Umgebung oder die Unternehmensvariante von Modellen wie GPT-4 oder Claude – bedarf es regelmäßig nicht mehr als 90 Minuten in einer virtuellen Session, um ein Gefühl für das Potenzial zu bekommen und die Lust auf Mehr zu entfachen.
2. Prompt-Training
Will man eine gute Anweisung – einen guten Prompt – verfassen, orientiert man sich zu Beginn am besten an folgender Metapher: Man stelle sich vor, dass man einen hochmotivierten juristischen Berufseinsteiger anweist, der zwar die juristische Intelligenz von beiden Staatsexamina mitbringt, aber weder Praxiserfahrung hat, noch über das konkrete Rechtswissen verfügt. Zugleich kann die hohe Motivation unseren „Berufseinsteiger“ dazu verleiten, kreativ zu werden, um uns zu gefallen, obwohl die Fakten ein anderes Bild zeichnen – man spricht vom „Halluzinieren“. Zentral ist es daher, die Ergebnisse der GenAI mit der eigenen Expertise zu kontrollieren. Noch besser ist es, bereits den Prompt so zu formulieren, dass die Kontrolle ein Leichtes wird – sei es in der Recherche durch die Anforderung konkreter Quellen, in dem Vertragsreview der zugrunde liegenden Klausel oder ganz allgemein in der Herleitung der Ergebnisse Schritt für Schritt. Wie eine juristische (Web-)Recherche mit GenAI erfolgen kann und wie man in sechs Schritten einen guten Prompt baut, illustrieren die Abbildungen.
3. Entwicklung von Anwendungsfällen
Ein gutes Beispiel wäre die Entwicklung eines Chatbots zur Durchsicht von Vertraulichkeitsvereinbarungen (NDAs), der die Checkliste der Abteilung als Basis nimmt, um die Anfragen von Drittanbietern – etwa der Entwicklungsabteilung – zu überprüfen. Als Ergebnis sollte der Chatbot einschätzen, ob 1. die Vereinbarung schlicht so, wie sie vorliegt, unterzeichnet werden kann, 2. an einigen Stellen Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich die Anpassungen des Bots überprüfen sollen oder 3. die Durchsicht der Vereinbarung an die Rechtsabteilung eskaliert werden muss. Dabei legen auch die Mitarbeiter der Rechtsabteilung die Ersteinschätzung des Bots zugrunde und sind so in der Lage, die Vertraulichkeitsvereinbarung effizient zu bearbeiten.
Solche Anwendungsfälle schaffen ein neues Problemlösungsbewusstsein: GenAI ermöglicht es den Fachabteilungen, viele ihrer Herausforderungen einfach und kostengünstig selbst – ohne Detailunterstützung der IT-Abteilung – zu lösen. Die Mitglieder der Rechtsabteilung werden somit selbst zu Programmierern. Man spricht insofern vom „Citizen Development“, der Anwendungsentwicklung durch die Fachabteilung.
4. Strategische Begleitung
Spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem die ersten Anwendungsfälle entwickelt sind, sollte der Prozess strategisch begleitet werden. Mit einem sogenannten AI Maturity Assessment kann etwa festgestellt werden, welche Voraussetzungen man in den Dimensionen Governance, Personal, Prozesse, Daten und Technologie für die GenAI-Innovationsreise mitbringt und wohin die Reise gehen soll. In diesem Zusammenhang sollten gleichermaßen die Prinzipien aufgestellt werden, die bei GenAI-Anwendungen für alle Mitarbeiter in der Rechtsabteilung gelten. Während in der Praxis die Unternehmen bei diesen Leitlinien leicht abweichende Schwerpunkte setzen, ist ein Grundsatz regelmäßig zentral: GenAI soll die Mitarbeitenden befähigen, bestärken und von Routinen erlösen – nicht ersetzen!
5. Einbeziehung des gesamten Teams
Ist der Blick strategisch geschärft, kann und soll das gesamte Team der Rechtsabteilung in die GenAI-Reise einbezogen werden. Bei diesem Schritt sollte ebenso mit einer „Art of the Possible“-Präsentation und entsprechendem Prompting-Training begonnen werden. Auch geht es darum, die Rollen für die Citizen Development zu verteilen. Dabei sind vier Rollen zu unterscheiden:
- der Scout, der Herausforderungen sammelt, die die GenAI meistern soll,
- der Prozessdesigner, der den zugrunde liegenden Prozess analysiert und ggf. verschlankt,
- der Prompt Engineer, der die entsprechenden Anweisungen an die GenAI formuliert und
- der Qualitätsprüfer, der kritisch beurteilt, ob die Ergebnisse der GenAI für den Arbeitsalltag taugen.
Verfügt man nur über ein kleines Team, können Scout und Qualitätsprüfer sowie Prozessdesigner und Prompt Engineer auch personenidentisch sein. Nicht vermischen sollte man hingegen die Rollen des Prompt Engineer und des Qualitätsprüfers, um sicherzustellen, dass das Team sich auch wirkungsvoll selbst kontrolliert. Selbstverständlich darf das Citizen Development nicht isoliert geschehen, sondern muss auf den Anwendungen aufbauen, die entsprechend geschäftsgeheimnis-, IP- und datenschützend – kurz: sicher – sind sowie durch die IT-Abteilung freigegeben wurden.