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Warum wir mehr Handelspartner brauchen, nicht weniger Globalisierung

Deutschland lebt von offenen Märkten. Eine einseitige Einschränkung des internationalen Handels würde uns Einfluss und Wohlstand kosten. Ein Plädoyer von Dr. Henrik Ahlers und Hermann O. Gauß.

Zwei Ereignisse in der Welt haben für Deutschland schwerwiegende Folgen: Der Krieg Moskaus in der Ukraine lässt die Energiepreise durch die Decke gehen. Und Pekings Kampf gegen Corona schafft Lieferkettenprobleme, Unternehmen warten über Monate auf Waren und müssen ihre Produktion drosseln. Die Inflation erreicht Rekordhöhe. Schmerzlich müssen wir erkennen, wie unmittelbar Krisen international durchschlagen. Früher sei das nicht möglich gewesen, mögen Kritiker sagen, weil die Volkswirtschaften weniger eng verwoben waren. Nicht unerwartet werden Grundsätze des globalen Handels medienwirksam infrage gestellt und konditioniert. Eine gesellschaftliche Debatte über Sinn und Ziel von Entflechtung tut not. Auch der Handel braucht Steuerung und Kontrolle.

Ein wohlhabendes Land mit einer so starken Industrie wie Deutschland braucht zwingend offene Grenzen. Unsere Automobilunternehmen oder Maschinenbauer müssten Hundertausende Mitarbeiter entlassen, wenn sie sich mit dem heimischen Markt begnügen müssten. Und die Konsumenten müssten mehr Geld für weniger Auswahl ausgeben. Die Schlussfolgerung aus den aktuellen Krisen muss lauten: Wir brauchen Globalisierung! Wir brauchen möglichst viele Handelspartner! Wenn einer ausfällt, darf bei uns nicht gleich die ganz große Krise ausbrechen.

Für die Handelspolitik ist in Europa die EU zuständig. Brüssel sollte also die Anstrengungen für einen reibungslosen Waren- und Dienstleistungsaustausch mit möglichst vielen Ländern erhöhen. Dazu zählen mehr Freihandelsabkommen, die Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigen. Dass die Bundesregierung nun dem CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada zustimmt, ist sehr zu begrüßen. Noch besser wäre es, wenn Europa ein solches Abkommen mit der größten Volkswirtschaft hinbekäme, mit den USA. Doch das berühmt-berüchtigte TTIP-Abkommen ist bekanntlich gescheitert, nicht zuletzt an populistischen Schlagwörtern wie dem Chlor-Hühnchen.

Gleichwohl führt kein Weg daran vorbei, den Welthandel zu fördern. Und wenn es um einen Warenaustausch mit anderen demokratischen Ländern geht, die unsere gesellschaftlichen Werte teilen – umso besser. Mehr Handel mit Lateinamerika oder Indien muss gar nicht zulasten anderer Länder gehen. Niemand soll ausgegrenzt werden. Mehr Handelsoptionen sorgen für mehr Vielfalt und noch bessere Möglichkeiten, die jeweiligen Standortvorteile zu nutzen und Abhängigkeiten von einzelnen Staaten zu reduzieren. 

Wichtige Handelspartner der EU

Gerade deutsche Unternehmen haben über die Jahre gezeigt, dass sie neue Handelsmöglichkeiten auch nutzen. Die Regierungsflieger sind immer gut gefüllt mit Mittelständlern und Topmanagern, die im Gefolge von Kanzler und Ministern an Delegationsreisen teilnehmen, um Marktchancen zu ergründen. Der Außenhandel ist eben kein unpolitischer Selbstläufer, auch wenn uns dies angesichts des großartigen EU-Binnenmarktes manchmal so erscheinen mag.

Der Welthandel braucht stets eine politische Flankierung und Rahmenbedingungen. Dass der Prozess bei der Welthandelsorganisation WTO seit Jahren stockt, ist ein bedenkliches Signal. Manche Länder glauben leider, sich mit bilateralen Abkommen besserzustellen. Manche Akteure meinen, anderen ihre Bedingungen diktieren zu müssen. Beides widerspricht Grundsätzen von freiem Handel und freien Gesellschaften. Mit der einseitigen Vorgabe bestimmter Wertvorstellungen sollten wir vorsichtig sein. Wenn wir nur mit Ländern kooperieren, die unseren westlichen rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen, würde es recht einsam für uns. Wir müssen wieder mehr für Märkte und offene Gesellschaften werben.

In den vergangenen Jahrzehnten sind der Welthandel und die globale Wirtschaftsleistung kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2021 betrug die Summe aller Exporte weltweit 22 Billionen Dollar. Laut WTO gibt es mittlerweile über 350 Handelsabkommen. Wie wichtig das Thema auch für die amtierende Ampelkoalition in Deutschland ist, zeigt der Koalitionsvertrag. Darin haben sich die Parteien unter anderem darauf verständigt, im intensiven Austausch mit den USA mit dem transatlantischen Wirtschaftsraum globale Standards zu setzen und die Reform der WHO und die Dynamik eines nachhaltigen Welthandels voranzutreiben.

Tax & Law Magazine

Dieser Artikel wurde im Rahmen des Tax & Law Magazine veröffentlicht. Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen. 

Maschine in einer Produktionshalle

Fazit

Wer Handelshindernisse errichtet und andere ausgrenzt, schadet am Ende seinem eigenen Land und der Staatengemeinschaft. Den Kampf gegen den Klimawandel können wir nur gemeinsam führen. Das Anliegen einer guten Unternehmensführung nach ESG-Kriterien ist leichter (und fairer) umzusetzen, wenn sich möglichst alle Länder beteiligen. Gleiches gilt für das G20-/OECD-Projekt einer globalen Mindestbesteuerung. Dafür braucht es die Teilhabe aller an der Weltwirtwirtschaft. Wir brauchen Globalisierung statt Fragmentierung oder gar Blockbildung.

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