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Worauf es bei der „Technical Compliance“ ankommt

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Spätestens seit dem Dieselskandal ist klar: Technische Regelkonformität ist enorm wichtig. Was Unternehmen jetzt wissen sollten.


Überblick

  • Die „Technical Compliance“ setzt am technischen Produkt an und zieht sich durch ein breites Einsatzspektrum.
  • Bei der technischen Compliance gibt es keine „One fits all“-Lösung; deshalb ist es umso wichtiger, dass passgenaue Strategien aufgesetzt werden.
  • Es ist ein dynamisches Feld mit sich ständig weiterentwickelnden Regularien im In- und Ausland.

Was bedeutet „Technical Compliance“?

Die unternehmensinternen Compliance-Aktivitäten haben in den letzten Jahren eine rasante und ständige Weiterentwicklung erfahren. Lag der Fokus zunächst auf Korruptionsprävention und Kartellrechtskonformität, so ist das Ziel heute, weitere Risikofelder zu identifizieren und die erkannten Risiken konsequent zu mitigieren. Eine der neuesten Entwicklungen lässt sich mit dem Schlagwort „Technical Compliance“ treffend beschreiben. Was steckt dahinter? „Compliance“ lässt sich als die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und innerbetrieblichen Ausführungsregelungen definieren. Dies gilt auch für Technical Compliance, allerdings setzt die Betrachtung am technischen Produkt an.

Zusammenfassend geht es bei diesem Begriff um die Konformität mit sämtlichen regulatorischen Anforderungen, die an ein Produkt gestellt werden. Dazu gehören Gesetze, Verordnungen, Richtlinien oder weitere zu berücksichtigende technische Vorgaben und Standards. Dabei spielen nicht nur rechtliche Anforderungen im Inland, sondern auch Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Union (EU) oder internationale Vorgaben wie die UNECE-Regularien eine Rolle.

Herausforderungen der unternehmensinternen Technical Compliance

Unabhängig von dem konkreten technischen Produkt lassen sich bestimmte allgemeine Herausforderungen der produktbezogenen Compliance identifizieren:

  • zunehmender Regulierungsdruck
  • verstärkte Rechtsdurchsetzung
  • hohe Internationalität

Die Entwicklung neuer Compliance-Ansätze folgt einer veränderten Risikoexposition, die im Bereich des technischen Produkts durch den sogenannten Dieselskandal schlagartig ins Bewusstsein rückte. Die Notwendigkeit der Etablierung eines auf das technische Produkt ausgerichteten Compliance-Management-Systems (kurz: tCMS) lässt sich jedoch nicht an einem Ereignis festmachen, sondern hat viele Gründe. An erster Stelle zu nennen ist eine stetig zunehmende gesetzgeberische Regulierung technischer Produkte. Dies zeigt sich nicht nur an einer generellen Zunahme der für ein bestimmtes Produkt anwendbaren Regularien, sondern auch an der Geschwindigkeit, mit der sich bereits etablierte Regularien weiterentwickeln. Daher ist es eine zentrale Aufgabe der technischen Compliance, die legislativen Aktivitäten ständig in den Blick zu nehmen, relevante Veränderungen zu identifizieren und zu bewerten und die Ergebnisse in den Produktentstehungsprozess einfließen zu lassen. Die Identifizierung der für ein bestimmtes Produkt anwendbaren konkreten regulatorischen Anforderungen ist eine herausgehoben wichtige Aufgabe der Technical Compliance.

Was die verstärkte Rechtsdurchsetzung angeht, so wurde auch in Europa die Marktüberwachung, zum Beispiel durch die Verordnung (EU) 2018/858, verstärkt. Allein die Tatsache, dass die Regelungen hinsichtlich der EU-Typgenehmigung (unter anderem von Kraftfahrzeugen) nun in einer Verordnung und nicht mehr in einer Richtlinie geregelt werden, lässt auf eine Aufwertung der Thematik schließen. Darüber hinaus werden auch weltweit bestehende Regularien mit erhöhter Konsequenz kontrolliert und durchgesetzt. Dieser Trend geht mit einer zunehmenden Sensibilisierung und Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für das Thema Produktkonformität einher.

Beim Thema Internationalität ist zu beachten, dass technische Produkte in der Regel nicht nur auf dem heimischen Markt angeboten, sondern global vertrieben werden. Das bedeutet, dass ein Produkt Regularien in unterschiedlichen Jurisdiktionen folgen muss. Zwar gibt es im technischen Bereich durchaus Bestrebungen, technische Standards zu vereinheitlichen – etwa durch technische UNECE-Regelungen –, allerdings wird diesen nicht in jeder Jurisdiktion gefolgt. Teilweise werden eigene, mitunter abweichende Bestimmungen erlassen. Kurzum: Es ist eine große Herausforderung, die weltweit bestehenden Regularien und deren kontinuierliche Weiterentwicklung im Blick zu behalten.


Technische Compliance steht vielen Anforderungen gegenüber – dazu zählen beispielsweise die hohe Internationalität des Produktvertriebs, aber auch verstärkte Rechtsdurchsetzungen im In- und Ausland oder neue Regulierungen.


Technical Compliance in der Automobilindustrie

Kennzeichnend für Technical Compliance ist ein großes Themenspektrum. Die inhaltlichen Themenfelder, die durch ein technisches Compliance-Management-System berücksichtigt werden sollen, lassen sich nicht pauschal und abschließend auflisten. Die Themenfokussierung und ­gewichtung hängt von der konkreten Branche, der unternehmerischen Zielsetzung und den technischen Produkten selbst ab. Die typischen Anwendungsbereiche in der Automobilindustrie lassen sich grob wie folgt gliedern:

  • Produkthaftung und -sicherheit
  • Konformität mit der Zertifizierung (z. B. EU-Typgenehmigung) inklusive Kennzeichnung von Produkten
  • Emissionsverhalten von Verbrennungsmotoren (Spezialthema der Automobilindustrie)

Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das jeweilige technische Produkt, in der Automobilindustrie beispielsweise unterschiedliche Fahrzeuge wie Pkw, Lkw, Busse oder deren Komponenten wie zum Beispiel ein Verbrennungsmotor. Produkthaftung und -sicherheit – oft auch als „Safety-Themen“ zusammengefasst – spielen hier eine wichtige Rolle und sind lange als wesentliche Risikofelder bekannt. Unternehmen haben Ansätze entwickelt, um diesen Risiken zu begegnen.

Die Themenfelder von Technical Compliance gehen jedoch deutlich über diese Aspekte hinaus. Ein wichtiger Themenkomplex ist auch die Zertifizierung. Die Anforderungen an die Produktzertifizierung steigen parallel zur weltweiten Regulierungszunahme. Für die Automobilindustrie von besonderer Bedeutung ist hierbei die Verordnung (EU) 2018/858, die die alte Richtlinie 2007/46/EG abgelöst hat. Basierend darauf kann eine EU-Typgenehmigung für Fahrzeuge, einzelne Systeme, Bauteile oder auch sonstige selbstständige technische Einheiten erteilt werden. Die Verordnung ist anwendbar für Fahrzeuge der Klassen M und N, also auch für schwere Lkw und Busse. Erfasst sind damit die klassischen „On Highway“-Anwendungen, mithin Kraftfahrzeuge, die dazu bestimmt sind, auf öffentlichen Straßen gefahren zu werden.

Zu beachten ist jedoch, dass Verbrennungsmotoren für mobile Maschinen und Geräte, die nicht für den Straßenverkehr bestimmt sind (z. B. Baustellenfahrzeuge), durch die Verordnung (EU) 2016/1628 die EU-Typgenehmigung erhalten. Ein Beispiel: Betrachtet man einen bestimmten Verbrennungsmotor als ein zu genehmigendes Produkt, ist zu beachten, dass ein solcher Motor aus einer Vielzahl kleinerer Bauteile besteht. Diese sind wiederum in den Beschreibungsunterlagen der EU-Typgenehmigung aufgelistet und damit von ihr mit umfasst. Wichtig ist, dass der konkrete Bauzustand des Produkts mit der entsprechenden EU-Typgenehmigung im Einklang steht. Dies gilt auch für sämtliche Bauteile, die in den Beschreibungsunterlagen aufgelistet sind (z. B. Turbolader oder Einspritzdüsen). Werden technische Produkte wie ein bestimmter Verbrennungsmotor nach kostenintensiver Entwicklungsarbeit über mehrere Jahre mit einer bestimmten EU-Typgenehmigung produziert, so müssen auch mögliche Weiterentwicklungen hinsichtlich einzelner Bauteile beobachtet werden.

Hinsichtlich der Überprüfungen durch die Genehmigungsbehörde beziehungsweise durch die beauftragten technischen Dienste ist zu beachten, dass diese nicht nur im Rahmen der Erlangung einer EU-Typgenehmigung erfolgen, sondern sich auf den gesamten Produktionszeitraum des jeweiligen technischen Produkts erstrecken. Diese COP-Prüfungen (Conformity of Production) werden stichprobenartig vorgenommen und müssen exakt nach den anwendbaren Regularien erfolgen. Eine korrekte Zertifizierung technischer Produkte zu erlangen und zu behalten, bedarf etablierter Prozesse.


Technical Compliance ist vielseitig: In der Automobilindustrie geht es häufig um sogenannte Safety-Themen, Emissionen von Verbrennern oder Zertifizierungskonformität.


Auch Spezialthemen spielen eine Rolle
 

Über die beiden vorgenannten Aspekte hinaus gibt es branchen- und vor allem produktabhängig eine ganze Reihe unterschiedlicher Spezialthemen, die mit dem Begriff „Technical Compliance“ assoziiert sein können. In der Automobilindustrie rückt das Thema „Emissionen“ in den Fokus. Auch hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, die jeweils anwendbaren Regularien zu identifizieren und richtig zu interpretieren. Zu unterscheiden ist hier nicht nur nach unterschiedlichen Emissionsstufen wie Euro IV, Euro V, oder Euro VI, sondern auch nach der Verwendung der jeweiligen Verbrennungsmotoren. Betrachtet man die Euro-VI-Abgasstufe, so ist für Pkw die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 heranzuziehen, für schwere Lkw und Busse jedoch die Verordnung (EG) Nr. 595/2009 und insbesondere zur Durchführung die Verordnung (EU) Nr. 582/2011. Hersteller, die (zusätzlich) Industriemotoren („off highway“) herstellen, haben wiederum andere Emissionsstufen zu beachten, die zum Beispiel in der Verordnung (EU) 2016/1628 niedergelegt sind.

Am Beispiel der Emissionsstufen lässt sich auch die generelle Problematik der erhöhten Regelungsdichte verdeutlichen: Allein mit der Euro-VI-Abgasstufe für Pkw geht eine Vielzahl unterschiedlicher Emissionsstufen einher, wie zum Beispiel Euro 6b, Euro 6c, Euro 6d Temp bis hin zu Euro 6d-ISC-FCM. Neben immer strengeren Grenzwerten für bestimmte Schadstoffe sind die Hersteller auch mit zusätzlichen Prüfanforderungen konfrontiert. Hierzu zählen etwa PEMS-Prüfungen (Portable Emissions Measurement System) und ISC-Anforderungen (In-Service Conformity). Noch weitaus komplexer gestaltet sich das Einhalten der einschlägigen Emissionsvorschriften, wenn man bedenkt, dass die entsprechenden Motoren weltweit vertrieben werden sollen.

Bei Verstößen in diesem Bereich drohen erhebliche finanzielle Konsequenzen, die nicht nur auf Strafzahlungen der Unternehmen oder zivilrechtliche Zahlungen auf Schadensersatz beschränkt sind. Längst stehen bei dem Thema „Defeat device“ beziehungsweise „Abschalteinrichtung“ strafrechtliche Folgen im Raum, die auch das Top-Management treffen können. Die Unsicherheit auf diesem Feld ist groß, werden doch neben dem klassischen Betrug nach § 263 StGB plötzlich auch eher exotisch anmutende Tatbestände wie die strafbare Werbung nach § 16 UWG oder die mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB zur Anklage gebracht. Gerade letzterer Tatbestand, bisher in der Automobilindustrie kaum beachtet, hat das Potenzial, erhebliche Verunsicherung hervorzurufen, schützt er doch die inhaltliche Richtigkeit öffentlicher Urkunden (Stichwort: Zertifizierung). Bei diesem Thema ist einiges noch nicht abschließend geklärt und juristisch noch nicht entschieden. Klar ist allerdings bereits jetzt, dass Compliance-Bestrebungen im technischen Bereich immer mehr Aufmerksamkeit zuteilwird.


Technische Compliance ist ein komplexes Feld. Wichtig ist, dass Unternehmen auf der sicheren Seite stehen, denn bei Verstößen können drastische Konsequenzen drohen, die finanziell schmerzen oder gar das Top-Management treffen könnten.


Technical Compliance: Wie können Risiken mitigiert werden?

Risiken können durch systematische Risikomitigierung mit einem Compliance-Management-System abgemildert werden, genauer gesagt mit einem Technical-Compliance-Management-System (tCMS). Es handelt sich hierbei nicht um eine völlige Neudefinition von bereits bekannten CMS-Konstrukten, sondern um eine Anpassung und spezifische Weiterentwicklung mit dem Ziel, regulatorischen Anforderungen zu begegnen. Als Grundlage für den Aufbau eines solchen tCMS kann, wie auch in anderen Compliance-Bereichen, der Prüfungsstandard IDW PS 980 herangezogen werden.

Selbstverständlich muss ein tCMS seinen eigenen Herausforderungen gerecht werden; deshalb müssen die jeweiligen Elemente des Compliance-Programms systematisch an technische Aspekte angepasst werden. Dies betrifft die Anpassung von entsprechendem Schulungsmaterial und die Abstimmung von Trainingskonzepten auf die jeweiligen Zielgruppen ebenso wie Anpassungen interner Kontrollen im Hinblick auf technische Sachverhalte wie den Produktentwicklungsprozess. Selbst im Bereich der Geschäftspartner-Due-Diligence gilt es, andere Schwerpunkte zu setzen. Ist beispielsweise bereits ein CMS mit Fokus Korruptionsprävention vorhanden, so kann auf diesen Strukturen aufgebaut werden. Bereits etablierte Prozesse in den Entwicklungs- und Homologationsabteilungen sollten geprüft und wenn möglich für die Etablierung eines tCMS nutzbar gemacht werden.

Es ist außerdem notwendig, solide präventive Evaluierungs- und Entscheidungsprozesse für als kritisch erkannte Sachverhalte festzulegen. Hierbei sollte früh im Produktentwicklungsprozess angesetzt werden, um unnötige Verzögerungen und Kosten für die Unternehmen zu vermeiden. Wichtig ist es, unmissverständlich zu definieren, welche technischen Sachverhalte als potenziell problematisch eingestuft werden und in den Prozess einfließen müssen. Die beteiligten Mitarbeitenden müssen entsprechend sensibilisiert werden und Verantwortlichkeiten müssen klar festgelegt sein. Unbedingt erforderlich ist es, die entsprechenden Gremien mit den relevanten Fachleuten aus den jeweiligen Fachbereichen zu besetzen und in den Prozessen eine oder mehrere Eskalationsmöglichkeiten zu etablieren, um bei Bedarf und falls auf den unteren Ebenen keine Entscheidung getroffen werden konnte, auch die Hierarchie bis hin zu den Leitungen der involvierten Fachbereiche (oder gar die entsprechenden Vorstandsressorts) beteiligen zu können. Wie in anderen Compliance-Bereichen auch sollte ein tCMS die Felder „Prevent“, „Detect“ und „Respond“ aus dem bekannten 3-Säulen-Modell ebenfalls abdecken.

Generell gilt: Ein funktionsübergreifender Ansatz ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Kennzeichnend für jegliche Form der Compliance-Arbeit ist ein interdisziplinärer Ansatz, bei dem Mitarbeitende aus unterschiedlichen Fachrichtungen wie etwa dem Engineering, der Homologation/Zertifizierung und dem Rechtsbereich konstruktiv zusammenarbeiten. Dieses Arbeitsmodell gilt noch stärker im Kontext von Technical Compliance. Als ebenso herausfordernd wie bereichernd stellt sich hierbei der Wissensaufbau in allen beteiligten Bereichen dar. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und der kontinuierliche Wissensaustausch sind hier ein wesentlicher Erfolgsfaktor und zeichnen ein funktionierendes Technical-Compliance-Management-System aus. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die steigenden regulatorischen Anforderungen und die zu erwartende Diversifizierung der Regulatorik. Ein passgenaues tCMS kann Unternehmen helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen und zu mitigieren.

Fazit

Der Begriff „Technical Compliance“ findet nicht zuletzt seit dem sogenannten Dieselskandal verstärkte Beachtung. Es handelt sich hierbei um Compliance-Aktivitäten, die am technischen Produkt ansetzen. Die konkreten Anwendungsbereiche, die sich für „Technical Compliance“ ergeben, sind allerdings vielfältig und nicht zuletzt abhängig von dem jeweiligen technischen Produkt. Umso mehr gilt, dass ein „One fits all“-Ansatz den Herausforderungen nicht gerecht werden kann. Ziel sollte es sein, ein auf die konkrete Risikodisposition zugeschnittenes technisches Compliance-Management-System zu erarbeiten, wobei bereits vorhandene Strukturen nutzbar gemacht und weiterentwickelt werden können.

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