Die Fragestellung, ob Aufsichtsratsmitglieder umsatzsteuerlich Unternehmer sind, ist umstritten und immer wieder Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Zwei aktuelle Entscheidungen deuten darauf hin, dass die derzeit herrschende Verwaltungspraxis angepasst werden muss.
Bis ins Jahr 2019 war die Tätigkeit eines Aufsichtsrates ausnahmslos umsatzsteuerbar, da Aufsichtsratsmitglieder als Unternehmer gemäß § 2 UStG galten. Die Aufsichtsratsmitglieder haben daher ihre Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis gestellt und die Unternehmen konnten, wenn die Voraussetzungen des § 15 UStG zutrafen, den Vorsteuerabzug geltend machen.
Der BFH hat mit Urteil vom 27.11.2019 (Az. V R 23/19) jedoch festgestellt, dass ein Mitglied eines Aufsichtsrates kein Unternehmer ist, wenn es aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt. Dem folgte die Finanzverwaltung und hat den Umsatzsteueranwendungserlass angepasst. Nach derzeit geltender Verwaltungspraxis ist ein Aufsichtsratsmitglied somit kein Unternehmer, wenn es eine nicht variable Festvergütung erhält. Im Fall einer variablen Vergütung - weil zum Beispiel Sitzungsgelder nur für die tatsächliche Teilnahme an Sitzungen gezahlt werden oder eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird, die sich an dem tatsächlichen Aufwand bemisst – ist hingegen die Unternehmereigenschaft zu bejahen.
Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Entscheidung des Finanzgerichts Köln (Entscheidung vom 15.11.2023, Az.: 9 K 1068/22; Revision eingelegt) interessant, denn hier lag der Fall eines Aufsichtsratsvorsitzenden zugrunde, der eine Vergütung pro Sitzungstag erhielt. Die Finanzverwaltung vertrat die Auffassung, der Aufsichtsratsvorsitzende sei Unternehmer, da eine variable Vergütung vorliege.
Das Finanzgericht folgt dieser Auffassung nicht. Es erläutert, entscheidender Faktor sei, ob die von einem Aufsichtsratsmitglied ausgeübte Tätigkeit mit einem wirtschaftlichen Risiko verbunden ist. Kein wirtschaftliches Risiko liege bei einer festen Vergütung vor, die unabhängig von der Teilnahme an Sitzungen oder von tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ist. Dies bedeute jedoch im Umkehrschluss nicht, dass ein Aufsichtsratsmitglied, das eine variable Vergütung erhält, immer ein wirtschaftliches Risiko trägt. Denn wirklich „variabel“ ist diese Vergütung nach Auffassung des Gerichts nicht, da die Vergütungshöhe regelmäßig gesetzlich, satzungsmäßig oder durch Geschäftsordnung festgelegt sein wird. Somit steht sie nicht zur beliebigen Disposition eines Einzelnen. Auch eine Beeinflussung der jährlichen Gesamtvergütung ist nicht möglich, denn es können nicht beliebig viele Sitzungen einberufen werden, um den eigenen Geldbedarf zu decken.
Das Finanzgericht weist zudem darauf hin, dass auch kein wirtschaftliches Risiko wegen der Inanspruchnahme von Schäden durch Pflichtverletzungen bestand, denn dieses Risiko wurde vollständig durch eine zugunsten des Aufsichtsratsmitgliedes abgeschlossene D&O-Versicherung ausgeschlossen.
Gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln wurde Revision eingelegt, es bleibt also abzuwarten, ob der BFH der dargelegten Argumentation folgen wird. Es ist aber gut möglich, dass er dies tut, denn auch der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 21.12.2023 — C-288/22, TP) kam unlängst zu dem Schluss, dass eine variable Vergütung wie z. B. eine gewinnabhängige Tantieme nicht zwingend zur Selbständigkeit der Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds führt.
Es müsse stattdessen geprüft werden, ob das Aufsichtsratsmitglied das wirtschaftliche Risiko tatsächlich selbst trägt. In den meisten Fällen ist dies nach Auffassung des Gerichts in der Praxis nicht der Fall, da die wirtschaftlichen Auswirkungen einer möglicherweise fehlerhaften Beratung, Prüfung oder Abstimmung in der Regel nicht das Verwaltungsratsmitglied selbst, sondern den Aufsichtsrat oder das Unternehmen treffen.
Es bleibt spannend, ob der BFH der Argumentation der geschilderten Entscheidungen folgen wird. Aus unserer Sicht spricht einiges dafür, allerdings stellt sich dann die Frage, wie sich die Finanzverwaltung zukünftig positionieren wird. Wir werden über weitere Entwicklungen informieren.
Fazit
Für die Mitglieder des Aufsichtsrates bleibt die Rechtsunsicherheit, ob sie als Unternehmer gelten und Umsatzsteuer ausweisen müssen. Sie sollten daher dringend darauf achten, dass vergangene und zukünftige Steuerbescheide bzw. -anmeldungen nicht bestandskräftig werden.
Autorinnen: StB Gabriele Kirchhof, StB Daniela Mason