Illustration: Schwebender Akkuschrauber in modernem, minimalistischem Design vor futuristischem lila Hintergrund mit geometrischem Gittermuster

Wie KI die Steuerabteilungen effizienter macht


So ein bisschen fremdelt die Steuer-Community noch mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz. Dabei spielen Daten und automatisierte Systeme eine immer wichtigere Rolle. Inzwischen gibt es einen großen Steckschlüsselsatz für einen passgenauen Einsatz. Wir geben eine Einführung und räumen mit Mythen auf.

Überblick

  • Die Steuer-Community zögert noch beim Einsatz von KI, obwohl Daten und automatisierte Systeme immer wichtiger werden
  • KI-Technologien wie Expertensysteme, maschinelles Lernen und generative KI bieten maßgeschneiderte Lösungen und Effizienzgewinne.
  • Erfolgreiche KI-Integration erfordert sorgfältige Datenvorbereitung und kontinuierliches Finetuning. Hier kommen Sie zu unseren Workshop-Angeboten.

Die Frage „Kann das nicht KI?“ ist auf Unternehmensfluren und in Chefetagen häufig zu hören, nachdem ChatGPT vor zwei Jahren Furore machte. Seitdem geistern viele Geschichten über künstliche Intelligenz (KI) und deren Mehrwert durch die Medien. Doch die zunehmende Pauschalisierung von KI macht es Steuerabteilungen schwer, einen differenzierten Blick zu wahren und Einsatzgebiete der unterschiedlichen KI-Technologien zu erkennen.

Large Language Models (LLMs) wie die GPT-Modelle eignen sich in Kombination mit einem Chatbot vor allem für die steuerliche Textarbeit. Doch die Aufgaben der Steuerabteilung sind genauso vielfältig wie die mittlerweile verfügbaren Möglichkeiten technischer Hilfsmittel. Nicht immer ist es gleich generative KI in Form der GPT-Modelle, die der Steuerabteilung einen verschlankenden und effizienten Wertbeitrag liefert.

Dies wird klar, wenn man die Gesamtheit der Aufgaben der Steuerfunktion eines Unternehmens betrachtet. Die Abteilung ist für die Einhaltung steuerrechtlicher Vorschriften zuständig. Sie berechnet, meldet und zahlt Steuern, optimiert durch Planung die Steuerlast, berät bei steuerlichen Fragen, erstellt Steuererklärungen, unterstützt bei Jahresabschlüssen und begleitet Betriebsprüfungen wie auch Rechtsbehelfsverfahren. Zudem leistet sie einen großen Beitrag bei Due Diligences, Rechnungsprüfungen, der Cashflow-Planung und der Abschätzung steuerlicher Kennzahlen oder bei geopolitischen Prognose-Modellierungen.

Um diese Bandbreite an Aufgaben zu unterstützen, sollten Steuerabteilungen auf für den Einsatzzweck passende Technologien zurückgreifen und die Fähigkeiten der GPT-Modelle in einem integrierten System einbinden. Während GPT-Modelle vor allem in der Textverarbeitung nützlich sind, erfordern steuerliche Entscheidungsprozesse eine deutlich höhere Präzision, Konsistenz und Nachvollziehbarkeit. Diese Entscheidungen müssen datenbasiert und regelkonform getroffen werden. Hinzu kommt der Bedarf, große Datenmengen zu klassifizieren und fundierte Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen zu treffen – sei es bei potenziellen Risiken, der Entwicklung von Finanzkennzahlen oder anderen steuerrelevanten Szenarien.

Solche datengetriebenen Einsichten gehen weit über die Möglichkeiten generativer KI hinaus und verlangen nach spezialisierten Analyse- und Vorhersagewerkzeugen. Die Anforderungen an moderne Steuerfunktionen umfassen also weit mehr als die Automatisierung von Textverarbeitung. Gefordert sind Lösungen, die sowohl präzise Datenanalysen als auch automatisierte Prüfmechanismen bieten. Nur durch eine gezielte Kombination verschiedener Systeme lassen sich steuerliche Prozesse effizient automatisieren und zugleich die notwendige Genauigkeit, Transparenz und Regelkonformität sicherstellen.

Die für eine Steuerabteilung relevanten Systeme lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen:

  1. Expertensysteme, die stark regulierte und regelbasierte Aufgaben übernehmen
  2. Maschinelles Lernen, das bei der Klassifizierung von Stamm- und Transaktionsdaten sowie bei der Vorhersage von Entwicklungen wertvolle Unterstützung bietet
  3. Generative KI, die speziell in der Verarbeitung und Erstellung steuerlicher Texte ihren Platz findet

Zusammen entfalten diese Technologien ihr volles Potenzial, indem sie nicht nur die Stärken der jeweiligen Ansätze vereinen, sondern auch erhebliche Kosten einsparen können.

In dieser Differenzierung bietet KI heute bereits einen signifikanten Mehrwert für Steuerabteilungen.

Grafik: Was Unternehmen denken, wie Kuenstliche Intelligenz (KI) funktioniert …

Die erfolgreiche Integration von künstlicher Intelligenz (KI) in der Steuer- und Finanzabteilung geht weit über die Annahme „Das kann doch KI“ hinaus und erfordert es, Daten für die Verarbeitung vorzubereiten. Dieser Prozess umfasst die Exploration von Daten, um ein Verständnis für die vorhandenen Informationen zu gewinnen, die Bereinigung, um Ungenauigkeiten und Inkonsistenzen zu entfernen, die Normalisierung, um ein einheitliches Format zu gewährleisten, die Merkmalentwicklung (Feature Engineering), um relevante Eingaben für KIModelle zu schaffen, und die Skalierung, um die Daten auf einen geeigneten Wertebereich anzupassen. Darüber hinaus ist ein ständiges Finetuning notwendig, um die KI-Systeme zu optimieren und an sich ändernde Bedingungen anzupassen. Diese Schritte sind entscheidend, um die Qualität und Zuverlässigkeit der KI-gestützten Entscheidungen in der Steuer- und Finanzabteilung sicherzustellen und die Komplexität des Einsatzes von KI in diesem kritischen Unternehmensbereich zu bewältigen.

Massen an Daten

Grundsätzlich ist die Steuerfunktion für KI prädestiniert. Denn sie ist ein hungriger Konsument und Verwerter von Daten. Dabei zapft sie eine Vielfalt von Datenquellen an, die sowohl unstrukturierte Textinformationen als auch strukturierte Daten aus ERP-Systemen umfassen. Sie muss zudem Informationen aus Schnittstellen integrieren, z. B. aus dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), der Europäischen Kommission (VIES), dem Zoll und anderen öffentlichen Quellen. Die heterogenen Datengrundlagen spielen in Verbindung mit automatisierten Systemen eine immer wichtigere Rolle, gerade im Bereich der Umsatz- oder Quellenbesteuerung und auf dem Gebiet der Verrechnungspreise. Entsprechend ist der Markt für intelligente Systeme im Steuerbereich vielfältig (und unübersichtlich) – von effizienter Transaktionsdatenanalyse über intelligente Entscheidungsfindung bis hin zu vollautomatisierten Rechnungsprüfungen.

Mehrere Systeme

Zunächst ist es wichtig zu verstehen, welche unterschiedlichen Systeme sich hinter dem Schlagwort KI verbergen. Dann erschließt sich auch für Steuerfachleute, wann und wo sie am besten eingesetzt werden können und welche Vorteile sie bieten. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg liegt mitunter auch darin, realistische Erwartungen an KI zu hegen.

Die Bandbreite reicht von Expertensystemen …

Bei der Modernisierung von Steuerfunktionen spielen Daten und Technologien schon seit Jahren die tragende Rolle, etwa bei sogenannten Expertensystemen, der ersten KI-Kategorie. Expertensysteme sind umfangreiche Programme, die Fachwissen in einem bestimmten Bereich, etwa dem Steuerwesen, abbilden, um Entscheidungen zu unterstützen. Sie nutzen – in Analogie zu den Steuergesetzen – Wenn-Dann-Regeln, um Sachverhalte automatisiert zu klassifizieren und zu würdigen. Diese Regeln ermöglichen es dem System, auf der Basis der eingegebenen oder vorhandenen Daten logische Schlussfolgerungen zu ziehen und steuerliche Entscheidungen zu treffen. Dadurch können Steuerprozeduren effizienter und nachvollziehbarer gestaltet werden, was die Arbeit von Steuerfachleuten wesentlich unterstützt. Expertensysteme extrahieren also Sachverhaltsinformationen aus den ERP-Systemen und bereiten den Sachverhalt steuerlich auf, um anschließend eine steuerliche Würdigung vorzunehmen

KI kann Expertensysteme bereichern, indem sie die vorhandenen Wenn-Dann-Verbindungen sehr viel flexibler ausgestaltet. Dies gelingt dadurch, dass die gegebenen Daten nicht mehr länger nach genauen Übereinstimmungen durchsucht werden, sondern die inhaltliche Bedeutung von Beschreibungstexten zu Leistungspositionen, Materialen oder Konten unabhängig von der Sprache erkannt und mit einem Katalog von Stichworten gespiegelt werden kann. So kann sich auch ein Expertensystem an neue Situationen anpassen, ohne dass jede mögliche Regel explizit programmiert werden muss.

Ein weiterer Vorteil von Expertensystemen ist, dass sie ihren Prüfpfad entlang des Gesetzestextes nachvollziehbar und transparent dokumentieren. Damit verbunden wird eine Vielzahl sogenannter „Tax Tags“ gebildet, die als neu kreierte Datenpunkte für Analysen und Auswertungen zur Verfügung stehen, um Echtzeiteinblicke in die Geschäftstätigkeit des Unternehmens zu bieten. Hierunter fallen beispielsweise Tax Tags für Transaktionstypen wie Konsignation, Grundregeldienstleistung oder Reihengeschäft oder solche für Partnergruppen wie Organschaft, Baudienstleister und Wiederverkäufer.

… über maschinelles Lernen …

Maschinelles Lernen, die zweite Kategorie steuerlich relevanter KI-Systeme, umfasst Ansätze, die versuchen, Vorhersagen oder Klassifizierungen durch verschiedene Algorithmen nachzubilden, ohne dabei explizit auf regelbasierte Systeme angewiesen zu sein. Solche traditionellen KI-Ansätze eignen sich für weitergehende Datenanalysen. Zum Beispiel wird mit einer Monte-Carlo-Simulation ein Verrechnungspreis auf der Basis verschiedener Parameter wie Umsatzentwicklung oder der Anzahl von Google-Suchanfragen für bestimmte Produkte vorhergesagt. Größere Unternehmen investieren in diese Form der Vorhersage signifikante Budgetvolumen, die bis in einen siebenstelligen Bereich reichen. Ein weiteres Beispiel ist die umsatzsteuerliche Klassifizierung des Materialstammes mit dem Fast-Tree-Algorithmus nach „Dienstleistung“ oder „Ware“, ein Tax Tag, das für die umsatzsteuerliche Würdigung eines Sachverhalts essenziell ist. Auch diese Form der KI erfordert signifikante Investitionen, weil die Modelle unternehmensspezifisch trainiert werden müssen.

… bis hin zur generativen KI

Unter generativer KI, der dritten Kategorie, versteht man Systeme, die in der Lage sind, neue Inhalte zu erzeugen, die es so vorher noch nicht gab. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie menschliche Sprachfähigkeiten basierend auf Unmengen an Trainingsdaten nachahmen. So funktioniert auch ChatGPT. Zusammenfassend unterscheiden sich die KI-Bereiche hauptsächlich in ihrer Flexibilität, Lernfähigkeit und in der Art und Weise, wie sie mit neuen, unbekannten Situationen umgehen. Regelbasierte Automatisierung ist starr und deterministisch, traditionelle KI fügt Lernfähigkeit hinzu und kann sich anpassen, und generative KI besitzt die Fähigkeit, eigenständig neue Inhalte zu kreieren, und zeigt dabei ein hohes Maß an Generalisierung und Kreativität. Richtig eingesetzt bieten alle Systeme ein großes Potenzial für die Steuerfunktionen

Grafik: Funktionsweise von traditioneller KI
Grafik: Ueberblick über Technologieanwendung in steuerlichen Prozessschritten

Wie ein Werkzeugkoffer

Wer die grundsätzliche Wirkungsweise der unterschiedlichen Systeme versteht, erkennt, dass sie sich miteinander kombinieren lassen. Sie können um weitere Technologien wie Natural Language Processing (NLP), Business Intelligence (Dashboards), Robotic Process Automation (RPA) etc. ergänzt werden. Es entsteht ein großer Werkzeugkoffer, der alles bietet, um eine moderne Steuerabteilung zu bereichern. Wie sich ein Haus nicht nur mit einem Hammer, einem Spachtel oder einem Betonmischer bauen lässt, lassen sich die Herausforderungen von Steuerabteilungen nicht mit einer einzigen Technologie bewältigen. Die Abbildungen auf Seite 15 zeigen, welche Werkzeuge im übertragenden Sinne für welche Aufgabe geeignet sind.

Nachfolgend stellen wir einen anonymisierten Fall aus dem Finanzwesen vor, bei dem der Einsatz von KI in einem typischen Unternehmen rasch für Effizienzgewinne, Kostenersparnis und weniger Stress mit dem Finanzamt sorgt.

Beispiel I 
Automatisierte steuerliche Rechnungseingangsprüfung nach §§ 14, 15 UStG

Anna A. ist Leiterin einer deutschen Konzernsteuerabteilung der A AG. Vier Mitarbeitende sorgen in ihrem Team für die steuerliche Compliance. Die letzte Umsatzsteuernachschau hat jedoch für Erschrecken gesorgt: Bei der Kontrolle der Eingangsrechnungen bemängelte die Prüferin Berta B. eine Vielzahl von Rechnungen. Was lapidar klingt, bedeutete in der Praxis, dass der A AG ein Vorsteuerabzug im mittleren sechsstelligen Bereich versagt wurde.

Die Prüferin stellte fest, dass die Vollständigkeit der Rechnungsangaben und die Ordnungsmäßigkeit der Leistungsbeschreibung in einigen Fällen nicht gegeben waren. Zudem entdeckte sie einerseits, dass ein Lieferant die Leistung zu Unrecht mit Umsatzsteuer in Rechnung stellte, und andererseits, dass Reverse Charge für empfangene Bauleistungen nicht gebucht und gemeldet wurde. Mit diesen Feststellungen konstatierte sie, dass die A AG ihren Sorgfaltspflichten bei der Rechnungsprüfung nicht nachgekommen sei. Es drohten Haftung für unrechtmäßig gezogene Vorsteuer sowie empfindliche Zinsfestsetzungen.

Den finanziellen Schaden aus steuerlichen Sachverhaltsfragen zu minimieren, bedeutete für die Steuerabteilung erheblichen Stress. Sie engagierte einen Steuerberater, der den Prozess der Eingangsrechnungsverarbeitung und alle Rechnungen im Prüfungszeitraum detailliert prüfte. Die Kosten für den Steuerberater und das zusätzlich beauftragte Projektteam, das versuchte, eine rückwirkende Korrektur der Rechnungen beim Lieferanten zu erreichen, waren beträchtlich. Trotz dieser Bemühungen war es nicht möglich, alle Rechnungen korrekt zu berichtigen, was zum Verlust des entsprechenden Vorsteuerabzugs führte. Dies resultierte nicht nur in direkten finanziellen Verlusten durch entgangene Steuervorteile und Zinszahlungen, sondern warf auch Haftungsfragen auf.

Abbildung eines Entscheidungsbaums fuer steuerrelevante Transaktionen in SAP-Systemen. Zeigt Datenfelder, Vertragspartner, Transaktionsarten, Steuerarten, Ort der Lieferung, Steuerbefreiungen und Haftungstypen, abgeschlossen mit dem erwarteten Steuerevent. Strukturierter Fluss mit klarer Zuordnung und logischen Abhaengigkeiten, hervorgehoben durch ein modernes, funktionales Design.

Strukturierung

Das sollte sich auf keinen Fall wiederholen. Da die A AG sehr viele Fremdleistungen bezieht, bindet die Prüfung der Eingangsrechnungen mehr Ressourcen, als intern vorhanden sind. Insofern fragte sich Anna A., inwiefern Rechnungsprüfung und Steuerkennzeichenfindung verlässlich automatisiert werden können, und wandte sich an das Tax-Technology-Team von EY. Die Fachleute zeigten auf, dass für dieses Vorhaben unterschiedliche Technologien wie Generative AI, Expertensysteme und regelbasierte Automatisierung kombiniert werden müssen. Für die vollständig automatisierte Rechnungsprüfung präsentierten sie den VAT Invoice Analyzer als Teil der Plattform Digital Tax Intelligence (DTI). Die umgesetzte Lösung bedeutete keinesfalls eine „starre“ Implementierung von DTI, sondern eine flexible, bedarfsgerechte Integration in die bestehende Systemlandschaft als maßgeschneiderte Lösung für die spezifischen Anforderungen der A AG.

Wie funktioniert das? Der Analyzer wandelt die per Schnittstelle übertragenen PDF-Rechnungen mittels GPT Vision in ein strukturiertes Datenformat um. Diese Umwandlung folgt den hierfür von EY entwickelten Transformation Rules (Prompts). Diese sorgen dafür, dass alle Informationen standardisiert in einem genau definierten Datenmodell erfasst werden. Die nun strukturierten und zentral archivierten Rechnungsdaten dienen als Ausgangspunkt für die weitere Analyse. Sie werden daraufhin untersucht, ob sie die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 UStG erfüllen. Technisch gesehen erfolgt eine Verbindung von drei Ebenen: 1. User Interface des VAT Analyzer, 2. GPT Vision, 3. steuerliche Daten in Form der unstrukturierten PDF-Rechnung und der Datenbank mit den strukturierten Rechnungsdaten (siehe auch „Im Maschinenraum“).

Sachverhaltswürdigung

Aus den extrahierten Informationen wird der jeweilige Sachverhalt mittels eines Expertensystems bis ins Detail für eine steuerliche Würdigung aufbereitet. Hierbei werden neben einer Vielzahl steuerlicher Prüfschritte unter anderen die Leistungsarten ermittelt, die Geschäftspartner kategorisiert und die Leistungspositionen hinsichtlich steuerlicher Besonderheiten analysiert. Anschließend erfolgt eine Würdigung des klassifizierten Geschäftsvorfalls entlang des steuerlichen Gesetzestextes unter Berücksichtigung der jeweils ermittelten Abgangs- und Empfangsländer.

Resultat der Steuerberechnung ist ein steuerlicher Erwartungswert, der sowohl das steuerliche Meldeland und den Steuersatz als auch die Kennzeichnung für besondere Besteuerungssysteme wie innergemeinschaftliche Erwerbe oder die unterschiedlichen Anwendungsgebiete für das Reverse-Charge-Verfahren beinhaltet. Hier finden Sie hierzu die Entscheidungsfindung unter Nutzung der jeweiligen Rechnungsangaben.

Konsistenzprüfung

Im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten muss der Steuerpflichtige die durch den Lieferanten vorgenommene steuerliche Würdigung im Detail prüfen. Ist die Steuer korrekt ausgewiesen und die Rechnung ordnungsgemäß, kann Vorsteuer gezogen werden. In der Praxis ist die Prüfung gerade bei komplexen Geschäftsvorfällen ein schwieriges Unterfangen. Denn es ist sehr schwierig, die nötige Tiefe des Wissens der Kreditorenbuchhalter in allen Spezialfragen zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist die Prüfung der korrekt ausgewiesenen Steuer im Vergleich zur Prüfung der allgemeinen Vollständigkeit von Rechnungen die Königsdisziplin, die in Einzelfällen einen breiten Erfahrungsschatz erfordert.

An dieser Stelle kommt nun das vom Expertensystem ermittelte steuerliche Ergebnis ins Spiel. Denn mit dem Ergebnis kann bewertet werden, inwiefern der Lieferant die richtige Steuer auf seiner Rechnung ausgewiesen hat. Diese Prüfung erfolgt durch den Vergleich sogenannter Tax Events: desjenigen des Expertensystems und desjenigen des Lieferanten, das auf der Grundlage der Umsatzsteueridentifikationsnummer, des Steuersatzes und des Rechnungstextes ebenfalls anhand eines festgelegten Regelwerks ermittelt wird.

Sind die Tax Events gleich, kann davon ausgegangen werden, dass der Steuerausweis auf der Rechnung korrekt erfolgt ist und die ggf. ausgewiesene Vorsteuer gezogen werden kann, sofern die Rechnung den Anforderungen von § 14 Abs. 4 UStG genügt und sämtliche Rechnungselemente beinhaltet.

Mit Blick auf die drei Ebenen wird hiermit eine weitere Komponente in Form des Expertensystems ergänzt, das im Zusammenspiel mit den strukturierten Rechnungsdaten und den GPT-Modellen neue Daten in Form der Tax Tags produziert.

Grafik: Wertschoepfung durch KI und steuerliches Wissen

Prüfung nach § 14 Abs. 4 UStG

Nachdem ermittelt wurde, ob und wo die abgerechnete Leistung tatsächlich steuerpflichtig ist, wird mit vordefinierten Testlogiken die Vollständigkeit der Rechnungsangaben geprüft. Das Vorgehen fußt dabei nicht nur auf regelbasierten Prüfungen wie einer vorhandenen Rechnungsnummer oder eines Rechnungsdatums, es kommt auch Prompt-Logik – also generative KI – zum Einsatz, die insbesondere bei der Prüfung der ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung oder Mengeneinheiten einen massiven Vorsprung gegenüber regelbasierten Prüflogiken hat. Denn Prüflogiken basieren zumeist auf Wenn-Dann-Anweisungen, die vordefinierte Werte in festgelegten Datenfeldern prüfen. Ist ein Wert vorhanden bzw. im Falle der Rechnungsprüfung nicht vorhanden, schlägt das System an.

Bei der inhaltlichen Prüfung der Leistungsbeschreibung ist diese Schlagwortsuche nicht zielführend, da Unmengen von Schlagwörtern in unterschiedlichen Ausprägungen, Zusammensetzungen und Sprachen vorab im Regelwerk einzupflegen wären. Der Zeitaufwand wäre unverhältnismäßig. An dieser Stelle schafft generative KI Abhilfe. Sie hat die Fähigkeit, die inhaltliche Bedeutung einer Leistungsbeschreibung zu ermitteln und anhand der gesetzlichen Anforderungen wie dem Umsatzsteueranwendungserlass und weiteren Rechtsquellen zu prüfen, und zwar unabhängig von der Sprache – ein Quantensprung der fundierten Textinterpretation nach steuerlichen Vorgaben.

In der Dashboard-Ansicht des VAT Invoice Analyzer werden sowohl die Ergebnisse der regelbasierten Prüfung als auch die Resultate der KI-gestützten Prüfung je Rechnungsangabe visualisiert. Rechnungen, die die Prüfung nach § 14 Abs. 4 UStG nicht bestanden haben und besser abgelehnt werden sollten, werden entsprechend gekennzeichnet. Gleichzeitig zeigt die Detailansicht der abgelehnten Rechnungen die Gründe dafür auf: Beispielsweise fehlen Rechnungsbestandteile, die verwendeten steuerlichen Informationen sind ungültig oder die Leistungsbezeichnung ist nicht hinreichend genau. Das Ergebnis ist leicht nachprüfbar und die Entscheidungsfindung maximal transparent – eine Situation, die künftige Betriebsprüfungen vereinfachen dürfte.

Die Grundlage: Daten, Daten, Daten

KI-gestützte Systeme wie der VAT Invoice Analyzer nutzen und erzeugen eine Vielzahl von Daten. Sie sind hinsichtlich ihres Inhalts, ihrer Form und ihrer Haltung völlig unterschiedlich, aber dennoch hängen sie miteinander zusammen. So ist das PDF-Dokument unstrukturiert und wird mittels eines vordefinierten Prompts durch KI in eine strukturierte Form übersetzt und in einer transaktionalen Datenbank gespeichert. Auch wenn zu erwarten ist, dass durch die Neuregelung der elektronischen Rechnung ab 2025 unstrukturierte Dokumente stark zurückgehen werden, so verlagern sich die Aufwandstreiber durch neue Vorschriften und Technologien erfahrungsgemäß, verschwinden aber nicht. Daher ist es ratsam, in flexible Automatisierung zu investieren, die mit den laufenden Veränderungen des Umfeldes Schritt hält.

Das Expertensystem erzeugt basierend auf den Rechnungsdaten neue Daten, indem die Geschäftsvorfälle steuerlich anhand eines Tax Tag markiert werden. So wird gekennzeichnet, ob ein Dienstleistungsbezug oder ein Wareneinkauf vorliegt, ob das Unternehmen in der Mitte eines Reihengeschäfts tätig wurde oder Reverse-Charge-Material wie Aluminiumschrott gekauft wurde. Diese steuerlichen Attribute sind für die Entscheidungsfindung, das Monitoring und das Reporting von essenzieller Bedeutung. So werden entlang des steuerlichen Entscheidungsprozesses und der Rechnungsprüfung nach § 14 Abs. 4 UStG zusätzlich Audit-Trail-Daten erzeugt, die jede einzelne Entscheidung aufzeichnen und sie im Fall einer Prüfung bereithalten.

Nicht zu vergessen!

Hinter allen Entscheidungen stecken weitere Daten, nämlich das in digitaler Form gespeicherte steuerliche Wissen. Dieses Wissen ist im Fall des Expertensystems in Algorithmen und Stammdaten und im Fall der generativen KI in dezidierten Vektordatenbanken verortet. Diese Daten sind von der Steuerabteilung fortlaufend zu pflegen. Hier sind steuerliche Registrierungen, Organkreise, Freistellungsbescheinigungen und ähnliche steuerlich relevante Informationen zu hinterlegen und kontinuierlich aktuell zu halten.

Verschiedene Quellen

In den Vektordatenbanken werden fachspezifische Inhalte wie Gesetzestexte, Richtlinien, Erlasse oder Kommentare gepflegt, auf die das KI Modell zugreift. Insbesondere steuerliche Fachverlage verfügen über eine Fülle solcher Zusatzquellen und bieten die Interaktion mittels Chatbot an. So kann eine Wissensdatenbank zu umsatzsteuerlichen Rechnungsanforderungen für die eigene Eingangsprüfung genutzt werden. Mittels entsprechender Software laden Mitarbeiter diejenigen Dokumente hoch, die die generative KI als Anleitung zur Prüfung von Rechtsanforderungen nutzen soll.

Essenzielle Wissensquellen sind zudem die angebotenen Informationsaustauschsysteme von Finanzbehörden und anderen öffentlichen Einrichtungen, konkret also Schnittstellen zum Bundeszentralamt für Steuern, zur Europäischen Kommission oder zum Zoll. Auch Benchmark-Datenbanken für Fremdvergleiche bieten für Steuerfunktionen notwendiges Wissen. Letztere sind insbesondere mit Blick auf Verrechnungspreisfragen interessant. Das Spannende an diesen Datenbanken ist, dass die bestehenden Schnittstellen in Form von Tax Plug-ins in die unternehmenseigene Benutzeroberfläche eingebunden werden können.

Illustration: Vier stilisierte Schraub-Bits vor einem futurischen, lila Gitter-Hintergrund, die symbolisch verschiedene KI-Technologien darstellen. Schlitz-Bit fuer Standard-GPT-Modelle, Kreuz-Bit fuer KI mit RAG und spezialisierte Datenbanken, Torx-Bit fuer Expertensysteme mit tief vernetzten Daten und Inbus-Bit fuer Plugins zur Anbindung externer Systeme.

Die Puzzleteile zusammensetzen

Die Daten sind somit die Schrauben, die ausschließlich durch passgenaue Bits in Form von KI-Modellen, Expertensystemen, behördlichen Schnittstellen und Vektordatenbanken gedreht werden können. In dieser Konstellation beinhaltet die untere Ebene die drei beleuchteten steuerlichen Wissensquellen, die prinzipiell auch einzeln für sich genutzt werden könnten. Aber erst durch ihre Verknüpfung entsteht ein großartiger Next Level Support durch KI.

Was durch die Verknüpfung von steuerlichen Nutzeroberflächen, AI-Modellen und steuerlichen Daten entsteht, zeigt auch nachfolgendes Beispiel II:

Beispiel II 
Den Durchblick bei der Quellensteuer behalten

Carl C. ist Head of Tax in einem deutschen Unternehmenshub. Dieser übernimmt die Serviceleistungen für alle Tochtergesellschaften im Konzern weltweit. Das Portfolio ist breit aufgestellt und reicht von Bau- und Projektleistungen über IT-Dienstleistungen und technischen Service-Support bis hin zu Vermietungen. 

Regelmäßig muss C. im Rahmen der Zahlungsprüfung den ordnungsgemäßen Quellensteuereinbehalt prüfen. Am Anfang hatte der Konzern nur wenige Tochtergesellschaften, aber mittlerweile befindet sich in fast jedem erdenklichen Land eine operative Gesellschaft. So steigt die Komplexität, die C. angesichts des umfangreichen Portfolios an Serviceleistungen zunehmend Kopfschmerzen bereitet. Hinzu kommt, dass die operativen Gesellschaften vor Ort, wie so oft in zentral gesteuerten Unternehmensgruppen, keine eigenen Steuerabteilungen haben.

Das kann so nicht weitergehen. Neben aus Unkenntnis oder übertriebener Vorsicht überhöht abgeführten Quellensteuern und damit einhergehenden Doppelbesteuerungsrisiken drohen auch Nachzahlungen mit Strafzuschlägen und Zinsen. Unter Umständen kann die Nichtbeachtung der Quellensteuerpflicht dazu führen, dass die Töchter im Ausland von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen oder Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen beeinträchtigt werden, von Reputationsschäden einmal ganz abgesehen. Daher ist für C. klar: Es muss schnelle Abhilfe her. Auf der Suche nach einer passenden Lösung stößt er auf den Withholding Tax Invoice Analyzer von EY (kurz WHT Invoice Analyzer).

Quellensteuerermittlungen …

Der WHT Invoice Analyzer bietet die Möglichkeit, die infrage stehenden Rechnungen auf etwaige quellensteuerauslösende Sachverhalte hin zu überprüfen. Einmal hochgeladen und im Hintergrund strukturiert aufbereitet liest KI die entscheidenden Informationen – wie die Leistungsbeschreibung – aus und nutzt sie als Basis für die sich anschließende steuerliche Würdigung. Der Analyzer wurde dahingehend programmiert, die Leistungsbeschreibungen bestimmten Kategorien zuzuordnen. 

… mittels KI-gestützter Logiktests …

Hinter dieser Zuordnung steckt technische Vorarbeit. Denn der Analyzer greift auf eine Datenbank zurück, in der sämtliche potenziell quellensteuerpflichtigen Transaktionstypen hinterlegt sind. So erfolgt die Katalogisierung entlang definierter Schlagworte unter Berücksichtigung der ausgelesenen Leistungsbeschreibung. In diesem Zusammengang wird die inhaltliche Bedeutung der Leistungsbeschreibung extrahiert und durch KI mit Schlagworten wie „Construction“, „Building“ oder „Installation“ verglichen.

Hiermit erhält C. auf einen Blick eine Übersicht, für welche Rechnungen aus welchen Ländern der Analyzer eine Quellensteuerpflicht identifiziert hat. Und nicht nur das: Er erhält zudem die Information, welche Rechnungsposition im Einzelnen die Steuerpflicht auslöst und wie hoch der gesetzlich geschuldete Quellensteuerabzug hierauf wäre (vgl. hier).

… auch bei großen Datenmengen zu bewältigen

Ein großer Vorteil ist, dass der Analyzer auf einen Schlag mehrere Hundert Rechnungen auswerten kann. Auf diese Weise kann C. schnell eine gute erste Einschätzung erhalten. Künftig steht er bei der Frage nach der richtigen Quellensteuer nicht mehr allein da. Der WHT Invoice Analyzer liefert ihm als Sparringspartner wertvolle Unterstützung. Selbstverständlich auch auf Basis von ERP-Systemdaten. 

Generative AI für die Steuerfunktion

Wie gelingt die Integration von AI in der Steuerfunktion? Unter welchen Umständen schafft AI einen Mehrwert? Wie können Steuerfachleute effizient mit den neuen Technologien arbeiten? Vielen von uns dürften diese Fragen durch den Kopf gehen.


Autoren: Paul Thürmann I Joerg Stefan Brodersen I André Hengst

2024 EY Tax and Finance Operations (TFO) Survey 

Die EY-TFO-Umfrage 2024 offenbart, wie GenAI als Schlüsseltechnologie fungiert, um Fachkräfte bei der Überbrückung von Talentlücken und Budgetrestriktionen zu unterstützen. 87 Prozent der Fachleute aus Steuern und Finanzen sind überzeugt, dass GenAI ihre Arbeitsweise revolutionieren wird, indem sie Effizienz und Effektivität steigern. Zum ersten Mal werden in der EY-Umfrage Budgetkürzungen als das größte Hindernis für die Umsetzung einer modernen Steuer- und Finanzfunktion genannt. Die Notwendigkeit qualifizierter Talente wird immer dringlicher, um den Herausforderungen des Talentmangels und der neuen Berichtsanforderungen zu begegnen. 

Dies sind die Kernergebnisse unserer diesjährigen Ausgabe des TFO Survey 2024.

Grafik: Glauben Sie, dass GenAI in den naechsten drei Jahren dazu beitragen wird, die Effektivitaet und Effizienz Ihrer Steuerabteilung zu steigern?
Grafik: Welches steuerliche Aufgabengebiet wird in den naechsten drei Jahren am meisten von KI beeinflusst werden?

Grafik: In welchem Umfang glauben Sie, wird der Einsatz von KI die Mitarbeiterzahl in der Steuerabteilung in den nächsten drei Jahren beeinflussen?
Grafik: Wie wuerden Sie die GenAI-Reife Ihrer Steuer- und Finanzfunktionen beschreiben?



Fazit

Wertschaffende KI in der Steuerfunktion fällt nicht vom Himmel. Die transformative Kraft muss durch die gezielte Kombination von steuerlichen Daten, Algorithmen und spezifischem Fachwissen proaktiv entfesselt werden. Hierbei geht es um Potenziale, Expertise, Ideen und den richtigen Technologieeinsatz. Steuerliche Expertensysteme, maschinelles Lernen oder generative KI bieten unterschiedliche Fähigkeiten. Alle Systeme haben prädestinierte Anwendungsfälle, in denen sie ihre Stärken ausspielen können. Geschickt kombiniert können KI-Systeme dafür sorgen, bestehende Prozesse in Steuerfunktionen gänzlich neu zu denken und einen Mehrwert zu schaffen, der weit über reine Prompt-Anwendungen hinausgeht.

Die Effizienzgewinne fallen umso höher aus, je mehr steuerliche Wissensquellen miteinander vernetzt und je detaillierter die Daten für steuerliche Zwecke aufbereitet und strukturiert werden. Über den gewünschten Output sollten sich Anwender vorab hinreichend Gedanken machen. Reicht es in unseren Beispielsfällen etwa, dass Rechnungen ordnungsgemäß sind oder dass eine Quellensteuerpflicht identifiziert wird? Was wäre mit folgender Aufgabenstellung/Potenzialfrage? Viele Unternehmen schicken Mitarbeiter ins Ausland, die dort Bus, Bahn, Hotels und Restaurants nutzen, wofür Spesen anfallen. Theoretisch könnten sich die Unternehmen die Vorsteuern über das Vorsteuervergütungsverfahren zurückholen. Bisher ist das aber oftmals zu aufwendig. Ein KI-System könnte nicht nur den administrativen Aufwand erheblich reduzieren, sondern auch einen signifikanten Cashflow-Vorteil generieren. KI ist somit ein Schlüssel zu verborgenen Potenzialen im Steuerwesen – es ist an der Zeit, diesen Schlüssel zu nutzen.

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