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Joint Ventures in der Zuliefererindustrie – Königsweg zur erfolgreichen Transformation?

Automobilzulieferer stehen vor einem hohen Transformationsdruck. Joint Ventures sind eine strategische Option, um die Transformation zu meistern.


Überblick

  • Kollaborative Transformationsansätze erfreuen sich zunehmender Beliebtheit innerhalb der Automobilzuliefererindustrie.
  • Die Anzahl anorganischer Transformationsstrategien hat sich in den letzten sechs Jahren verdoppelt.
  • Joint Ventures erfreuen sich dabei aus vielseitigen Gründen immer größerer Beliebtheit.

Hoher Transformationsdruck trotz Rekordgewinnen bei den Automobilherstellern

Die deutschen Automobilhersteller verbuchen (weiterhin) Rekordgewinne – so auch im ersten Halbjahr 2023. Dennoch steht die deutsche Automobilindustrie unter enormem Handlungsdruck. Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten müssen neu gedacht und die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt werden. Ohne einen tiefgreifenden Strukturwandel droht Deutschlands Automobilindustrie abgehängt zu werden. Das betrifft in besonderem Ausmaß die Zulieferindustrie.

Die wesentlichen Herausforderungen sind die folgenden:

  • Die Umstellung auf Elektrofahrzeuge schreitet viel schneller voran als erwartet. Zulieferer spüren schon heute eine signifikante Umsatzreduzierung infolge der rückläufigen Nachfrage nach herkömmlichen Komponenten für Verbrennungsmotoren. Die dadurch bereits angespannte Umsatzsituation der Zulieferer wird durch die Depriorisierung volumenstarker Fahrzeuge der OEMs (infolge der eingeschränkten Verfügbarkeiten wesentlicher Komponenten wie Halbleiter werden margenstärkere Fahrzeuge priorisiert) weiter verstärkt.
  • Die fundamentale Transformation stellt Automobilzulieferer vor enorm hohe technologische Herausforderungen und erfordert eine zuvor noch nie da gewesene Flexibilität. Unternehmen müssen je nach Produktpalette und Abhängigkeit vom Verbrenner individuell ihr bestehendes Produktportfolio strategisch weiterentwickeln und zugleich grundlegend neu ausrichten.
  • Die Verschiebung der Profit Pools zu E-Mobility-Komponenten (z. B. Batterie, Hochvoltkomponenten) macht zahlreiche Verbrennerteile und damit gegenwärtige Revenue Pools der Zulieferer perspektivisch obsolet. Neuartige Technologien wie auch Softwarekompetenzen gewinnen massiv an Bedeutung, wie am Beispiel des autonomen Fahrens deutlich wird. Das lockt neue Wettbewerber aus anderen Branchen auf den Markt, z. B. Technologie- und Chemieunternehmen. Weiterhin kommt (bisher) für viele europäische Zulieferer ein „Last Man Standing“-Szenario für das Verbrenner-Geschäft nicht infrage.
  • Automobilhersteller planen in den nächsten drei bis vier Jahren milliardenschwere Investitionen mit den Schwerpunkten Elektromobilität, autonomes Fahren und Digitalisierung. Dabei drängen sie auch verstärkt auf die Integration klassischer Tätigkeiten von Zulieferern, um im Zuge des Wandels weg vom Verbrennungsmotor ihre Kontrolle über die Wertschöpfungskette zu steigern und eigene Beschäftigungsstrukturen zu sichern. Das wiederum setzt die Zulieferer zusätzlich unter Druck.
  • Nach COVID-19 sorgen die weiter zunehmenden geopolitischen Spannungen, z. B. infolge der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten (und des schwelenden Taiwan-Konflikts), weiterhin für erhebliche Störungen globaler Lieferketten. Diese werden zumindest mittelfristig anhalten und die Trendumkehr zur Lokalisierung verstärken– was die Investitionsbedarfe der Zulieferer kurzfristig weiter erhöht. Zudem stellen die konstant hohen Energie- und Rohstoffpreise in Kombination mit hohen (und evtl. weiter steigenden) Finanzierungskosten zuvor profitable Produktionsstandorte vor existenzbedrohende Herausforderungen und erschweren das Schultern der massiven Transformationsaufwände. Darüber hinaus hält sich die Inflation in Europa noch deutlich hartnäckiger als in China oder in den USA.

Einige Automobilzulieferer scheinen infolgedessen deutlich schneller als gedacht an die Grenzen ihrer Unternehmensgrundlage zu kommen. Zum Teil gute Liquiditätssituationen infolge von Corona-Hilfen, hoher Nachfrage und voller Auftragsbücher schmelzen durch den Katalysator externer Bedingungen weiter ab. Trotzdem fokussieren sich bisherige Transformationsaktivitäten der Zulieferer eher auf Einzellösungen wie das Abstoßen einzelner Werke oder Produktlinien, während größere Transaktionen zur Neuausrichtung die Ausnahme bleiben. Und so scheint die deutsche Zuliefererindustrie mit ihren Transformationsaktivitäten insgesamt weiterhin auf der Stelle zu treten.

Besondere Herausforderungen der Automobilzulieferer verlangen ein Überdenken aktueller Strategien

Automobilzulieferer mit ihren (auch durch die OEMs immer weiter) global auf Effizienz getrimmten und historisch aus dem Mittelstand gewachsenen Strukturen finden sich in einer Situation wieder, in der das Troubleshooting im Tagesgeschäft infolge der externen Faktoren die eigene Organisation bereits an die Grenze des Machbaren bringt. Hinzu kommt das mit Blick auf den Transformationsbedarf in Projekte übersetzte „Grundrauschen“ in Form von Optimierungs-, Kostenreduzierungs- und kleineren Restrukturierungsprojekten. Und trotz (oder gerade wegen) dieser Ausgangslange muss ein tiefgreifender Wandel mit Blick auf Technologien, Produktportfolios, Kundenstrukturen und Operating Models erfolgen.

 

Angesichts des Umfangs des erforderlichen Wandels und der Ausgangslage der Zulieferer wird deutlich, dass nur die wenigsten in der Position sind, diese Transformation völlig eigenständig zu meistern. Den meisten wird es dazu immer an etwas Entscheidendem fehlen, sei es am technologischen Know-how, am Zugriff auf begrenzte Ressourcen im erforderlichen Umfang wie Fachkräfte und Rohstoffe, an der erforderlichen Kapitalausstattung, am Zugang zu günstigen Finanzierungskonditionen oder an einer Kombination davon.

 

Automobilzulieferer setzen bei der Transformation verstärkt auf Joint Ventures

Folglich ist es keine Überraschung, dass sich kollaborativ orientierte Transformationsansätze zunehmender Beliebtheit erfreuen. So hat sich über die letzten sechs Jahre die Anzahl neuer Partnerschaften und M&A-Transaktionen bei den Top-100-Automobilzulieferern auf insgesamt mehr als 20 pro Monat verdoppelt. Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung sind Partnerschaften, nicht traditionelle M&A-Transaktionen. Das Verhältnis von neuen Partnerschaften zu klassischen M&A-Transaktionen hat sich inzwischen von etwa 1 : 1 im Jahr 2016 auf 10 : 1 im Jahr 2021 verschoben. Die Anzahl der Partnerschaften stieg im selben Zeitraum um den Faktor 3,5. Auch die Vielzahl bereits durchgeführter oder angekündigter Partnerschaften in den Jahren 2022 und 2023 deutet an, dass sich dieser Trend weiter fortsetzen könnte.

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Als eine spezifische Option innerhalb von strategischen Partnerschaften (im weiteren Sinne) tragen hierzu auch mehr und mehr Joint Ventures bei. Denn hier legen die beteiligten Parteien ihre Ressourcen in Form von Personal und Vermögensgegenständen (z. B. Kapital, Werke, Intellectual Property und Markenrechte) in einem gemeinsamen Unternehmen zusammen. Ein aktuelleres Beispiel ist das im letzten Jahr angekündigte Joint Venture für Mobilitätslösungen mit Wasserstofftechnologien zwischen dem deutschen Automobilzulieferer Schaeffler AG und Symbio (dem französischen Joint Venture von Faurecia und Michelin). Das 50 : 50-Gemeinschaftsunternehmen plant die Produktion von Bipolarplatten für Brennstoffzellen ab 2024, wobei Symbio die Brennstoffzellen-Systemkompetenz und Schaeffler die metallischen Bipolarplatten einbringt. Ein weiteres prominentes Beispiel ist das Joint Venture von Continental und aft automotive zur gemeinsamen Produktion von Kupplungen aus Hochleistungskunststoffen mit Fokus auf Elektromobilität.

Insbesondere in Branchen, die in Zeiten hoher Kapitalkosten einen rigorosen Strukturwandel durchleben, darunter auch die Automobil- und im Besonderen die Zuliefererindustrie, sind Joint Ventures ein probates Mittel für eine kapitalintensitäts- und risikooptimierte, aber zugleich tiefgreifende Transformation in eine erfolgreiche(re) Zukunft.

Auch wenn die Motive von der jeweiligen Geschäftsstrategie abhängen und daher individuell sind, ist der oftmals genannte kleinste gemeinsame Nenner das mit Joint Ventures (und Partnerschaften) im Vergleich zu M&A-Transaktionen assoziierte geringere Kapital- und Risikoprofil. Joint Ventures sind dabei sowohl innerhalb der Zuliefererindustrie als auch mit branchenfernen Unternehmen eine beliebte Methode, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen, sich für neues Marktwachstum aufzustellen, die Auswirkungen von Wirtschaftskrisen abzufedern sowie die Kosten und das Risiko von Transformationsinvestitionen im Allgemeinen zu verteilen. Insbesondere das Erschließen neuartiger (Produktions-)Technologien, die ohne einen partnerschaftlichen Ansatz nicht unmittelbar zugänglich sind, hat hohe Bedeutung.

Zusammenarbeit mit Unternehmen anderer Branchen nimmt zu

Gesamtheitlich betrachtet ging der Trend von Joint Ventures in der Zuliefererindustrie in den letzten sechs Jahren vermehrt zu Kooperationen mit branchenfernen Unternehmen. So haben einige der großen Automobilzulieferer zur Transformation auf die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen mit führenden Technologieunternehmen gesetzt. Der Fokus lag dabei insbesondere auf der fortschreitenden Digitalisierung, vorwiegend im Bereich des Cockpits, und auf der Erschließung neuer Technologien mit Relevanz für Elektrofahrzeuge. So gründete Deutschlands größter Automobilzulieferer Bosch bereits im Jahr 2008 ein Joint Venture mit Samsung, um die Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien für den Einsatz in Elektrofahrzeugen weiterzuentwickeln. Das Joint Venture ist zwar mittlerweile wieder aufgelöst, jedoch hat sich das Unternehmen durch die Partnerschaft mit Samsung einen signifikanten Gewinn an Know-how im Bereich der Batterieherstellung erarbeitet. Dies zeigt auch, dass ein Joint Venture nicht zwangsläufig langfristig bestehen muss, um erfolgreich zu sein und Vorteile für die engagierten Parteien zu generieren.

Auch mit Blick auf das Verbrenner-Geschäft der Zulieferer bieten Joint Ventures eine Chance der Transformation abseits klassischer M&A-Transaktionen. Dies gilt umso mehr in Zeiten eines schwierigen M&A-Marktes, in dem sich Verkäufe des Verbrenner-Geschäfts schwierig gestalten, Finanzinvestoren Zurückhaltung üben und die Investitionsbudgets bei den Zulieferern selbst schwinden. Der chinesische Automobilhersteller Geely hat erst kürzlich mit der Ankündigung eines Joint Venture für Antriebe mit Renault aufhorchen lassen, in das das französische Unternehmen sein gesamtes Verbrenner-Geschäft einbringen wird. Durch diese Konsolidierung plant das Joint Venture, in naher Zukunft der weltweit größte unabhängige Motorenzulieferer zu werden.

Hierdurch könnten erhebliche Skaleneffekte und folglich Kosteneinsparungen erzielt werden. Warum sollte das nicht auch für Automobilzulieferer eine plausible Strategiealternative sein? Bisher scheint es hierzu allerdings wenig ernsthafte Bestrebungen zu geben.

 

Doch auch wenn Joint Ventures im Vergleich zu klassischen M&A Deals an Bedeutung gewinnen, sind nachhaltige Erfolgsgeschichten kein Selbstläufer. Um erfolgreich zu sein, um also die angestrebten Ziele zu erreichen und bestenfalls zu übertreffen, sollten sich Unternehmen der Zuliefererindustrie frühzeitig und mit Blick auf die sektorspezifischen Kernaspekte mit Joint Ventures befassen.

 

In unserem in Kürze erscheinenden Folgeartikel „Immer das gemeinsame Ziel vor Augen – was ein Joint Venture in der Zuliefererindustrie erfolgreich macht“ erhalten Sie einen umfassenden Einblick in die kritischen Erfolgsfaktoren – abgeleitet aus Fallstricken in der Gestaltung und Umsetzung von Joint Ventures –, die es bei Joint Ventures in der Zuliefererindustrie zu berücksichtigen gilt.

Fazit

Die deutsche Automobilindustrie, insbesondere die Automobilzulieferer, steht unter starkem Druck, ihre Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten zu überdenken und einen tiefgreifenden Strukturwandel zu vollziehen. Trotzdem scheinen sich die Transformationsaktivitäten eher auf Einzellösungen zu konzentrieren, umfassendere Ansätze bleiben die Ausnahme. Nur wenige Zulieferer werden die notwendigen Mittel haben, um die Transformation allein zu meistern. Daher gewinnen kollaborative Transformationsansätze, insbesondere Joint Ventures, vermehrt an Bedeutung. Trotz des zunehmenden Einflusses von Joint Ventures sind nachhaltige Erfolgsgeschichten keine Selbstverständlichkeit. Unternehmen sollten sich daher frühzeitig mit sektorspezifischen Kernaspekten von Joint Ventures auseinandersetzen, um erfolgreich zu sein.

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