Pressemitteilung
17 Jan. 2024 

Agribusiness-Umsatz knackt 300-Milliarden-Marke – Aussichten trüben sich jedoch ein

  • „Umsatzplus von fast 8 Prozent, aber: Zuwächse basieren vor allem auf Preis-, nicht auf Mengeneffekten
  • Preise für Agrarprodukte sind in den vergangenen sechs Monaten abgestürzt – bei hohen und teilweise weiter steigenden Kosten
  • Landtechnik als Gradmesser: Geschäftsklima trotz Rekordjahr für den Sektor auf einem der niedrigsten Stände aller Zeiten
  • Dr. Christian Janze: „Die auf dem Papier positive Stimmung vom Sommer 23 ist Geschichte – und die Perspektiven sind düster“

Rekordergebnis auf dem Papier, doch die Stimmung der Landwirtinnen und Landwirte ist auf dem Tiefpunkt: 304 Milliarden Euro Umsatz erzielte das deutsche Agribusiness im Jahr 2023, ein Plus von voraussichtlich knapp acht Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor. Damit bleibt die Branche hierzulande mit einem Anteil von fast 13 Prozent der zweitstärkste Sektor im verarbeitenden Gewerbe. Die Ernährungsindustrie ist dabei der mit Abstand umsatzstärkste Bereich im Agribusiness: 238 Milliarden Euro – und damit 78 Prozent des Umsatzes – wurden in diesem Sektor erzielt. Den größten Anteil an diesem Ergebnis hatten die Fleisch- (50 Milliarden Euro) und die Milchwirtschaft (36 Milliarden Euro). Dahinter folgt die Landtechnik mit einem Umsatz von knapp 15 Milliarden Euro. Der Sektor Ernährung ist gleichzeitig mit knapp 648.000 Mitarbeitenden auch der beschäftigungsstärkste Bereich im Agribusiness.

In allen analysierten Sektoren des Agribusiness stiegen die Umsätze – einzige Ausnahme ist der Milchwirtschaft, wo die Zahlen 2023 im Vergleich zum Rekordvorjahr leicht zurückgingen, aber auf einem überdurchschnittlichen Niveau blieben. Trotzdem ist die Stimmung in der Branche so schlecht wie seit Jahren nicht. Wie passt das zusammen?

Dr. Christian Janze, Partner bei EY: „Noch im Sommer war die Stimmung der Landwirtinnen und Landwirte hierzulande überwiegend gut: Zuversicht und Investitionsbereitschaft waren groß, die Agrarpreise auf einem relativ hohen Niveau. Allerdings wurde im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres ein Kipppunkt erreicht: Die Preise für Agrarprodukte stürzten in den vergangenen sechs Monaten ab. Insgesamt seien die Umsatzzuwächse zudem fast ausschließlich auf Preis- und nicht auf Mengeneffekte zurückzuführen. Janze weiter: „2023 war, wenn man die reinen Zahlen betrachtet, ein positives Ausnahmejahr nach einer langen Durststrecke, in der zahlreiche Betriebe hierzulande gerade einmal kostendeckend produzieren konnten. Die aktuellen Analysen zeigen jedoch, dass diese positiven Zahlen nicht zum Regelfall werden dürften – ganz im Gegenteil.“ Aktuell verstärken der aus landwirtschaftlicher Sicht zu nasse Herbst und in der Folge verfaulende Wintersamen in zahlreichen Regionen die negative Stimmungslage.

Was die Beschäftigten in der Landwirtschaft außerdem belastet, sind die Folgen eines seit Jahren deutlichen Anstiegs regulatorischer Maßnahmen. Der aktuell geplante Subventionsabbau, beispielsweise beim Agrardiesel, ist der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Janze: „Es ist wichtig zu verstehen: Die relativ gute Preisentwicklung im vergangenen Jahr darf nicht über die strukturellen Probleme der Branche hinwegtäuschen.“ Auch das Klima habe Landwirtinnen und Landwirte im Jahr 2023 vor enorme Herausforderungen gestellt, sagt Prof. Dr. Ramona Teuber vom Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen: „Die Preise, die Landwirtinnen und Landwirte erzielen, sind nach Rekordwerten Mitte 2023 im Keller, die Kosten für Rohstoffe, Energie und Arbeitskräfte bleiben aber gleichzeitig hoch, die Aussichten trüb.“

Landtechnik-Sektor als Gradmesser für verhaltene Konjunkturentwicklung

Wichtiger Gradmesser für diese Entwicklung ist der Landtechnik-Sektor. Hatte dieser Bereich 2023 noch genug Gründe zu feiern, mache sich nun laut Janze Katerstimmung breit: „Im vergangenen Jahr waren die Auftragsbücher der Hersteller gut gefüllt – und dass, obwohl durch den Wegfall des russischen Marktes infolge der Sanktionen, die auf den Krieg in der Ukraine folgten, ein wichtiges Absatzgebiet wegbrach. In den vergangenen 18 Monaten waren die Auftragsbücher unter anderen aufgrund von Nachholeffekten nach Corona so gut gefüllt wie selten zuvor – nun hat sich der Wind gedreht.“ Viele Landwirte verhielten sich aufgrund der aktuellen Lage und der trüben Aussichten bei Investitionen deutlich zurückhaltender als noch 2023, so Janze: „Die Landtechnik ist einer der ersten Sektoren, die diese Zurückhaltung zu spüren bekommt und daher ein verlässlicher Gradmesser für das, was im Agribusiness insgesamt kommen könnte. Laut ifo-Geschäftsklimaindex ist die Einschätzung der Geschäftslage in der Landtechnik im Dezember auf einen Tiefpunkt gefallen, und die Geschäftserwartung, also der Blick in die Zukunft, ist auf einen ähnlich niedrigen Wert wie zu Beginn der Corona-Pandemie gesunken.“

Auswirkungen des Ukraine-Konflikts halten an

Auf den Übergang von eben jener Pandemie zur Endemie folgte nahezu nahtlos das nächste globale Krisenereignis: der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Dessen Folgen stellten und stellen enorme neue Herausforderung für das Agribusiness dar. So erhöhten beispielsweise die unmittelbaren Sanktionen auf russische Exporte von Düngemitteln und Erdgas die Kosten der landwirtschaftlichen Produktion weltweit. Teuber: „Russlands Stellung als größter globaler Dünger- und Gasexporteur verdeutlichte die Verwundbarkeit eines auf Mineraldünger aufgebauten Systems der konventionellen Landwirtschaft, das sich auf wenige Handelspartner konzentriert.“

„Die Verfügbarkeit von Mineraldüngern, allen voran Stickstoff, spielt eine wichtige Rolle für die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln“, ergänzt Janze. Die Landwirtschaft hierzulande sei auf diesen Rohstoff angewiesen, und die Zukunft der Nahrungsmittelversorgung sei damit auch abhängig von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien, die für die äußerst energieintensive Herstellung von Stickstoffdünger dringend benötigt werden. Die hierzu notwendigen Produktionskapazitäten müssten allerdings erst einmal aufgebaut werden. Fakt ist: Wird der Dünger knapp oder steigt er stark im Preis, könnte dies negative Folgen für die Verfügbarkeit von Agrarprodukten aus Deutschland haben.

Weltweiter Agrarmarkt zwischen Substitution und Diversifikation

Weltweit stand das Agribusiness im vergangenen Jahr – vor allem in Folge des russischen Angriffskriegs – im Zeichen von Substitution und Diversifikation. So mussten Importeure ukrainischen Getreides – wie die Türkei, Ägypten und Äthiopien – neue Anbieter finden. Gleichzeitig wurden knappe Getreidearten und Ölsaaten so weit möglich durch andere ersetzt: Weizen teilweise durch Reis, Sonnenblumenöl durch andere Pflanzenöle. Nutznießer dieser Entwicklung waren neben Russland, Kanada und der Europäischen Union auch die USA. Teuber: „Wichtig war auch, dass sich die meisten Agrarexporteure mit Exportrestriktionen zurückgehalten haben, sodass die Handelsmengen auf den Weltmärkten nicht weiter verknappt wurden.“ Gemessen an Ernte und Beständen im Herbst 2023 ist die globale Versorgungslage bei Getreide aktuell kaum besser als zu Beginn des Krieges im Februar 2022.

Entwicklung in den Teilbranchen des Agribusiness im Detail

Landtechnik als Gradmesser: Katerstimmung nach Partylaune

Die deutsche Landtechnikindustrie hat im Jahr 2023 – auch aufgrund von Nachholeffekten infolge der Corona-Pandemie – Rekordumsatzerlöse von 14,6 Mrd. Euro erzielt, eine Steigerung um 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Inland wurden 2023 3,29 Milliarden Euro (plus 15 Prozent) umgesetzt, im Ausland 11,3 Milliarden Euro (plus 18 Prozent). Damit wurden 2023 mehr als vier von fünf Euro über Verkäufe im und ins Ausland umgesetzt. Zum Jahresende kam es jedoch auch zur stärksten Abschwächung der Geschäftserwartung der Branche innerhalb des Beobachtungszeitraums. Ein wichtiger Grund: stark sinkende Preise für viele Agrarrohstoffe und sich verschlechternde Aussichten für Landwirte in Deutschland und Europa. Aber auch strategische Herausforderungen hat die Branche zu meistern. Janze: „Weltweit betrachtet sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die wichtigsten Abnehmer der deutschen Landtechnikbranche. Allerdings sehen wir das Hauptwachstum für Landtechnik außerhalb des deutschen und des europäischen

Marktes, etwa in Asien und China, den USA oder auch Afrika. Hier müssen sich deutsche Landtechnikhersteller mit technischen Innovationen gegen die starke Konkurrenz vor Ort durchsetzen. Die Frage ist, ob die deutsche Landtechnikindustrie über genügend finanzielle Kraft verfügt, um auch in diesen Märkten nachhaltig zu wachsen.“

Ernährungsindustrie mit Exportrekord, aber verhaltenen Aussichten

Mit einem Umsatz von 238 Milliarden Euro und einem Anteil von fast 80 Prozent ist die Ernährungsindustrie die größte Teilbranche des Agribusiness. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies ein Plus von 19 Milliarden Euro (plus 8,7 Prozent). 52 Milliarden Euro (21,8 Prozent) des Umsatzes wurden durch den Export realisiert. Ein erneuter Anstieg, nachdem sowohl Gesamtumsatz als auch Exportquote bis einschließlich 2021 nahezu stagnierten. Allerdings: Dieser Anstieg war vorwiegend preisgetrieben. Die Verbraucherpreise speziell für frische Lebensmittel lagen auch im Jahr 2023 auf einem hohen Niveau, wobei sich im Jahresverlauf die Inflation abschwächte. Die Anzahl der Betriebe blieb annähernd stabil: 6.193 Betrieben im Jahr 2022 stehen 2023 6.189 gegenüber. Die Zahl der Beschäftigten wuchs dagegen prognostiziert um mehr als 4.000 auf fast 647.000 Mitarbeitende. Die Geschäftserwartungen lagen dennoch im Jahr 2023 weiter im negativen Bereich, die Mehrheit der Unternehmen blickt also eher pessimistisch in die Zukunft. Viele Unternehmen sind noch immer von großer Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Energieversorgung, der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und der zukünftigen Konsumentscheidungen geprägt.

Fleischwirtschaft mit einem Umsatz von knapp 50 Milliarden Euro

Nachdem der Umsatz im Jahr 2021 deutlich zurückgegangen war, konnte die Fleischwirtschaft 2022 an Umsatz zulegen – ein Trend, der sich auch 2023 fortsetzte: Aktuellen Prognosen zufolge steigt der Umsatz des Sektors um 1,9 Milliarden Euro (plus vier Prozent) auf 49,7 Milliarden Euro. Die Exportquote lag dabei wie im Vorjahr bei 15 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten erreichte ihren Höchststand 2021, in den beiden folgenden Jahren sank sie leicht – auf aktuell etwas mehr als 147.000 Mitarbeitende. Auch die Zahl der Betriebe ging leicht zurück, von 1484 im Jahr 2022 auf 1454 im vergangenen Jahr. Teuber: „Die Stimmung in der Fleischindustrie ist dennoch gedämpft: Die leichten Umsatzsteigerungen sind eher Preissteigerungen geschuldet, die Produktions- und Exportmengen in Deutschland sind dagegen rückläufig. Im laufenden Jahr werden die Umsätze in der Fleischwirtschaft tendenziell stagnieren, insbesondere aufgrund höherer Anforderungen an die Tierhaltung infolge der Entscheidung des Lebensmitteleinzelhandels, bis 2030 nur noch Produkte der Haltungsformen 3 und 4 ins Sortiment zunehmen, und aufgrund bleibender Unsicherheiten bei der Absatz- und Vermarktungssituation deutscher Produkte.“

Molkereiwirtschaft mit leichtem Minus nach Rekordjahr

In der Milchwirtschaft ging der Jahresumsatz 2023 leicht zurück – bleibt aber mit 36,4 Milliarden Euro auf einem überdurchschnittlichen Niveau: Dieser Wert bedeutet zwar ein Minus von 2,1 Milliarden Euro (minus sechs Prozent) im Vergleich zum Jahr zuvor, markiert aber zugleich den zweithöchsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Inlands- und Auslandsumsatz sanken dabei ungefähr gleichermaßen. Insgesamt sind aktuell schätzungsweise mehr als 46.000 Mitarbeitende in der Milchwirtschaft beschäftigt. Wie die Fleischproduktion ist auch die Milchproduktion – und damit die Molkereien – von der Umstellung des deutschen Lebensmitteleinzelhandels auf Produkte aus den Haltungsformen 3 und 4 bis zum Jahr 2030 betroffen. Gleichzeitig sorgt der fortschreitende Strukturwandel in der Landwirtschaft innerhalb der Molkereibranche für einen zunehmenden Wettbewerb um den Rohstoff Milch, was bei den deutschen Molkereien mögliche Werksschließungen und einen Rückgang der Investitionen nach sich ziehen könnte. Insgesamt blickt die Molkereiwirtschaft aber eher optimistisch in das neue Jahr.

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