Rund 4,2 Millionen Quadratkilometer Wald sind weltweit zwischen 1990 und 2020 abgeholzt worden. Das entspricht ziemlich genau der Fläche aller 27 EU-Mitgliedstaaten. Gegen die globale Entwaldung geht die Europäische Union nun mit einer Verordnung zur Verhinderung von Entwaldung und Waldschädigung (Anti-Entwaldungs-VO) vor. Das betrifft Tausende Unternehmen, die bestimmte Rohstoffe (namentlich Rinder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz) oder Verarbeitungserzeugnisse (z. B. Leder, Schokolade, Möbel, Holzkohle, Reifen oder Druckpapier) in die EU einführen bzw. dort anbieten. Sie müssen künftig umfassende lieferkettenbezogene Sorgfaltspflichten über das bereits bestehende Ausmaß hinaus erfüllen. Insbesondere wird eine Geolokalisierung verpflichtend: Damit soll bestimmt werden, auf welchen Flächen die betreffenden Rohstoffe hergestellt wurden, um anhand dessen produktbezogene Entwaldungsrisiken zu ermitteln – und Strafen zu verhängen.
Fristen
Nach Annahme durch den Europäischen Rat am 16. Mai 2023 wird die Verordnung im Amtsblatt der EU veröffentlicht und tritt 20 Tage später in Kraft. Zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten werden den betroffenen Unternehmen Übergangsfristen von 18 bzw. 24 Monaten gewährt. Angesichts des umfangreichen Pflichtenkatalogs und einer gewissen Rückwirkung bis zum 31. Dezember 2020 sollten betroffene Unternehmen sich dennoch frühzeitig auf die neuen Vorgaben einstellen und Maßnahmen ergreifen, um die Marktgängigkeit ihrer Produkte sicherzustellen.
(Un-)kritische Umwandlung in Nutzflächen
Die Anti-Entwaldung-VO zielt darauf ab, eine weitere Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen zulasten natürlicher Waldbestände zu verhindern. Daher dürfen bestimmte Rohstoffe und Erzeugnisse künftig nur dann auf dem EU-Markt angeboten oder aus diesem ausgeführt werden, wenn
- sie entwaldungs- bzw. waldschädigungsfrei erzeugt sind,
- sie im Einklang mit den Gesetzen des Ursprungslands produziert wurden und
- eine Bestätigung an ein noch zu errichtendes Register übermittelt wurde, wonach eine Sorgfaltsprüfung keine oder allenfalls vernachlässigbare Risiken in Bezug auf die beiden erstgenannten Punkte ergeben hat.
Zu einem späteren Zeitpunkt könnte die Verordnung auf Waren aus Mooren und anderen Feuchtgebieten, Savannen etc. ausgedehnt werden. Die zu beachtenden Gesetze der Ursprungsländer umfassen unterschiedlichste Bereiche, angefangen von Landnutzungsrechten, umweltschutz- und forstbezogenen Bestimmungen (einschließlich Biodiversität) über Arbeitnehmer- und Menschenrechte und die Rechte indigener Völker bis hin zu Steuer-, Antikorruptions-, Handels- und Zollvorschriften.
Sorgfaltserklärung ans Zentralregister
Mit der Übermittlung einer sogenannten Sorgfaltserklärung an ein zentrales Register übernimmt der jeweilige EU-Marktteilnehmer künftig die Verantwortung, dass seine Rohstoffe oder Erzeugnisse den Anforderungen der Anti-Entwaldungs-VO genügen. Dazu ist eine Geolokalisierung aller Grundstücke erforderlich, von denen die Produkte stammen. Es geht also um eine Bestimmung der geografischen Lage eines Grundstücks, und zwar grundsätzlich auf der Basis von Breiten- und Längenkoordinaten auf mindestens sechs Dezimalstellen genau. Ferner sind Datum bzw. Zeitraum der jeweiligen Produktion zu dokumentieren. Die Nachweise sind fünf Jahre lang aufzubewahren.
Risikobewertung für alle Anbauflächen
Sodann muss der Ein- bzw. Ausführer für sämtliche relevanten Anbauflächen eine Risikobewertung vornehmen. Dabei ist eine Vielzahl von Fragestellungen zu berücksichtigen, beispielsweise ob landes-, regions- oder gebietsspezifische spezielle Entwaldungs- und Waldschädigungsrisiken bestehen, ob indigene Völker in der jeweiligen Gegend leben, ob die Gegend für Korruption, bewaffnete Konflikte, Menschenrechtsverstöße oder fehlende Rechtsdurchsetzbarkeit bekannt ist oder ob relevante UN-Sanktionen verhängt worden sind. Auf der Grundlage der Dokumentation muss nachvollziehbar sein, wie die gesammelten Informationen anhand der vorgenannten Kriterien geprüft und wie der Risikograd bestimmt wurde. Sofern relevante Risiken nicht von vornherein ausgeschlossen oder als vernachlässigbar eingestuft werden können, muss der Ein- bzw. Ausführer adäquate Risikominderungsmaßnahmen ergreifen, um zu einer niedrigeren Einstufung zu gelangen. Hierzu zählen beispielsweise unabhängige Erhebungen, Audits oder die Unterstützung insbesondere kleiner Zulieferer, um die Bestimmungen der Anti-Entwaldungs-VO umsetzen zu können.
Compliance-Maßnahmen
Unabhängig davon müssen Unternehmen angemessene Strategien, Kontrollen und Verfahren implementieren, um die Konformität der Rohstoffe und Erzeugnisse mit der Anti-Entwaldungs-VO sicherzustellen. Dazu gehören vor allem ein internes Kontroll- und Compliance-Management, die Benennung eines Compliance-Beauftragten auf Führungsebene und eine Überprüfung durch die Interne Revision. Außerdem ist über das eingerichtete Risikomanagement jährlich öffentlich (auch im Internet) zu berichten.