Neues vom EuGH – Das Ende der umsatzsteuerlichen Organschaft in ihrer jetzigen Form? 

Die umsatzsteuerliche Organschaft soll dem Grunde nach der Verwaltungsvereinfachung dienen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG beschäftigt die Gerichte allerdings bereits seit längerer Zeit, so dass deren Handhabung immer unpraktikabler zu werden scheint. Ein nun vorliegender Schlussantrag der EuGH-Generalanwältin Medina (vom 13. Januar 2022, C-141/20) sieht die deutsche umsatzsteuerliche Organschaft gar mit dem Unionsrecht unvereinbar.

 

Im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Organschaft hatte sich der EuGH seinerzeit mit zwei neueren Vorlagenfragen zu beschäftigen. In Bezug auf die erste Vorlagefrage wurde mit Datum vom 15. April 2021 bereits Stellung genommen, wonach eine Personengesellschaft unter geringeren Anforderungen Organgesellschaft werden kann als zuvor von BFH und BMF angenommen.

Die bisweilen noch nicht entschiedene zweite Vorlagefrage könnte allerdings eine kaum geringere Sprengkraft im deutschen Umsatzsteuerrecht entfalten. Aufgrund der Fragestellung des BFH gilt es zu klären, ob nur der Organträger oder der gesamte Organkreis als Steuerschuldner auftritt.

Bisher sieht das deutsche Umsatzsteuerrecht vor, dass der Organträger allein der umsatzsteuerliche Unternehmer ist. Insofern ist dieser Steuerschuldner für sämtliche Umsatz- und Vorsteuern jeder am Organkreis beteiligten Gesellschaft. Im Rahmen ihrer Schlussanträge vom 13. Januar 2022 kommt Generalanwältin Medina nun zu dem Schluss, dass die vorstehend beschriebene Regelung mit den Unionsrecht unvereinbar sei. Das Unionsrecht formuliere, dass bei sog. Mehrwertsteuergruppen die jeweilige Gruppe selbstständig als Steuerpflichtiger anzusehen sei. Die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 (Organträger = Steuerschuldner) verstoße daher gegen diese Regelung. Sofern dieser Auffassung seitens des EuGH gefolgt würde, wäre dies das Ende der bisherigen Auffassung zur umsatzsteuerlichen Organschaft mit möglicherweise erheblichen Folgen.

Zunächst darf allerdings betont werden, dass den o. g. Schlussanträgen keine rechtlich verbindliche Bedeutung innewohnt. Insoweit sind potenzielle Folgewirkungen nur sehr wage abzuschätzen. Nichtsdestotrotz möchten wir gerne mögliche Effekte skizzieren.

Die potenziellen fiskalischen Auswirkungen könnten große Ausmaße annehmen. Es stehen Steuerrückforderungen von bis zu 20 Mrd. Euro pro Jahr im Raum. (vgl. BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, DStR 2020, 1367). Diese entstünden dadurch, dass der Organträger für Organgesellschaften abgeführte Umsatzsteuer mit Berufung auf das Unionsrecht unter Hinweis auf die fehlende Seuerschuldnerschaft und die Unionsrechtswidrigkeit der Organschaftsregelungen zurückfordert, während die korrespondierende Organgesellschaft sich wiederum auf die nationale Regelung beruft und darauf verweist, dass der Organträger nach bundesdeutschem Recht Umsatzsteuerschuldner ist.

Eine weitere denkbare Folge wäre, dass bisher als nicht steuerbare Innenumsätze geltende Lieferungen und Leistungen im Organkreis mit Umsatzsteuer zu belasten wäre. Bei überwiegend steuerfreien Ausgangsumsätzen innerhalb eines Organkreises würde diese Umsatzsteuer sodann nicht als Vorsteuer abzugsfähig sein und zu einer – in Abweichung zur bisherigen Vorgehensweise – Definitivbelastung führen.

Eine Entscheidung auf Seiten des EuGH diesbezüglich wird dem Vernehmen nach im Sommer diesen Jahres erwartet. Insbesondere im Hinblick auf den vorstehend aufgeführten fiskalischen Schaden sind allerdings selbst bei Unionrechtswidrigkeit der bisherigen deutschen Rechtslage alternative Lösungsansätze mindestens denkbar. Eine Haftung über § 73 AO, wonach die Teilnehmer des Organkreises für Umsatzsteuern des Organkreises haften, wäre nicht völlig ausgeschlossen. Eine gesonderte und einheitliche Feststellung gegenüber sämtlichen Teilnehmern eines Organkreises wäre ebenfalls eine mögliche Überlegung.

Wie bereits betont, folgen aus den bisher formulierten Schlussanträgen keine rechtlichen Konsequenzen. Dennoch wird bereits deutlich, dass eine diesen Anträgen folgende Einschätzung des EuGH umfangreiche Auswirkungen auf das Rechtsinstitut der umsatzsteuerlichen Organschaft in der Bundesrepublik entfalten könnte. Häufig folgt der EuGH allerdings den Anträgen des Generalanwalts. Dringender Handlungsbedarf besteht bislang noch nicht. Es sollte allerdings überlegt werden, umsatzsteuerliche Festsetzung möglicherweise offenzuhalten.

Über die weiteren Entwicklungen halten wir Sie auf dem Laufenden.

Autoren: RA StB Dr. Erik Ohde; RA StB Sebastian Heuser