Niedersächsisches FG zu den Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung

Das Niedersächsische FG hat sich mit den Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung ohne Verlagerung von Wirtschaftsgütern befasst und eine solche im vorliegenden Fall verneint. Das FG setzt sich in seinem Urteil dezidiert mit dem Begriff der „Funktion“ und „Funktionsverlagerung“ auseinander und misst dem Übergang einer vermögenswerten Position erhebliche Bedeutung bei. Das Urteil ist vor dem Hintergrund der bislang mangelnden Rechtsprechung zur Funktionsverlagerung von enormer Praxisrelevanz. 

Eine Funktionsverlagerung lag nach alter Fassung des AStG vor, wenn eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mitübertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert wird (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F.). Konkretisiert wurde die gesetzliche Norm durch § 1 Abs. 2 FVerlV a.F. wonach erforderlich war, dass Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken übertragen werden, damit das übernehmende Unternehmen die Funktion ausüben kann. Im Jahr 2021 hat der Gesetzgeber mit dem AbzStEntModG (BGBl. I 2021, S. 1259) mit Wirkung zum 01.01.2022 die bisherige Vorschrift zur Funktionsverlagerung im neuen § 1 Abs. 3b AStG verankert und erstmalig das Transferpaket legal definiert. Wurde bislang darauf abgestellt, dass Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile verlagert werden, ist laut der Neuregelung nur noch erforderlich, dass Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile verlagert werden. In Reaktion auf die Gesetzesänderung wurde zudem die Funktionsverlagerungsverordnung zum 01.01.2022 neu gefasst und in den VWG VP 2023 die Verwaltungssicht angepasst (vgl. Steuernachricht vom 07.06.2023).

Erstmals hat sich nun das Niedersächsische FG dezidiert zu den Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nach der im Streitjahr geltenden Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. geäußert (Urteil vom 16.03.2023, 10 K 310/19). Streitig war, ob die Verlagerung einer Produktionsfunktion in Folge der Schließung einer Produktionsstätte eine Funktionsverlagerung darstellt und ein Entgelt zu entrichten gewesen wäre (Transferpaket).

Das FG bejaht für den vorliegenden Fall das Vorliegen einer Funktion. Mangels gesetzlicher Definition des Begriffs Funktion im AStG greift das FG hierfür auf das tätigkeitsbezogene Begriffsverständnis in § 1 Abs. 1 FVerlV a.F. zurück. Ob daneben zudem von einem objekt- bzw. produktbezogenen Begriffsverständnis auszugehen ist, wie es die Finanzverwaltung fordert, von Teilen der Literatur jedoch kritisiert wird, konnte das FG offenlassen. Der Verlagerung lag kein einzelnes Produkt, sondern eine Produktlinie und somit ein wesentlicher Geschäftsbereich zugrunde, bei dem es sich um einen eigenständigen Teilbereich des Gesamtorganismus des Unternehmens handelte.

Da im vorliegenden Fall nach Auffassung des FG jedoch weder Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile sowie Geschäftschancen übertragen wurden noch eine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen im weitesten Sinne und der Übertragung der Befähigung, eine Funktion auszuüben, bestanden, verneinte das FG im Ergebnis eine Funktionsverlagerung.

An dieser Stelle äußert sich das FG zunächst detailliert zu den Begrifflichkeiten Chancen und Risiken. Zudem stellt das FG klar, dass es nicht erforderlich ist, dass Chancen und Risiken kumulativ übertragen werden müssen. Das Gesetz verlange nur, dass, wenn Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile übertragen werden, die in diesem Zusammenhang damit verbundenen Chancen und Risiken auch übergehen. Sofern das übertragende Unternehmen überhaupt keine Risiken trage, sei es auch nicht erforderlich, dass neben den Chancen auch Risiken mitübertragen werden müssen.

Nach Auffassung des FG wurden aber unstreitig keine materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgüter im Zuge der Schließung der Produktionsstätte übertragen. Da die Produktionsanlagen vor Verlagerung bereits an andere Konzerngesellschaften bzw. Dritte veräußert wurden, lag unstreitig keine Übertragung an die übernehmende Gesellschaft vor. Auch kann laut FG die Veräußerung der Wirtschaftsgüter an die anderen Konzerngesellschaften nicht der Konzernmuttergesellschaft zugerechnet werden, da im Rahmen des Fremdvergleichs alle Konzerngesellschaften selbstständig zu betrachten seien. Schließlich wurden nach Ansicht des FG auch keine immateriellen Wirtschaftsgüter wie Know-how, Schutzrechte oder der Kundenstamm übertragen, da die übernehmende Gesellschaft aufgrund von Cost Sharing Agreements bereits selbst über die relevanten technischen immateriellen Wirtschaftsgüter sowie den Zugang zu den Kunden des übertragenden Unternehmens verfügte, welche ganz überwiegend aus konzerneigenen Vertriebsgesellschaften bestanden.  

Zudem mangelte es im zugrundeliegenden Sachverhalt nach Auffassung des FG auch an einem Übergang von sonstigen Vorteilen. Die übertragende Gesellschaft verfügte mit der Produktion nicht über eine wirtschaftlich selbstständige Position, die sie in die Lage versetzt hätte, etwas zu übertragen oder an Dritte zu veräußern. Zwar lag ein „irgendwie gearteter wirtschaftlicher Vorteil“, der entgeltlich verwertbar gewesen wäre, insoweit vor, als dass in sehr geringem Umfang eine Belieferung an fremde Dritte erfolgte. Diese Geschäftsbeziehungen gingen jedoch nach Feststellung des FG durch die Einstellung der Produktion unter. Das übernehmende Unternehmen erzielte mit keinem dieser externen Kunden nach Übertragung noch Umsätze. Darüber hinaus machten die konzernfremden Umsätze nur einen sehr geringen Anteil des Gesamtumsatzes der übertragenden Gesellschaft aus (< 4 Prozent). Die Gewinne resultierten nach Auffassung des FG überwiegend aus der Produktion und Belieferung von konzerneigenen Vertriebsgesellschaften. Hier sei ausschlaggebend, dass die Produktionsaufträge durch die Konzernmutter jeweils an die Produktionsgesellschaften im Konzern zugeteilt wurden. Nach Feststellungen des FG habe das übertragende Unternehmen jedoch keine rechtlich gefestigte Position auf einen bestimmten Umfang an Aufträgen gehabt. Somit standen die werthaltigen Markpositionen in Form von Vertragsbeziehungen der Konzernmutter und nicht der übertragenden Konzerngesellschaft zu. Daher verneinte das FG im Ergebnis einen Übergang einer vermögenswerten Position.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage wurde die Revision an den BFH zugelassen. Nicht bekannt ist bislang, ob die Revision auch eingelegt wurde und damit die Entscheidung des BFH abzuwarten bleibt.

Die Ausführungen des FG sind auch für die aktuell geltende Rechtslage von Bedeutung.