Im Februar 2018 starteten Brasilien und die OECD ein gemeinsames Steuerprojekt zur Überprüfung des brasilianischen Verrechnungspreissystems. Dessen Ergebnisse wurden im Dezember 2019 veröffentlicht. Hintergrund des Projekts ist der angestrebte OECD-Beitritt Brasiliens. Bislang weicht das Verrechnungspreissystem Brasiliens wesentlich von den OECD-Verrechnungspreisleitlinien ab, weshalb eine Angleichung des Systems bereits vor dem OECD-Beitritt erfolgen soll. Die Unterschiede des brasilianischen Systems von den OECD-Regelungen erhöhen die Risiken im Hinblick auf Doppelbesteuerung. Da zudem seit dem Jahr 2005 kein Doppelbesteuerungsabkommen mehr zwischen Deutschland und Brasilien besteht, sind die Entwicklungen in Brasilien für betroffene deutsche Steuerpflichtige enorm relevant.
Am 12.04.2022 haben nun die brasilianische Finanzverwaltung und die OECD bei einem gemeinsamen Treffen den brasilianischen Vorschlag für ein neues Verrechnungspreissystem erörtert.
Der Vorschlag sieht u.a. im Einklang mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien vor, dass im Rahmen der Verrechnungspreisanalyse der Steuerpflichtige zwischen einer inländischen oder einer ausländischen tested party wählen kann. Zudem soll der Begriff der verbundenen Unternehmen definiert werden und Beispiele bereitgestellt werden.
Auch sollen alle von der OECD anerkannten Methoden, d.h. sowohl die Standardmethoden als auch die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (Nettomargenmethode sowie Gewinnaufteilungsmethode) eingeführt werden. Auf die jeweilige konzerninterne Transaktion soll sodann die am besten geeignete Verrechnungspreismethode Anwendung finden. Dagegen ermöglicht das brasilianische System derzeit dem Steuerpflichtigen, die vorteilhafteste Methode anzuwenden, die zu der geringsten Anpassung führt. Zudem soll das neue Verrechnungspreissystem künftig auf alle konzerninternen Transaktionen Anwendung finden und damit künftig auch z.B. Lizenzzahlungen sowie sämtliche Finanztransaktionen erfassen. Außerdem ist eine spezielle Methodologie für immaterielle Werte vorgesehen.
Darüber hinaus soll die Vergleichbarkeitsanalyse erstmals etabliert werden und sich dabei auf die relevanten wirtschaftlichen Umstände und Bedingungen der kontrollierten Transaktion stützen. Aus OECD-Sicht stellt die Vergleichbarkeitsanalyse ein Kernelement der Verrechnungspreisanalyse dar und ist in den derzeitigen brasilianischen Verrechnungspreisvorschriften nicht vorgesehen.
Wenn Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz nicht einhalten, soll eine primäre Anpassung möglich sein. Darüber hinaus wird eine sekundäre Anpassung im Hinblick auf Gewinnverlagerung ermöglicht. Zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen soll eine entsprechende Anpassung im Rahmen der Verständigungsverfahren erfolgen.
Die Preise für Rohstoffe sollen auf der Grundlage von Marktansätzen fremder Dritter definiert werden. Im Einklang mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien soll die Preisbestimmung auf den Zeitpunkt abstellen, in dem die Transaktion durchgeführt wurde. Dies könnte bedeuten, dass der derzeitige brasilianische Ansatz der sogenannten „sechsten Methode“ aufgegeben wird (Price Quotation Methods).
Die Definition konzerninterner Dienstleistungen soll an die OECD-Verrechnungspreisleitlinien angepasst werden. Darüber hinaus sollen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung (sog. Routinedienstleistungen) den Safe-Harbour-Regeln unterliegen. Zudem soll das brasilianische Verrechnungspreissystem künftig Kostenumlagevereinbarungen – sowohl für Entwicklung als auch für Dienstleistungen – vorsehen und dazugehörige umfassende Leitlinien sollen herausgebracht werden. Die vorgesehene Änderung ist für in Brasilien tätige multinationale Unternehmen dahingehend relevant, als dass diese ihre bisherigen Vergütungen an den geleisteten Beitrag anpassen müssen.
Auch für immaterielle Werte sieht der Vorschlag eine spezifische, an die OECD-Verrechnungspreisleitlinien angepasste Definition vor, wobei das Konzept der DEMPE-Funktionen (Development, Enhancement, Maintenance, Protection und Exploitation) für die Gewinnallokation eine entscheidende Rolle spielen würde. Zudem sollen Lizenzzahlungen künftig erfasst werden und die bislang bestehende Lizenzabzugsbeschränkung soll künftig nur als Missbrauchsvermeidungsvorschrift im Zusammenhang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz Anwendung finden.
Darüber hinaus soll es auch Änderungen im Bereich der Finanztransaktionen geben. Künftig sollen alle Arten von Finanztransaktionen, wie z.B. Darlehen, Cash-Pooling, Garantien und Versicherungen, erfasst werden. Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in diesem Zusammenhang soll in speziellen Richtlinien geregelt werden. Die bestehende Zinsabzugsbeschränkung soll weiterhin Anwendung finden.
Ein rechtliches Regelwerk soll sicherstellen, dass die Safe-Harbour-Regelungen den auf dem Markt üblichen Praktiken entsprechen. Laut der brasilianischen Finanzverwaltung soll es möglich sein, Safe-Harbour-Regelungen für Amount B von Pillar 1 einzuführen. Darüber hinaus soll die brasilianische Finanzverwaltung ermächtigt werden, Vorabverständigungsvereinbarungen einzuleiten.
Der Vorschlag sieht zudem einen ähnlichen dreistufigen Ansatz für die Verrechnungspreisdokumentation in Anlehnung an BEPS-Aktion 13 (Country-by-Country Reporting, Master-File und Local-File) vor. Die Abgabe des Country-by-Country Reportings wird in Brasilien bereits verlangt.
Die Einführung des neuen Verrechnungspreissystems soll bereits bis zum Jahr 2023 erfolgen. Daher sollten multinationale Unternehmen die potenziellen Auswirkungen des neuen Verrechnungspreissystems analysieren und die weitere Entwicklung beobachten, um zeitnah auf die vorgesehenen Änderungen reagieren zu können.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner Brasiliens mit wesentlichen Direktinvestitionen in das Land. Als Folge der Abweichungen der aktuellen brasilianischen Vorschriften von den OECD Standards stehen deutsche Steuerpflichtige mit Geschäftstätigkeiten in Brasilien vor zahlreichen Herausforderungen im Hinblick auf Compliance und Doppelbesteuerung. Eine Annäherung der brasilianischen Verrechnungspreisvorschriften an die Verrechnungspreisleitlinien der OECD würde für deutsche Unternehmen einen höheren Grad an Sicherheit mit sich bringen.
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