FG Münster zur Umsatzsteuerpflicht von Leistungen beim „Betreuten Wohnen“

Das FG Münster hatte in seinem Urteil vom 25. Januar 2022 (15 K 3554/18 U) darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Leistungen im Rahmen des betreuten Wohnens, die über die Vermietungsleistung hinausgehen, umsatzsteuerpflichtig sind.

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt eine Seniorenresidenz, bestehend aus einem Pflegeheim sowie Wohnungen des betreuten Wohnens. Diese befinden sich im Gebäude des Pflegeheimes und verfügen jeweils über eine eigene Einbauküche und ein Notrufsystem. Dem Betrieb des Pflegeheims liegt ein Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI über vollstationäre Pflege und Kurzzeitpflege sowie eine Vereinbarung gemäß §§ 84, 85 und 87 SGB XI zugrunde. Mit den Bewohnern des betreuten Wohnens schloss die Seniorenresidenz neben einem Mietvertrag für die Wohnung Betreuungsverträge ab, die diverse Leistungen einer Grundversorgung, einer erweiterten Grundversorgung und Wahlleistungen einschließlich eines obligatorischen Notrufsystems umfassen. Pflegebedürftigkeit in Form einer Pflegestufe lag nicht für alle Bewohner des betreuten Wohnens vor.

Die Seniorenresidenz vertrat die Auffassung, die Umsätze aus dem betreuten Wohnen seien umsatzsteuerfrei, soweit sie gegenüber hilfsbedürftigen Personen erbracht wurden; eine Pflegebedürftigkeit im Sinne einer Pflegestufe sei für die Steuerbefreiung nicht Voraussetzung. Dies sah die Finanzverwaltung anders und meinte, die von der Seniorenresidenz im Rahmen des betreuten Wohnens erbrachten Leistungen seien nicht von der Umsatzsteuer befreit.

Die Entscheidung

Das Finanzgericht Münster hatte daher zu entscheiden, ob die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG vorliegen. Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG ist, dass die Leistungen gegenüber körperlich, kognitiv oder psychisch hilfebedürftigen Personen erbracht werden, sie eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbunden sind und von einer begünstigten Einrichtung im Rahmen ihrer Anerkennung ausgeführt werden.Das Finanzgericht Münster stellte fest, dass es für eine Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 Halbsatz 1 UStG einer besonderen Schwere der Hilfsbedürftigkeit, die nach § 15 SGB XI a. F. für die Feststellung einer Pflegestufe bzw. eines Pflegegrades erforderlich ist, nicht bedarf. Es folgte damit der von der Seniorenresidenz vertretenen Ansicht, dass eine förmlich festgestellte Pflegestufe für die Umsatzsteuerbefreiung nicht erforderlich ist. Der Senat orientierte sich aufgrund des Normzwecks vielmehr an der sozialrechtlichen Definition der Hilfsbedürftigkeit, diese erfordert einen Grundpflegebedarf bzw. Bedarf nach Haushaltshilfe, erhebliche Einschränkungen der Alltagskompetenz oder altersbedingte Schwierigkeiten, die eine Hilfsbedürftigkeit im Sinne der Altenhilfe begründen. Eine derartige Hilfsbedürftigkeit sah der Senat bei den Bewohnern des betreuten Wohnens aufgrund der von der Seniorenresidenz vorgelegten für jeden der Bewohner vorgelegten Pflegeberichte, in denen Umfang der Pflege und Betreuungsleistungen detailliert niedergelegt waren, als erwiesen an.

Auch sah der Senat die von der Seniorenresidenz im Rahmen des betreuten Wohnens erbrachten Betreuungsleistungen (namentlich Leistungen der ambulanten Pflege, hauswirtschaftlichen Versorgung, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung, die Gestellung einer Haushaltshilfe sowie Betreuungsleistungen und die Bereitstellung eines Hausnotrufdienstes) unter Hinweis auf die einschlägige BFH-Rechtsprechung unschwer als eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen an.

Die Seniorenresidenz zählte nach den Feststellungen des Finanzgerichts Münster auch zu den begünstigten Einrichtungen im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l) UStG und erbringt ihre Leistungen im Rahmen ihrer Anerkennung nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG, da mindestens 25 Prozent der Leistungen an Bewohner erbracht wurden, die wegen der Zuerkennung eines Pflegegrades nach § 15 SGB XI zum Leistungsbezug nach §§ 28, 28a SGB XI berechtigt sind. Für diese Bewohner lässt der Senat eine aufgrund der allgemeinen Berechtigung zum Leistungsbezug unterstellte Kostentragung durch den Sozialversicherungsträger ausreichen.

Fazit

Für die Praxis bedeutet dieses Urteil, dass eine Hilfsbedürftigkeit der Bewohner des betreuten Wohnens zwar konkret nachgewiesen werden muss, wenn für diese kein Pflegegrad festgestellt wurde, dieser Nachweis allerdings anhand der – ohnehin beim Betreiber vorhandenen – Pflegedokumentation geführt werden kann. Dies lässt hoffen, dass sich unter Hinweis auf dieses Urteil die eine oder andere Diskussion mit der Finanzverwaltung abkürzen lässt.

Autor:innen: RA StB Stephan Rehbein, WP StB Andrea Seifert