Kehrtwende in der Anforderung an die Textform bei Arbeitsverträgen: Die Ampel-Koalition will, dass Arbeitsverträge zukünftig nicht nur schriftlich, sondern auch elektronisch in Textform erstellt und verschickt werden dürfen. Das geht aus dem Entwurf für das Bürokratieentlastungsgesetz IV hervor, das der Bundestag noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschieden will. Anfangs war nur geplant, qualifizierte elektronische Signaturen nach § 126a BGB zu erlauben. Nun sollen auch einfachere elektronische Formen wie beispielsweise E-Mails akzeptiert werden. Allerdings gibt es viele Ausnahmen und Restriktionen, sodass Arbeitgeber vorsichtig mit E-Arbeitsverträgen umgehen müssen.
„Mit nasser Tinte“
Derzeit müssen bestimmte Dokumente und Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern schriftlich verfasst und von beiden Parteien eigenhändig „mit nasser Tinte“ unterschrieben werden. Die Einhaltung der Schriftform nach § 126 BGB dient nicht nur der Rechtssicherheit und Klarheit, sondern auch als Beweismittel für die getroffenen Vereinbarungen. Wenn die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform nicht eingehalten wird, kann dies zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen. Das entsprechende Nachweisgesetz wurde erst im August 2022 aufgrund der Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen verschärft. Die gesetzlichen Bestimmungen wurden dabei nicht nur um neue Nachweispflichten erweitert, vielmehr können nun auch Verstöße gegen diese Pflichten mit Bußgeldern als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden.
Justizminister Buschmann skizziert die Vorteile …
Flankierend zum geplanten Bürokratieentlastungsgesetz IV erläutert Justizminister Marco Buschmann in einem Schreiben an betroffene Verbände, dass die geplanten elektronischen Arbeitsverträge leicht zugänglich, speicherbar und ausdruckbar sein sollen. Arbeitgeber müssen Übersendung und Empfang nachweisen. Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss es eine ausgedruckte Kopie des elektronischen Arbeitsvertrags geben. Auch die in § 2 Abs. 1 NachwG genannten wesentlichen Vertragsbedingungen müssen im elektronischen Arbeitsvertrag enthalten sein. Justizminister Buschmann spricht von einem Schritt in Richtung digitale Transformation des Arbeitsmarktes. Unternehmen sowie Beschäftigte würden von dem bisher oft als umständlich empfundenen Prozess des Ausdruckens, Unterschreibens und körperlichen Versendens von Dokumenten entlastet. Es würde auch das mobile Arbeiten erleichtern, da die Notwendigkeit, physisch anwesend zu sein, um Dokumente zu unterzeichnen, entfiele.
… doch es gibt Hürden für Arbeitgeber
Zu den Schattenseiten des Gesetzes zählt, dass Arbeitgeber einen Übermittlungs- und Zugangsnachweis für die Verträge an die Beschäftigten einrichten müssen. Aus der Formulierungshilfe der Bundesregierung ergibt sich, dass eine Aufforderung zur Erteilung eines Empfangsnachweises gesetzlich verankert werden soll, um Arbeitnehmer vor dem Hintergrund möglicher Unsicherheiten bei der elektronischen Übermittlung zusätzlich abzusichern. So ist zukünftig die Übermittlung in Textform möglich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zugleich auffordert, einen auf die übermittelte Niederschrift bezogenen Empfangsnachweis zu erteilen. Wie dies in der Praxis auszusehen hat, ist allerdings ungewiss. Auch in der Begründung zur Formulierungshilfe finden sich keine Hinweise darauf, welche Voraussetzungen an einen solchen Empfangsnachweis geknüpft werden. Geht man von einer Zustellung per E-Mail aus, so ist der Nachweis der Übermittlung noch unkompliziert. Probleme können sich jedoch beim Nachweis des Empfangs ergeben, wenn der Arbeitnehmer trotz Aufforderung des Arbeitgebers keinen solchen Nachweis (z.B. Abgabe einer Lesebestätigung) erteilt. Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln genügt bei Mails an private E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer der Status des „Gesendet“-Ordners nicht als Nachweis (Urteil vom 11.1.2022, Az. 4 Sa 315/21). Der Arbeitgeber kann auch nicht darauf abstellen, dass keine Unzustellbarkeitsmitteilung erfolgt ist. Lediglich die Vorlage einer Lesebestätigung kann den Empfang durch den Arbeitnehmer beweisen.
Wurde der Anhang geöffnet?
Eine weitere rechtliche Frage ergibt sich, wenn wesentliche Vertragsbedingungen als Anhang einer E-Mail verschickt werden. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm gilt der Anhang einer E-Mail in der Regel erst dann als zugestellt, wenn der Empfänger den Dateianhang tatsächlich öffnet (Urteil vom 9.3.2022, Az. I-4 W 119/20, 4 W 119/20). Um die neuen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 NachweisG zu erfüllen, muss der Arbeitgeber somit auch das Öffnen des Anhangs durch den Arbeitnehmer nachweisen.
Handlungsempfehlungen
Arbeitgebern ist dringend anzuraten, Vorkehrungen für den Nachweis von Übermittlung und Empfang von E-Mails zu treffen. Zunächst sollte in jedem Fall eine Lesebestätigung angefordert werden. Ratsam ist darüber hinaus, sich die Öffnung des E-Mail-Anhangs zusätzlich bestätigen zu lassen (ggf. bei einer Weigerung auch durch Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts z. B. durch eine direkte Anweisung durch den Vorgesetzten). Zudem ist es grundsätzlich empfehlenswert, Arbeitsverträge (auch) an die geschäftliche E-Mail-Adresse zu verschicken, sobald das Arbeitsverhältnis begonnen hat und eine solche eingerichtet wurde. Denn hier hat der Arbeitgeber leichtere Zugriffs- und dadurch auch bessere Beweismöglichkeiten. Weiterhin ist zu beachten, dass bei Bestehen eines Betriebsrats das Verlangen nach einer Empfangsbestätigung auch das umfassend auszulegende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz berühren könnte.