Aus den Erfahrungen des Umgangs mit den in Folge der Corona-Pandemie eingeführten und zum Ende des 31.08.2022 auslaufenden Sonderregeln für virtuelle Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen (vgl. die Regelungen des GesRuaCOVBekG), entschied sich der Gesetzgeber, Aktiengesellschaften die Möglichkeit zur Abhaltung einer Hauptversammlung in virtueller Form dauerhaft zur Verfügung zu stellen (vgl. auch Steuernachrichten vom 28.04.2022).
Am 07.07.2022 beschloss der Bundestag das "Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften". Da das Gesetz am 08.07.2022 auch vom Bundesrat seine Billigung erhielt, wird es mit der noch erforderlichen Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.
Ziel des Gesetzes ist es, die voranschreitende Digitalisierung mit den Anforderungen des Aktienrechts bestmöglich in Einklang zu bringen und dadurch eine moderne Fortentwicklung des Aktienrechts zu erreichen. Kern dieser Modernisierung ist die Einführung der virtuellen Hauptversammlung als vollwertige Alternative zur Hauptversammlung in Präsenz. Eingang findet sie in dem dafür neu eingefügten § 118a AktG, der die entsprechende Überschrift „Virtuelle Hauptversammlung“ trägt und in seinem Absatz 1 die virtuelle Hauptversammlung definiert als „Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten“. Davon ausgehend werden in Absatz 1 Nr. 1 – 8 bestimmte Voraussetzungen statuiert, die eine virtuelle Hauptversammlung erfüllen muss, um als solche durchgeführt werden zu dürfen. Auch die nun vom Bundestag beschlossene Fassung verlangt zunächst eine – zeitliche begrenzte – Ermächtigung zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung in der Satzung bzw. einer Ermächtigung des Vorstands, hierüber zu entscheiden. Die Möglichkeit, bestimmte Beschlussgegenstände der Hauptversammlung vorzubehalten, wurde allerdings im Vergleich zum Regierungsentwurf gestrichen; die virtuelle Hauptversammlung hat damit die gleichen Zuständigkeiten und Kompetenzen wie traditionelle Präsenzversammlungen.
Neben einer Verankerung zur Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung in der Satzung muss insbesondere die gesamte Versammlung in Bild und Ton übertragen werden und es ist sicherzustellen, dass die Aktionäre von ihrem Stimm-, Antrags, Auskunfts-, Rede- und Widerspruchsrecht Gebrauch machen können. Für die Wahrnehmung dieser Rechte reicht es in der Regel aus, wenn dies in elektronischer Form erfolgt. Lediglich die Wahrnehmung des Rederechts sowie des Antrags- und Wahlvorschlagsrechts (sofern letztere in der laufenden Versammlung erfolgen) müssen in Bild und Ton stattfinden.
Die neuen Regelungen betreffen nicht nur die Durchführung der virtuellen Hauptversammlung selbst, sondern machen sich bereits im Vorfeld der Versammlung bemerkbar. Gesetzlich Niederschlag gefunden hat dies in den neu eingefügten §§ 130a sowie 131 Abs. 1a – 1f AktG. Die bereits aus dem GesRuaCOVBekG bekannte Möglichkeit, das Auskunftsrecht der Aktionäre durch im Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung einzureichende Fragen sicherzustellen, wird übernommen und insoweit spezifiziert, als dass Fragen bis spätestens drei Tage vor Beginn der virtuellen Hauptversammlung eingegangen sein müssen. Die Fragen sind zu veröffentlichen und spätestens bis einen Tag vor der virtuellen Hauptverhandlung zu beantworten. Die Antworten sind ebenfalls zu veröffentlichen und sollen während der Versammlung einsehbar sein. Sofern dies geschieht, müssen identische in der Versammlung gestellte Fragen nicht beantwortet werden. Erlaubt sind in der Versammlung hingegen Nachfragen zu den Antworten sowie Fragen zu Sachverhalten, die bis drei Tage vor der Versammlung nicht hätten gestellt werden können. Der Vorstand hat die Möglichkeit, das Vorab-Fragerecht auf solche Aktionäre zu beschränken, die ordnungsgemäß zur Versammlung angemeldet sind. Vorbeugend kann zudem die Anzahl der im Vorfeld gestellten Fragen beschränkt werden.
Ebenfalls neu eingeführt, aber diesmal ohne Vorbild im GesRuaCOVBekG, wird ein Recht der Aktionäre, im Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung Stellungnahmen zu Tagesordnungspunkten einzureichen, wie von einzelnen Gesellschaften auch bisher schon überobligationsmäßig angeboten. Eine solche Stellungnahme muss bis spätestens fünf Tage vor Beginn der Versammlung eingereicht sein und bis vier Tage vor dem Versammlungstermin den übrigen angemeldeten Aktionären zugänglich gemacht werden. Wie bei dem Fragerecht hat der Vorstand auch hier die Möglichkeit, das Stellungnahmerecht auf solche Aktionäre zu beschränken, die sich ordnungsgemäß zur Hauptversammlung angemeldet haben.
In Anbetracht möglicher technischer Schwierigkeiten, denen virtuelle Veranstaltungen naturgemäß ausgesetzt sein können, bietet das Gesetz dem Vorstand die Möglichkeit, vor Redebeiträgen einen Funktionstest durchzuführen und Redebeiträge nach Nichtbestehen des Tests zurückzuweisen. Dem korrespondiert ein weitreichender Anfechtungsausschluss für Rechtsverletzungen infolge technischer Störungen.
Während der Covid-19-Pandemie zeigte sich, dass das virtuelle Versammlungsformat zu einer höheren Teilnehmerzahl führen kann, so dass zu erwarten ist, dass es in der Praxis auch zukünftig Anklang finden wird. Des Weiteren hat die Tatsache, Fragen im Vorfeld der Versammlung stellen zu können, aus Sicht des Gesetzgebers einen Qualitätszuwachs hinsichtlich der Antworten bewirkt. Interessant sein dürfte daher die weitere Entwicklung des möglichen Zusammenspiels der Vorabstellungnahmen und sich ggf. daran anschließender Fragen. Dies könnte ein Beitrag zu einer besseren Vorbereitung der Aktionäre auf die TOPs der Versammlung sein und die Qualität sowie den Nutzen der Hauptversammlung insgesamt erhöhen. Der Weg dazu ist in Form des neuen Gesetzes nunmehr bereitet. Offen ist nicht zuletzt, ob Publikumsgesellschaften, die insbesondere nach der Überarbeitung des Referentenentwurfs durch den Regierungsentwurf eine zu weitgehende Annäherung an die Präsenzversammlung und den damit verbundenen Verzicht auf verfahrensmäßige Effizienzsteigerungen moniert haben, das neue Format in seiner Gesetz gewordenen Form tatsächlich nutzen werden.
In letzter Minute hat der Gesetzgeber die Genossenschaft noch mit in sein Vorhaben einbezogen und stellt ihr damit mit Inkrafttreten des Gesetzes ebenfalls die Möglichkeit zur virtuellen Hauptversammlung dauerhaft zur Verfügung.
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