Die sog. Börsenklausel begünstigt unter gewissen Voraussetzungen Anteilseignerwechsel an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften. Zu praxisrelevanten Anwendungsfragen haben sich nun die obersten Finanzbehörden der Länder in einem gleich lautenden Erlass vom 04.10.2022 (veröffentlicht am 25.10.2022) geäußert. Darin wird u.a. klargestellt, dass Börsen in der Schweiz, Großbritannien und Nordirland nicht berücksichtigt und damit Übergänge von Anteilen, die an diesen Börsen zugelassen sind, nicht grunderwerbsteuerlich begünstigt werden.
Neben der Erweiterung der Haltefristen auf 10 Jahre, der Absenkung der Beteiligungsgrenzen auf 90 Prozent und der Einführung einer Neuregelung für Anteilseignerwechsel an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 2b GrEStG) hat der Gesetzgeber mit der Grunderwerbsteuerreform auch eine sog. Börsenklausel (§ 1 Abs. 2c GrEStG) bei den sog. Share-Deal-Regelungen geschaffen. Danach sollen bestimmte Übergänge von Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Betracht bleiben. Demnach sind Anteile, die zum Handel an einem im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertragsstaat des EWR betriebenen organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG oder einem als gleichwertig anerkannten Drittlandhandelsplatz zugelassen sind, begünstigt, soweit der Anteilsübergang auf Grund eines Geschäfts an diesem Markt oder einem Drittlandhandelsplatz oder einem multilateralen Handelssystem i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 14 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 erfolgt ist. Durch die Nichtberücksichtigung der begünstigten Anteilsübergänge i.S.d. § 1 Abs. 2c GrEStG ist der Anteilsübergang im Ergebnis nicht grunderwerbsteuerbar. § 1 Abs. 2c GrEStG ist mit dem Inkrafttreten des Grunderwerbsteueränderungsgesetzes 2021 am 01.07.2021 in allen offenen Fällen anzuwenden (Gleich lautende Erlasse vom 29.06.2021, BStBl. I 2021, S. 1006, Tz. 1), d.h. Steuerpflichtige können sich auch bereits für Gesellschafterwechsel nach § 1 Abs. 2a GrEStG vor dem 01.07.2021 auf die Börsenklausel berufen. Eine Übergangsvorschrift zur Börsenklausel i.S.d. § 1 Abs. 2c GrEStG fehlt.
Die obersten Finanzbehörden der Länder haben sich nun in ihren gleich lautenden Erlassen vom 04.10.2022 zu einer Reihe von Anwendungsfragen in Bezug auf § 1 Abs. 2c GrEStG geäußert. Nachfolgend sind die wesentlichen Aussagen dargestellt:
- Die Börsenklausel erfasst gemäß dem Erlass sowohl den unmittelbaren als auch den mittelbaren Anteilsübergang an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft (§ 1 Abs. 2b Satz 1 GrEStG). Damit ist auch der Übergang von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die an einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist (§ 1 Abs. 2a Satz 3 bis 5 oder § 1 Abs. 2b Satz 3 bis 5 GrEStG) grundsätzlich gemäß § 1 Abs. 2c GrEStG begünstigt.
- Unter § 1 Abs. 2c GrEStG fallende Kapitalgesellschaften sind laut dem Erlass AG‘s, KGaA‘s und vergleichbare ausländische Kapitalgesellschaften, deren Anteile an Wertpapierhandelsplätzen zugelassen werden können, da es sich bei diesen Anteilen regelmäßig um Aktien handelt (z.B. §§ 8 ff. AktG). Dagegen sind Wertpapiere, die sich lediglich auf die Anteile an einer Kapitalgesellschaft beziehen, ohne das Eigentum an diesen Anteilen zu vermitteln, keine Anteile i.S.d. § 1 Abs. 2c GrEStG (z.B. American Depositary Receipts (ADR)).
- In Deutschland stellt der regulierte Markt an einer Börse einen begünstigten organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG dar. Keine organisierten Märkte in diesem Sinne sind multilaterale Handelssysteme (MTF). In Deutschland stellt der Freiverkehr ein MTF dar (§ 48 BörsenG).
- Weiter stellt der Erlass klar, dass derzeit von der EU-Kommission anerkannte Drittlandhandelsplätze i.S.d. § 1 Abs. 2c GrEStG nur geregelte Märkte mit Sitz in den USA, Hongkong und Australien sind. Damit sind explizit Börsen in der Schweiz, Großbritannien und Nordirland nicht erfasst. Allerdings weist der Erlass darauf hin, dass sich die Entscheidungen der EU-Kommission ändern können und daher im Besteuerungszeitpunkt stets der aktuelle Stand zu prüfen ist.
- Zudem sind gemäß dem Erlass die erstmalige Ausgabe von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft bei Börsengang (sog. IPO), die Ausgabe neuer Anteile in Folge einer Kapitalerhöhung und die Wertpapierleihe bzw. das Wertpapierdarlehen oder das Wertpapiergeschäft keine Geschäfte an einem Markt und somit nicht gemäß § 1 Abs. 2c GrEStG begünstigt.
- Auch äußert sich der Erlass zur Anzeigepflicht bei Vorgängen, die nach § 1 Abs. 2c GrEStG begünstigt sind. Da Anteilsübergänge i.S.d. § 1 Abs. 2c GrEStG bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes nicht zu berücksichtigen sind, besteht mangels Tatbestandsverwirklichung des § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG keine Anzeigepflicht, sofern unter Berücksichtigung von § 1 Abs. 2c GrEStG die maßgebliche Schwelle von 90 Prozent nicht erreicht wird.
Der Erlass ist auf alle offenen Fälle anzuwenden und enthält insbesondere in Bezug auf eine einschränkende Auslegung durch die Finanzverwaltung keine Vertrauensschutzregelung.
Weitere Publikationen von EY
Nutzen Sie unser neues Email Preference Center, um sich für den Erhalt des eNewsletter Tax und anderen Medien zu registrieren oder diese anderen Kolleg:innen zu empfehlen.
Sind Sie schon registriert? Dann können Sie hier Ihre Präferenzen anpassen.