Waldbrand

Wie die EU beim Kampf gegen die globale Entwaldung vorgeht

Mit einer neuen EU-Verordnung kommen auf Unternehmen zusätzliche Sorgfaltspflichten in der Lieferkette zu.


Überblick

  • Die neue EU-Verordnung zur Verhinderung von Entwaldung und Waldschädigung betrifft Tausende Unternehmen, die bestimmte Rohstoffe oder Verarbeitungserzeugnisse in die EU einführen bzw. dort anbieten. 
  • Sie müssen künftig umfassende lieferkettenbezogene Sorgfaltspflichten über das bereits bestehende Ausmaß hinaus erfüllen. 
  • Angesichts des umfangreichen Pflichtenkatalogs und einer gewissen Rückwirkung bis zum 31. Dezember 2020 sollten betroffene Unternehmen sich frühzeitig auf die neuen Vorgaben einstellen und Maßnahmen ergreifen, um die Marktgängigkeit ihrer Produkte sicherzustellen. 

Rund 4,2 Millionen Quadratkilometer Wald sind weltweit zwischen 1990 und 2020 abgeholzt worden. Das entspricht ziemlich genau der Fläche aller 27 EU-Mitgliedstaaten. Gegen die globale Entwaldung geht die Europäische Union nun mit einer Verordnung zur Verhinderung von Entwaldung und Waldschädigung (Anti-Entwaldungs-VO) vor. Das betrifft Tausende Unternehmen, die bestimmte Rohstoffe (namentlich Rinder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz) oder Verarbeitungserzeugnisse (z. B. Leder, Schokolade, Möbel, Holzkohle, Reifen oder Druckpapier) in die EU einführen bzw. dort anbieten. Sie müssen künftig umfassende lieferkettenbezogene Sorgfaltspflichten über das bereits bestehende Ausmaß hinaus erfüllen. Insbesondere wird eine Geolokalisierung verpflichtend: Damit soll bestimmt werden, auf welchen Flächen die betreffenden Rohstoffe hergestellt wurden, um anhand dessen produktbezogene Entwaldungsrisiken zu ermitteln – und Strafen zu verhängen.

Fristen

Nach Annahme durch den Europäischen Rat am 16. Mai 2023 wird die Verordnung im Amtsblatt der EU veröffentlicht und tritt 20 Tage später in Kraft. Zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten werden den betroffenen Unternehmen Übergangsfristen von 18 bzw. 24 Monaten gewährt. Angesichts des umfangreichen Pflichtenkatalogs und einer gewissen Rückwirkung bis zum 31. Dezember 2020 sollten betroffene Unternehmen sich dennoch frühzeitig auf die neuen Vorgaben einstellen und Maßnahmen ergreifen, um die Marktgängigkeit ihrer Produkte sicherzustellen.

(Un-)kritische Umwandlung in Nutzflächen

Die Anti-Entwaldung-VO zielt darauf ab, eine weitere Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen zulasten natürlicher Waldbestände zu verhindern. Daher dürfen bestimmte Rohstoffe und Erzeugnisse künftig nur dann auf dem EU-Markt angeboten oder aus diesem ausgeführt werden, wenn

  • sie entwaldungs- bzw. waldschädigungsfrei erzeugt sind,
  • sie im Einklang mit den Gesetzen des Ursprungslands produziert wurden und
  • eine Bestätigung an ein noch zu errichtendes Register übermittelt wurde, wonach eine Sorgfaltsprüfung keine oder allenfalls vernachlässigbare Risiken in Bezug auf die beiden erstgenannten Punkte ergeben hat.

Zu einem späteren Zeitpunkt könnte die Verordnung auf Waren aus Mooren und anderen Feuchtgebieten, Savannen etc. ausgedehnt werden. Die zu beachtenden Gesetze der Ursprungsländer umfassen unterschiedlichste Bereiche, angefangen von Landnutzungsrechten, umweltschutz- und forstbezogenen Bestimmungen (einschließlich Biodiversität) über Arbeitnehmer- und Menschenrechte und die Rechte indigener Völker bis hin zu Steuer-, Antikorruptions-, Handels- und Zollvorschriften.

Sorgfaltserklärung ans Zentralregister

Mit der Übermittlung einer sogenannten Sorgfaltserklärung an ein zentrales Register übernimmt der jeweilige EU-Marktteilnehmer künftig die Verantwortung, dass seine Rohstoffe oder Erzeugnisse den Anforderungen der Anti-Entwaldungs-VO genügen. Dazu ist eine Geolokalisierung aller Grundstücke erforderlich, von denen die Produkte stammen. Es geht also um eine Bestimmung der geografischen Lage eines Grundstücks, und zwar grundsätzlich auf der Basis von Breiten- und Längenkoordinaten auf mindestens sechs Dezimalstellen genau. Ferner sind Datum bzw. Zeitraum der jeweiligen Produktion zu dokumentieren. Die Nachweise sind fünf Jahre lang aufzubewahren.

Risikobewertung für alle Anbauflächen

Sodann muss der Ein- bzw. Ausführer für sämtliche relevanten Anbauflächen eine Risikobewertung vornehmen. Dabei ist eine Vielzahl von Fragestellungen zu berücksichtigen, beispielsweise ob landes-, regions- oder gebietsspezifische spezielle Entwaldungs- und Waldschädigungsrisiken bestehen, ob indigene Völker in der jeweiligen Gegend leben, ob die Gegend für Korruption, bewaffnete Konflikte, Menschenrechtsverstöße oder fehlende Rechtsdurchsetzbarkeit bekannt ist oder ob relevante UN-Sanktionen verhängt worden sind. Auf der Grundlage der Dokumentation muss nachvollziehbar sein, wie die gesammelten Informationen anhand der vorgenannten Kriterien geprüft und wie der Risikograd bestimmt wurde. Sofern relevante Risiken nicht von vornherein ausgeschlossen oder als vernachlässigbar eingestuft werden können, muss der Ein- bzw. Ausführer adäquate Risikominderungsmaßnahmen ergreifen, um zu einer niedrigeren Einstufung zu gelangen. Hierzu zählen beispielsweise unabhängige Erhebungen, Audits oder die Unterstützung insbesondere kleiner Zulieferer, um die Bestimmungen der Anti-Entwaldungs-VO umsetzen zu können.

Compliance-Maßnahmen

Unabhängig davon müssen Unternehmen angemessene Strategien, Kontrollen und Verfahren implementieren, um die Konformität der Rohstoffe und Erzeugnisse mit der Anti-Entwaldungs-VO sicherzustellen. Dazu gehören vor allem ein internes Kontroll- und Compliance-Management, die Benennung eines Compliance-Beauftragten auf Führungsebene und eine Überprüfung durch die Interne Revision. Außerdem ist über das eingerichtete Risikomanagement jährlich öffentlich (auch im Internet) zu berichten.

Grafik: Globale Waldflaechenentwicklung: 2000-2020, Netto-Rechnung unter Beruecksichtigung von Rodungen und Aufforstungen

Gilt auch für nachgelagerte Unternehmen

Die beschriebenen Sorgfaltspflichten gelten nicht nur für die Unternehmen, die die Rohstoffe und Erzeugnisse erstmals in der EU vermarkten; vielmehr sind auch alle weiteren Unternehmen in der nachgelagerten Lieferkette betroffen. Diesen sind ausreichende Informationen vom Lieferanten zur Verfügung zu stellen, um eine angemessene Due-Diligence-Prüfung durchführen zu können. Bei Verstößen oder fehlenden Informationen über die Compliance-Prüfung in der vorangehenden Lieferkette dürfen Waren nicht in Verkehr gebracht und auch nicht exportiert werden. Insoweit ergibt sich hier aus Sicht der Zollprozesse eine weitere „Exportkontrollpflicht“, nunmehr mit Blick auf die Bestimmungen der Anti-Entwaldungs-VO.

Ausnahmen für kleinere Unternehmen

Eine Ausnahme gilt für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2013/34/EU. Diese dürfen sich auf bereits durchgeführte Prüfungen von ihren Zulieferern verlassen. Kleinstunternehmen dürfen zudem ein in der Lieferkette nachgeordnetes Unternehmen mit der Übermittlung der Sorgfaltserklärung beauftragen.

Klassifizierung der Staaten

Zudem soll die EU-Kommission für sämtliche Staaten weltweit eine Entwaldungs- bzw. Waldschädigungseinschätzung vornehmen und ihnen ein geringes, normales oder hohes Risiko zuweisen. Für Rohstoffe und Erzeugnisse aus Herkunftsländern mit niedrigem Risiko gelten verringerte Sorgfaltsrisiken. Allerdings müssen Unternehmen mit komplexen Lieferketten auch Produkte aus diesen Ländern prüfen und dokumentieren, ob bestimmte Risiken (insbesondere das Risiko der tatsächlichen Herkunftsverschleierung) bestehen.

Rückwirkende Folgen

Zwar greifen die Sorgfaltspflichten nach der Anti-Entwaldungs-VO (Art. 3 – 13, 16 – 24, 26, 31 und 32) erst 18 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung (ca. Anfang 2025), aber es sind rückwirkende Folgen zu beachten. Denn Rohstoffe und Erzeugnisse gelten nur dann als entwaldungs- und waldschädigungsfrei im Sinne der Verordnung, wenn sie auf Flächen erzeugt wurden, auf denen es bereits ab 31. Dezember 2020 nicht mehr zu entsprechenden Beeinträchtigungen gekommen ist. Um die Marktgängigkeit relevanter Produkte sicherzustellen, ist daher frühzeitig an eine Geolokalisierung zu denken.

Referenznummer für die Zollanmeldung

Nach aktuellem Kenntnisstand müssen Zollanmelder in Zukunft bei der Ein- und Ausfuhranmeldung deklarieren, dass entsprechende Sorgfaltserklärungen abgegeben wurden. Mit dem Eintrag ins Register wird eine Referenznummer generiert, die dann in der Zollanmeldung zu vermerken ist. Unternehmen mit einem komplexen Warenportfolio müssen in der Lage sein, zuverlässig eine erhebliche Anzahl Compliance-Prüfungen durchzuführen, die Ergebnisse im Register mittels Sorgfaltserklärung zu dokumentieren und im Ein- bzw. Ausfuhrprozess sowie gegenüber Geschäftspartnern zu kommunizieren.

Herausforderungen bei Massengütern

Das ist umso herausfordernder, da sich die Zusammensetzung von Waren von Charge zu Charge und teilweise auch innerhalb einer einzigen Charge unterscheiden kann. Besonders naheliegend ist das bei Massengütern wie Palmöl, Holzkohle, Papier und dergleichen, deren (Vor-)Material auf unterschiedlichen Flächen geerntet wurde bzw. bei denen Rohstoffe aus unterschiedlichen Quellen im Produktionsprozess vermischt wurden. Auch bei Möbeln werden üblicherweise Holzchargen aus unterschiedlichen Herkunftsländern bzw. von unterschiedlichen Ernteflächen verwendet. Bei dem betroffenen Spektrum müssen Herkunftsnachweise auf Produkt- oder Chargenebene organisiert werden. Waren ohne schlüssige Nachweise sind in der Praxis möglicherweise nicht mehr marktfähig, weil das Risiko für Verstöße zu hoch ist.

Zollfunktion gefragt

Selbst wenn die Durchführung der in der Entwaldungs-VO geforderten Kernprozesse (Risikoanalyse, Dateneinholung bzw. -weitergabe, Dokumentation, Abgabe der Sorgfaltserklärungen etc.) nicht bei der Zollfunktion liegt, ist diese im Kontext der Wareneinfuhr und -ausfuhr als Prozessteilhaber involviert. Die Zollbehörden sind als Kontrollinstanz eingebunden. Es verbleibt abzuwarten, inwieweit der Prozessdurchlauf für zugelassene Wirtschaftsbeteiligte und „Selbstverzoller“ (Anschreibeverfahren, vereinfachte Zollanmeldung) Vorteile im Hinblick auf die Abfertigungsgeschwindigkeit ermöglicht. In jedem Fall sollte die Kommunikation und Dokumentation im Unternehmen so aufgesetzt werden, dass Nachweise für Kontrollen durch den Zoll und weitere Behörden unmittelbar verfügbar sind.

Co-Autor: Sebastian Wurzberger

Fazit

Bei den Lieferketten müssen Unternehmen über die neue Anti-Entwaldung-VO hinaus zahlreiche regulatorische Pflichten beachten. Dazu zählen zum Beispiel die EU-Konfliktmineralienverordnung, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, der Richtlinienentwurf zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten, der Richtlinienentwurf zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem EU-Markt oder der Richtlinienentwurf über die Begründung und Kommunikation von eindeutigen Umweltaussagen (Green-Claims-Richtlinie). Unternehmen sollten daher darüber nachdenken, wie sie Synergien heben und das lieferkettenbezogene Sorgfaltspflichtenmanagement effektiv in das bestehende allgemeine Compliance-Management-System integrieren können.

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