Ökosystem und Umweltschutz an der Küste

Wohin steuert der freiwillige Kompensationsmarkt nach der COP26?

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Immer mehr Unternehmen haben Klimaziele. Ein freiwilliger CO2-Ausgleich hilft, diese Ziele zu erreichen. Doch der Markt wird sich verändern.


Überblick

  • In Glasgow ist das Regelwerk des Pariser Klimaabkommens für den internationalen Handel mit Emissionsgutschriften verabschiedet worden.
  • Für den freiwilligen Kompensationsmarkt gibt es in Zukunft klare Vorgaben, wie Zertifikate gehandelt und Doppelzählungen ausgeschlossen werden.
  • Gastländer werden für ihre eigenen Netto-null-Ziele auf hochwertige, transparente Projekte setzen. Der „Kompensationsmarkt“ könnte zum „Neutralisationsmarkt“ werden.

Schon heute gibt es eine Vielzahl klimaneutraler Unternehmen, Services und Produkte. Nur wenige davon habe ihre Klimaneutralität durch eine vollständige Reduktion ihrer Emissionen erreicht. Die meisten werden durch Kompensation (engl. „to offset) der „unvermeidbaren Emissionen“ klimaneutral gestellt. Dafür werden in Klimaschutzprojekten außerhalb des eigenen Unternehmens Zertifikate erzeugt und anschließend zur Finanzierung des Projekts gehandelt, verkauft und stillgelegt. Im Zuge dieses Handels können sich Unternehmen diese querfinanzierten Emissionseinsparungen zuordnen lassen.

Für Investoren und ESG-Ratings spielt diese freiwillige Zusatzleistung bei der Bewertung von Unternehmen nur eine begrenzte Rolle, da die Maßnahme die klimawandelbedingten Risiken von Unternehmen und ihren Geschäftsstrategien nicht reduziert. Für Endkunden und Konsumenten hingegen ist die „Klimaneutralität“ schon heute mehr als nur ein Qualitätsmerkmal.

Daher ist es kein Wunder, dass das Volumen dieses freiwilligen Kompensationsmarktes seit 2015 stetig zugenommen hat. 2021 wird der Markt wohl den Wert von 1 Milliarde US-Dollar knacken, er liegt bereits 60 Prozent über dem Vorjahresniveau. Nach Szenarien der „Taskforce on Scaling Voluntary Carbon Markets“ könnte der freiwillige Markt 2030 die 15-fache Menge an CO2 stilllegen wie 2020.

Von Kyoto nach Paris

Doch das Regelwerk dieses unregulierten Marktes, das Kyoto-Protokoll, ist 2020 ausgelaufen. Alle Zertifikate des freiwilligen Marktes unterliegen ab dem Jahr 2021 dem Regelwerk des Pariser Klimaschutzabkommens. Der Vertrag verpflichtet nun alle 192 Staaten zu Klimaschutz im eigenen Land. Auch Entwicklungsländer müssen zuerst einmal ihre eigene Klimabilanz auf Vordermann bringen, bevor sie Leistungen aus Klimaschutzprojekten weiterverkaufen.

Dies birgt für den freiwilligen Markt einige Herausforderungen bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Standards. Die Regeln für den freiwilligen Handel wurden in Glasgow zu großen Teilen in Artikel 6 des Pariser Abkommens definiert:

Artikel 6.2 regelt den Handel von Emissionsminderungszertifikaten zwischen zwei oder mehreren Staaten. Das Pariser Abkommen spricht hier nicht von Zertifikaten, sondern von „internationally transferred mitigation outcomes” (ITMO). Um eine Doppelzählung auszuschließen, benötigen diese ITMO stets ein „corresponding adjustment“, einen neu geschaffenen Mechanismus, der durch ein transparentes Verfahren und korrekte Buchhaltung nachweisen soll, dass die ITMO im Einklang mit den nationalen Klimaschutzzielen (NDC) der Länder stehen. So hat etwa die Schweiz mit Peru ein Abkommen geschlossen, das auch Unternehmen auf dem freiwilligen Markt gegen den Vorwurf der Doppelzählung absichert.

Artikel 6.4 schreibt einen UN-Mechanismus fest, der den internationalen Zertifikatehandel steuert und überwacht. Er soll die Transparenz des Marktes und die Robustheit der Zertifikate stärken. Zudem sind klare Qualitätsanforderungen an die Projekte definiert. Auch unter dem Pariser Klimaabkommen müssen Klimaschutzprojekte eine Ambitionssteigerung zusätzlich zu den bestehenden nationalen Zielen liefern, damit Zertifikate ausgegeben werden können und somit handelbar sind. Zertifikate aus erneuerbaren Energieprojekten, die derzeit zu den günstigsten Zertifikaten auf dem freiwilligen Markt gehören, werden somit in absehbarer Zukunft vermutlich nicht mehr als NDC-konform gelten. Schließlich ist der Ausbau erneuerbarer Energien klarer Bestandteil vieler NDC.

Eine große Unklarheit herrscht über den Umgang mit ITMO, die keine „corresponding adjustments“ nachweisen. Diese könnten theoretisch von Unternehmen im Land der Erzeugung als Minderungsoption gehandelt und angerechnet werden. Wie ein solcher Handel inklusive der Anrechenbarkeit aussehen könnte, ist noch nicht final geklärt. Diskutiert wurde vor der COP26 im freiwilligen Markt daher, den „claim“ der Zertifikate zu ändern. Aus Zertifikaten, die die Reduktion einer Tonne CO2e nachweisen, könnte der Nachweis über die Finanzierung der Reduktion einer Tonne CO2 in einem Land werden. Das wäre dann „NDC-konform“, denn der Nachweis kann nicht als Handel mit einer Tonne CO2 gewertet werden.

Derzeit werden im freiwilligen Markt primär Zertifikate aus der Zeit des Kyoto-Protokolls gehandelt, die ein Ausstellungsdatum haben, das nicht älter als aus dem Jahr 2020 ist. Alle Zertifikate mit einem Ausstellungsdatum nach 2020 fallen unter das Regelwerk des Pariser Klimaschutzabkommen.

Von der Kompensation zu Neutralisation

Die Standards des freiwilligen Marktes (z. B. Verified Carbon Standard (VCS), Gold Standard) haben die vorherrschende Unsicherheit vor der COP in Glasgow zum Anlass genommen, ihr Portfolio zu diversifizieren. Zum einen wird vermehrt auf ganzheitliche positive Auswirkungen auf die Ökologie und die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung eingegangen; zum anderen steht bereits heute häufiger die Neutralisation, also die langfristige Bindung, Speicherung und Weiterverwertung von Kohlenstoff, im Fokus.

Als Richtlinie für die Einordung der Ausgleichsprojekte dienen die „Oxford Principles for Net Zero Aligned Carbon Offsetting“. Diese unterscheiden zwischen der Vermeidung, der Reduzierung und der Eliminierungvon Treibhausgasen und auch zwischen lang- und kurzfristiger Kohelnstoffspeicherung. Marine Kohlenstoffspeicher, Aufforstung, Pflanzenkohle und technische Lösungen wie „Carbon Capture and Storage“ (CCS) oder „Carbon Capture and Utilization (CCU)“ bieten sich als Projekte an, die eine dauerhafte Bindung von CO2 erlauben.

Es geht nicht mehr um die „low hanging fruits“, also um große Mengen von günstigen CO2-Zertifikaten. Diese niedrig hängenden Klimaschutzfrüchte werden Entwicklungsländer aus eigener Kraft ernten. Statt Klimaschutz zum niedrigsten Preis werden auf dem freiwilligen Markt verstärkt die „high hanging fruits“ im Angebot sein. Dies liegt auch an den global steigenden CO2-Steuern, die die Grenze für Reduktionsvermeidungskosten nach oben schrauben.

Schon jetzt setzen Vorreiter darauf, ihre Emissionen mithilfe hochwertiger und teurer Projekte zur CO2-Abscheidung zu finanzieren. Diese Maßnahmen können (oft) auch für die eigenen „Netto-null“-Ziele („net zero“) angerechnet werden.

Diese Ziele kombinieren den Ansatz der Reduktionsziele, zum Beispiel anhand der Science-Based Targets, mit der Möglichkeit der Neutralisation von Restemissionen im Zieljahr und darüber hinaus. Hier bietet sich eine große Chance für den freiwilligen „Neutralisationsmarkt“ von morgen.

Nach Glasgow bleibt Diskussionsbedarf

Damit der freiwillige Markt eine wichtige Rolle für die Finanzierung zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen spielen kann, muss er sich neu definieren. Ausreichende Größe, Transparenz und ökologische Integrität sind dabei zentrale Faktoren – NGOs wie der WWF arbeiten daher bereits kontinuierlich an neuen Qualitätskriterien für Klimaschutzprojekte. Einige Aspekte des in Glasgow beschlossenen Regelwerks sorgen allerdings weiter für Diskussionen:

Zertifikate, die für den verpflichtenden Markt im Zuge des Clean Development Mechanism (CDM) unter dem Kyoto-Protokoll ab 2013 ausgeschüttet wurden, dürfen bis zum Jahr 2020 auf NDC angerechnet werden. Vermutlich führt das zu mehr als 300 Millionen Tonnen CO2, die nicht reduziert werden müssen. Zertifikate aus „REDD+“-Projekten aus den Jahren 2015–2021, die Emissionen aus Waldzerstörung reduzieren sollen, wurden für eine Anrechnung auf NDC nicht zugelassen. Projekte, die unter dem CDM entwickelt wurden und weiterhin Zertifikate ausschütten, könnten unter bestimmten Voraussetzungen in das Regelwerk von Paris transferiert werden. Dies könnte dazu führen, dass zwischen 2021 und 2030 über 2,8 Milliarden Zertifikate freigesetzt werden, obwohl sie mit keiner zusätzlichen CO2 Reduktion hinterlegt sind. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Regelungen in Artikel 6.4 diesen Transfer einschränken. Die hohe Nachfrage an Zertifikaten (zum Beispiel durch Fluggesellschaften, die im Rahmen des Kompensationssystems „CORSIA“ CO2-Zertifikate nutzen können, um die eigenen Reduktionsziele zu erreichen), die höheren Kosten für Paris-konforme Projekte und die höheren Anforderungen an die Transparenz bei der Berechnung von CO2-Einsparungen sorgen bereits für einen Preisanstieg. Viele Unternehmen beginnen daher schon mit der Entwicklung eigener Projekte.



Doppelzählung kann im schlechtesten Fall zu einem Anstieg der globalen Emissionen führen.



Was bedeutet das nun für Unternehmen, die sich in Zukunft für den Klimaschutz einsetzen wollen? Das Umweltbundesamt sieht drei tragfähige Modelle für den freiwilligen Markt in der Pariser Ära: 

  1. Kompensationsprojekte, die außerhalb der nationalen Minderungsziele stehen und wie bisher zur Kompensation genutzt werden können („non-NDC crediting“): Sie sind explizit von nationalen Zielen ausgenommen und laufen nicht Gefahr, doppelt gezählt zu werden. Mehr noch als bisher muss hier die Zusätzlichkeit eine Rolle spielen: Es muss sich um Emissionsminderungen handeln, die es ohne den freiwilligen Markt nicht gäbe.
  2. Kompensationen, die im Kontext der nationalen Minderungsziele stehen, aber als zusätzliche Projekte nicht auf die Ergebnisse des Gastlandes angerechnet werden: Die Zertifikate gehen über die nationalen Minderungsziele hinaus. Das Gastland passt seine Emissionsbilanz entsprechend an. Das wird als „corresponding adjustment“ bezeichnet („NDC crediting“).
  3. Internationale Klimafinanzierungszertifikate, die von Unternehmen nicht auf die eigenen Emissionen angerechnet können, sondern vom Gastland genutzt werden („contribution claim“): Sie sind Teil einer CSR-Strategie, dienen aber nicht dazu, Unternehmen klimaneutral zu machen. Sie werden günstiger als Kompensationszertifikate sein und können auch die Anpassung an den Klimawandel und eine nachhaltige Entwicklung unterstützen.

Wie geht es weiter?

Unternehmen müssen sich in der aktuellen Phase der Neuausrichtung gut informieren, um für sie passende Zertifikate zu erhalten. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Varianten, Risiken und Regelwerke zu unterscheiden. Derzeit werden primär Zertifikate gehandelt, die unter das Kyoto-Protokoll fallen, da diese Zertifikate vor Ende 2020 ausgeschüttet worden sind. beziehen. Unternehmen können sie wie bisher zur Kompensation verwenden, hier drohen keine Vorwürfe, dass doppelt gezählt wird. Doch der Vorrat schwindet und für die langfristige Planung sind sie kaum geeignet.

Zertifikate mit „corresponding adjustment“ wird es vor 2023 kaum geben. Für diesen Übergangszeitraum sollten Käufer daher zumindest darauf achten, dass es keine Doppelzählung gibt, die sie angreifbar machen würde. Auch die Offsetting-Standards sowie die Anbieter von Zertifikaten sollten hier auf Integrität achten.

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Bei neuen Kompensationszertifikaten sollten Unternehmen darauf achten, dass das Gastland („host country“) Regeln gegen Doppelzählungen akzeptiert, und in Zukunft das Prinzip des „corresponding adjustment“ anwenden. Auch bilaterale zwischenstaatliche Verträge können Investoren bei neuen Projekten absichern.

 

Die COP26 hat endlich zu einem Regelwerk geführt. Zwar ist es mit der Überführung von Klimaschutzprojekten und Zertifikaten aus dem Kyoto-Protokoll teuer erkauft, doch der Markt strotzt vor Zuversicht, seinen Beitrag zum Erreichen des 1,5 °C-Ziels leisten zu können. Ob das gelingt, hängt auch von den Standards und den Unternehmen ab: Sie definieren die marktkonforme Qualität der Ausgleichsmaßnahmen. Das Wachstum des Marktes scheint programmiert. Dafür sprechen Zusagen diverser Unternehmen und der Start der Phase 1 des Luftfahrt-Kompensationssystems CORSIA im Jahr 2024.

 

Der Handel mit ITMO zwischen Staaten ist geregelt. Was sich daraus für Unternehmen und die Qualität der Projekte ergibt, bleibt abzuwarten. Wer die Klimakrise wirklich stoppen will, sollte der Vermeidung und Verringerung der eigenen Emissionen stets den Vorrang geben.

Fazit

Der internationale Markt für die freiwillige Kompensation von Emissionen hat lange auf das Regelwerk von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens gewartet. Doch was bedeutet der neue Mechanismus im Detail und wie wirkt er sich auf den Handel mit Zertifikaten zur freiwilligen Kompensation und mit alten CDM-Zertifikaten aus dem Kyoto-Protokoll aus? Klar ist: Der CDM bleibt vorübergehend noch am Leben. Vermutlich wird der Markt damit seinen Beitrag zum Einhalten des 1,5 °C-Ziels nicht so ausschöpfen, wie er es könnte.

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