Steuerliche Anerkennung eines inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses

Der BFH urteilt entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, dass ein ohne Satzungsgrundlage beschlossener inkongruenter Vorabgewinnausschüttungsbeschluss als punktuell satzungsdurchbrechender Ausschüttungsbeschluss zivilrechtlich wirksam und bindend und daher steuerrechtlich anzuerkennen ist.

Eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnausschüttung (sog. inkongruente Gewinnausschüttung) ist laut Verwaltungsauffassung steuerlich anzuerkennen, wenn diese zivilrechtlich wirksam ist. Bei einer GmbH als ausschüttende Gesellschaft ist dies der Fall, wenn im Gesellschaftsvertrag gem. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Verteilungsmaßstab als das Beteiligungsverhältnis festgesetzt ist oder die Satzung eine Klausel enthält, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigen Gesellschafter oder einstimmig über eine abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann und der Beschluss mit der in der Satzung bestimmten Mehrheit gefasst worden ist. Wenn die Gewinnverteilungsabrede nur kurzzeitig oder wiederholt geändert wird, gilt dies laut Verwaltung als Indiz für eine unangemessene Gestaltung (BMF-Schreiben v. 17.12.2013).

Der BFH hatte nun zu entscheiden, ob ohne Satzungsgrundlage einstimmig beschlossene inkongruente Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zivilrechtlich wirksam und somit der Besteuerung zugrunde zu legen waren. Im zu entscheidenden Fall waren an der ausschüttenden GmbH mit 50 Prozent eine natürliche Person sowie mit 50 Prozent eine GmbH beteiligt, deren Alleingesellschafter wiederum die natürliche Person war. Die Gesellschafter der ausschüttenden Gesellschaft beschlossen einstimmig die inkongruente Vorabgewinnausschüttung zugunsten des GmbH-Gesellschafters.

Nach Auffassung des Finanzamtes waren die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung zu bewerten und mangels Einhaltung der Voraussetzungen für solche Beschlüsse (insbesondere notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses im Handelsregister) nichtig. Dem Gesellschafter, dem keine Gewinnausschüttung zugeflossen war, sei daher eine vGA nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG und wegen Vorliegens eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO die hälftigen Gewinnanteile nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen.

Der BFH hat mit Urteil v. 28.09.2022 (VIII R 20/20) der Finanzverwaltung widersprochen. Die beschlossenen inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse seien als punktuell satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse zivilrechtlich wirksam und bindend. In Abgrenzung zu den satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung lägen punktuelle satzungsdurchbrechende Beschlüsse vor, wenn sich deren Wirkung in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft.  So habe jeder Beschlussfassung über eine Vorabausschüttung ein neuer Willensentschluss der Gesellschafter zugrunde gelegen und die Wirkung des jeweiligen Beschlusses habe sich im Abfluss der Ausschüttung erschöpft. Somit sei nicht gewollt gewesen, eine neue Satzungsregelung zu einer generell von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden Gewinnverteilung zu treffen. Daher verneinte der BFH das Vorliegen eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses mit Dauerwirkung und der damit einhergehenden Nichtigkeit der Beschlüsse.

Wegen der zivilrechtlichen Wirksamkeit waren die Beschlüsse steuerrechtlich anzuerkennen. Der Gesellschafter, an den laut den Beschlüssen kein Gewinn ausgeschüttet wurde, hatte daher keine Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zu versteuern. Somit verneinte der BFH auch das Vorliegen einer vGA. Zudem lag laut BFH kein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vor.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

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