Ein entscheidendes Element in der künftigen EU-Klimapolitik ist der neue Mechanismus zum CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Es handelt sich im Kern um eine Importabgabe, die sich an der Emission von Treibhausgasen bestimmter Einfuhrgüter orientiert und EU-Hersteller vor „schmutziger“ Konkurrenz aus Drittländern schützen soll. Nach langen Verhandlungen haben der EU-Ministerrat und das Europäische Parlament am 13. Dezember 2022 eine grundsätzliche Einigung über eine entsprechende Verordnung erzielt, die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gelten soll. Zwar sind einige Fragen noch zu klären, insbesondere Details in begleitenden Durchführungsverordnungen. Da aber die Übergangsphase zur Einführung des CBAM mit einhergehenden Berichtspflichten ab dem 1. Oktober 2023 beginnen soll, müssen sich die betroffenen Unternehmen und insbesondere Importeure unverzüglich mit dem neuen Instrument befassen. Bis 2027 soll der CBAM dann vollständig in Kraft treten und eine CO2-Bepreisung in Form von zu kaufenden CBAM-Zertifikaten für bestimmte Importwaren anzuwenden sein.
Ende der kostenlosen ETS-Zertifikate
Bisher werden in der EU die Auswirkungen der Emission von Treibhausgasen wie CO2 durch Industrieunternehmen dadurch abgemildert, dass betroffene Unternehmen in bestimmten Branchen kostenlose ETS-Zertifikate bekommen. Damit ist künftig Schluss. Der CBAM soll dann die Verlagerung emissionsintensiver Herstellungstätigkeiten in Länder mit weniger strengen Emissionsregelungen bzw. keiner oder niedrigerer Bepreisung von Treibhausgasemissionen („carbon leakage“) und die Überflutung des Binnenmarktes mit günstiger Drittlandsware verhindern. Die Carbon-Leakage-Liste, in der die Sektoren und Teilsektoren festgelegt sind, die der kostenlosen Zuteilung unterliegen, deckt derzeit etwa 94 Prozent der industriellen Emissionen in der EU ab. Mit dem CBAM soll die kostenlose Zuteilung ein Ende finden.
Welche Produkte sind betroffen?
Der aktuelle Verhandlungsentwurf zum CBAM betrifft die Einfuhr einer Vielzahl von Waren in den folgenden Produktgruppen:
- Zement (sowie verwandte Produkte)
- Elektrizität
- Dünger (sowie diverse Vorprodukte)
- Eisen- und Stahl (sowie diverser hieraus hergestellter Produkte)
- Aluminium (sowie diverser hieraus hergestellter Produkte)
- Wasserstoff
Die politischen Entscheidungsträger der EU streben an, dass der vom CBAM umfasste Warenkreis bis zum Jahr 2030 auf Erzeugnisse aller Sektoren ausgeweitet wird, die dem EU-Emissionshandel (ETS) unterliegen. Hierunter fallen vereinfacht alle energieintensiven Produkte, u.a. organische und anorganische Chemikalien, Polymere, Mineralölprodukte, Glas, Ton, Papier und weitere Produkte.
Zersplitterte Klimaschutzwelt
Wie unterschiedlich derzeit die klimapolitischen Maßnahmen rund um den Globus sind, zeigt der EY Green Tax Tracker. Nach den offiziellen Angaben der Weltbank gibt es weltweit 70 Initiativen zur Bepreisung von Emissionen. Diese Zahl umfasst jedoch nicht alle politischen Diskussionen. Umgekehrt unterliegen die Emissionen in über 100 Ländern derzeit keiner direkten CO2-Bepreisung oder -besteuerung. Zumindest am europäischen Binnenmarkt soll es künftig mit Hilfe des CBAM ein level playing field für Hersteller aus EU- und Drittstaaten geben.
Gefahr von Handelskriegen
Zwar bemüht sich die EU, ein mit dem Welthandelsrecht kompatibles Instrument zu schaffen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass einige Staaten darin unzulässige Handelshemmnisse in grüner Ummantelung sehen. Folglich könnten einzelne Staaten Gegenmaßnahmen u.a. in Form von Strafzöllen einführen. Handelskonflikte und sogar Handelskriege sind daher im Zuge der CBAM-Einführung nicht auszuschließen, da der CBAM die Kraft hat Handelsströme zumindest mittelfristig umzulenken. Auf die Welthandelsorganisation WTO dürfte daher einiges an Arbeit zukommen. Unternehmen müssen also mit einer längeren Periode zusätzlicher Unsicherheit für ihre globalen Lieferketten und Absatzmärkte rechnen. Dabei verzichtet die EU bereits darauf, neben den Importen künftig auch Exporte in den CBAM einzubeziehen, etwa in Form von Erstattungen für geleistete CO2-Abgaben in der EU. Derartige Exporterstattungen wären wahrscheinlich nicht WTO-konform, deren Nichtberücksichtigung benachteiligt jedoch Exportprodukte der EU-Hersteller auf dem Weltmarkt. Darüber hinaus bemüht sich die EU auf Initiative von Bundeskanzler Olaf Scholz um einen internationalen Klimaklub, in dem sich die Staaten auf ein ähnliches Maß an CO2-Bepreisung verpflichten und sie so internationale Handelsfriktionen zu vermeiden versuchen.
Auswirkungen auf die Unternehmen
CBAM wird sich auf die Unternehmen in der EU und weltweit auswirken - und zwar sowohl im Hinblick auf die operative Reaktion als auch auf die strategische Entscheidungsfindung. Die Auswirkungen können entweder direkt oder indirekt sein und lassen sich grob wie folgt kategorisieren:
- Kosten - Wenn ein Unternehmen einschlägige Waren in die EU einführt, wird es durch den Kauf von CBAM-Zertifikaten höhere Kosten haben. Innerhalb der Wertschöpfungskette werden diese absehbar durch Preisänderungen oder vertragliche Vereinbarungen abgewälzt und schlagen so bis auf den Endverbraucher durch.
- Wettbewerbsfähigkeit - Wenn ein im Drittland ansässiges Unternehmen Waren in die EU verkauft, können seine Waren für EU-Kunden teurer sein als Waren, die nicht oder nicht im selben Maß dem CBAM unterliegen. Der CBAM wird Liefer- und Handelsketten verändern, da emissionsarm hergestellte Waren zukünftig einen Preisvorteil haben.
- Einhaltung der Vorschriften - Die neue Regelung wird komplexe bürokratische Anforderungen für die betroffenen Unternehmen mit sich bringen, einschließlich der Notwendigkeit, Emissionsdaten und Nachweise zu beschaffen, zu kalkulieren und zu überwachen, CBAM-Zertifikate zu erwerben und CBAM-Erklärungen abzugeben.
- Lieferstruktur - Vertraglich können die Verpflichtungen zur Einhaltung von CBAM zwischen den Geschäftspartnern in einer Lieferkette verschoben werden. Sobald CBAM ab 2027 in vollem Umfang eingeführt ist, werden nur noch „autorisierte Anmelder“ berechtigt sein, vom CBAM umfasste Produkte in der EU zur Einfuhr anzumelden. Einige Importstrukturen werden neu zu organisieren sein. Durch besondere Zollverfahren lassen sich die Kosten für den CBAM bei exportorientierten Unternehmen reduzieren.
- Risiko - Bei vom CBAM umfassten Waren ist mit einer erhöhten Risikoexposition und einer genaueren Überprüfung der Aktivitäten in der gesamten Lieferkette zu rechnen. Die Unternehmen müssen ein effektives Risikomanagement einführen.