Frau nimmt Medikamente aus dem Regal

Passt Ihre Unternehmensstrategie in die digitale Welt?


Albert Schmidbauer, Inhaber und CEO von Biogena im Gespräch mit dem Handelsexperten und Contrast EY-Parthenon Partner Martin Unger.

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EY Österreich: Herr Schmidbauer, wie kam es zur Übernahme von Biogena? 

Albert Schmidbauer: Ich bin gelernter Betriebswirt und habe die Marke Biogena während meiner Tätigkeit als Unternehmensberater kennengelernt. Sie lag damals ein bisschen brach, wurde ursprünglich von einer Ärzte-Interessengemeinschaft vertreten und dann von mir übernommen. Ich habe 2006 mit einer Teilzeitassistentin begonnen, heute haben wir 340 Mitarbeiter. Das Wichtigste dabei ist, dass wir uns zu einer 361-Grad-Health-Company rund um das Thema Gesundheit entwickelt haben. Das eine zusätzliche Grad steht für die „Extra Mile“, die wir bereit sind, für unsere Kunden zu gehen.

Healthcare ist eine riesige Branche. Wie sieht Ihre konkrete Strategie denn aus? 

Albert Schmidbauer: Wir wollen das abdecken, was heute fehlt. Wir hören immer die Mär von einer gesunden, abwechslungsreichen Ernährung, wobei keine zusätzlichen Nährstoffe gebraucht werden. Ein Blick in den Österreichischen Ernährungsbericht zeigt aber, dass es in der Bevölkerung noch immer viele Mangelzustände gibt. Ein Beispiel ist Kalium, ein Nährstoff, mit dem rund 80 Prozent der Menschen unterversorgt sind. Auch Eisen ist so ein Beispiel: Zwei Milliarden Menschen leiden weltweit an Eisenmangel. Wir haben da statt Eisentabletten ein niedrig dosiertes Präparat auf Pflanzenbasis entwickelt. Für uns geht es darum, dieses Wissen zu den Kunden zu bringen und ihnen Lösungen zu bieten, die einen echten Mehrwert haben.

Die neue Welt funktioniert rein online oder als Omnichannel-Strategie. Unternehmen haben sehr viele Informationen über Kunden, treten interaktiv mit ihnen in Kontakt und gehen in Richtung One-to-one-Marketing.

Woher kommen Ihre Umsätze? 

Albert Schmidbauer: Wir haben als reines B2B-Unternehmen begonnen, machen heute aber schon 75 Prozent unseres Umsatzes mit B2C. Das war ein riesiger Shift, ebenso im Digitalen: Wir erzielen 66 Prozent unserer Erlöse im digitalen Geschäft. Das hat sich enorm weiterentwickelt, da wir früh begonnen haben. Wir haben ein riesiges Netzwerk von 9.000 Ärzten, Therapeuten et cetera, die mit uns arbeiten, und bedienen so eine Community von gesamt rund 350.000 Menschen. So wachsen wir jährlich um rund 20 Prozent – trotz unserer vergleichsweise sehr niedrigen Marketingquote von weniger als vier Prozent.

Herr Unger, Biogena wurde 2006 neu übernommen. Was hat sich aus Ihrer Sicht seither im Sektor Handel und Konsumgüter verändert? 

Martin Unger: Im klassischen Handel hat man primär in Regalmetern gedacht, Produkte in die Regale gestellt, kaum Informationen über die Kunden gehabt und viel Geld in Marketing (insbesondere TV, Flugblatt) gesteckt. Die neue Welt funktioniert rein online oder als Omnichannel-Strategie (Kombination aus Filiale und Onlinekanälen, Anm.). Unternehmen haben sehr viele Informationen über Kunden, treten interaktiv mit ihnen in Kontakt und gehen in Richtung One-to-one-Marketing. Der Point of Sale (PoS, Anm.) verliert nicht an Relevanz, aber an Verkaufsfläche. Und: Plattformen üben wesentlich Druck auf die Branche aus. Personal Assistance, etwa durch Amazons Alexa, bedeutet eine weitere Veränderung für die gesamte Branche.

Haben Sie diese Umwälzungen bei der Gründung schon erahnt? 

Albert Schmidbauer: Überhaupt nicht. Unser erster Store war ein Laden, wo einfach nur Produkte bereitstanden, quasi eine Abholstation. Unser erster Monatsumsatz betrug 1.135 €. Wir haben schnell gemerkt, dass Kunden einen Ort wollen, an den sie kommen können und wo sie die Marke entdecken. Sie registrieren sich mit ihrem Smartphone, holen Produkte ab und gehen wieder – oder sie bleiben auf einen Kaffee oder ein Beratungsgespräch.

Martin Unger: Was natürlich mehr und mehr kommt, sind neue Technologien wie Augmented oder Virtual Reality. Der PoS wird technologisch ausgestattet. Herr Schmidbauer ist ja ein Quereinsteiger. Das ist oft besser, denn große Handelsunternehmen tun sich schwer, die Transformation einzuleiten. Plötzlich benötigen sie ja Kompetenz in Bereichen wie IT, Social Media oder Daten. Das ist eine gewaltige Herausforderung.

Einer der Hauptgründe, warum stationäre Filialen zunehmend verschwinden, sind die hohen Kosten. Biogena setzt trotz digitaler Aktivitäten auch stark auf Filialen. Wieso?

Albert Schmidbauer: Natürlich ist es wesentlich teurer, einem Kunden ein Produkt in einer physischen Markenerlebniswelt zu verkaufen. Doch häufig ist es so, dass wir das Vertrauen der Kunden in unseren Biogena-Stores gewinnen – und dann Folgeverkäufe online stattfinden.

Martin Unger: Das ist wie bei Nespresso: Im Shop erlebt man den Kaffee, gekauft wird online.

Heute drängen auch vormals reine Onlinemarken vermehrt in den stationären Handel, dann aber meist mit eigenen „Brand Stores“. Kommen Mischhändler unter Druck? 

Martin Unger: Ja. Handelsunternehmen drängen entweder in die Nische oder beginnen, sich vertikal zu integrieren. Normale Multibrand-Retailer müssen sich genau überlegen, was es ist, das Kunden in ihren Shop zieht. Österreich hat im europäischen Vergleich die zweitgrößte Verkaufsfläche pro Kopf. Die Flächenentwicklung wird in den nächsten zehn oder 20 Jahren voraussichtlich stark zurückgehen.

Es gibt eine gewisse Demokratisierung durch die Digitalisierung. Jammern ist nicht angesagt. Jeder hat eine Chance, sich etwas aufzubauen. Das ist großartig.

Wieso gibt Biogena so wenig Geld für Marketing aus? 

Albert Schmidbauer: Ich hatte einfach nie viel Geld für Marketing. Ich musste mir also andere Dinge überlegen, um Kunden zu gewinnen: Wissenstransfer, Eventorganisation, Community-Management und so weiter. Das ist auch ein bisschen meine Kritik an jungen Start-ups: Die wollen oft mit Investorengeldern die Marketingmaschine anwerfen. Dabei machen sie sich aber zu wenige Gedanken über die Kundenbedürfnisse.

Martin Unger: Ich will nicht generalisieren, aber junge Unternehmen tendieren dazu, sich nicht immer alle Konsequenzen durchzurechnen. Unglaublich gute Ideen und ein gutes Gefühl für Kundenbedürfnisse sind dann nicht immer abgesichert und finanziell durchgerechnet. Da muss man aufpassen.

Wie gehen Sie denn mit dem sensiblen Thema Kundendaten um? 

Albert Schmidbauer: Wir bewegen uns da klarerweise im Rahmen der Datenschutzgrundverordnung und machen nichts, was nicht erlaubt ist. Wir arbeiten etwa künftig mit Screens zur Gesichtserkennung, die auf plus/minus zehn Jahre Alter, Geschlecht, etc. erkennen. Das führt zu einem maßgeschneiderten Angebot, obwohl wir die Daten nie speichern. Das wird überhaupt viel zu selten betont: Solche Erkenntnisse dienen letztendlich den Kunden.

Wie sind denn europäische Unternehmen diesbezüglich aufgestellt? 

Martin Unger: Wir haben hinsichtlich Daten einen Anachronismus zu lösen: Jeder von uns wünscht sich individuelle, relevante Werbung und Information, aber niemand will seine Daten hergeben. Das geht nicht, man muss sich entscheiden. Ich habe manchmal schon die Sorge, dass wir in Europa nur die Nachteile und Schattenseiten der Digitalisierung sehen und wir dann stark regulieren, aber nicht erkennen, dass dadurch auch Innovationen und Geschäftsmodelle behindert werden. Wir müssen uns in Europa überlegen, was wir mit der Digitalisierung erreichen wollen – wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch. Wir brauchen uns nicht wundern, wenn Unternehmen sich anderswo ansiedeln, wo sie weniger Einschränkungen haben.

Apropos: Für Biogena steht die Expansion in die USA an … 

Albert Schmidbauer: Der Launch des Webshops wird im Mai oder Juni stattfinden, der Laden in Beverly Hills folgt im November. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Schritt unserer dortigen Zielgruppe gefallen wird.

Sind für Sie Allianzen oder strategische Partnerschaften, etwa mit Playern wie Amazon, ein Thema? 

Albert Schmidbauer: Wir haben die klare Idee, der Gestalter unserer Systeme zu bleiben. Wo es sinnvoll ist, nutzen wir Möglichkeiten. Wir brauchen aber die Kontrolle über unser Kundenverhältnis. Es würde nicht zu unserer Philosophie passen, uns Hals über Kopf in eine Partnerschaft mit einem großen System zu werfen.

Martin Unger: Entweder ist man als kleines Unternehmen in der Positionierung stark zugespitzt oder man kooperiert mit einem der Großen und generiert Traffic. Je fokussierter, desto eher sind Internet und Digitalisierung Freunde.

Albert Schmidbauer: Es gibt eine gewisse Demokratisierung durch die Digitalisierung. Jammern ist nicht angesagt. Jeder hat eine Chance, sich etwas aufzubauen. Das ist großartig.


Fazit

Als Quereinsteiger formte Albert Schmidbauer mit Biogena aus einer Marke ein Unternehmen. Wir trafen den Finalisten des EY Entrepreneur Of The Year 2018 (Kategorie „Handel & Konsumgüter“) gemeinsam mit dem Handelsexperten und Contrast EY-Parthenon Partner Martin Unger – und führten ein Gespräch über „Extra Miles“, schwindende Verkaufsfläche und nischige Innovationen.

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