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Forensik in der Jahresabschlussprüfung


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Die zunehmende Komplexität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stellt die Bedeutung potenzieller Fraud-Risikofaktoren im Rahmen der Jahresabschlussprüfung vermehrt in den Fokus.


Überblick

  • Erweiterung der Jahresabschlussprüfung um eine forensische Sichtweise zur frühzeitigen Identifizierung potenziell doloser Handlungen.
  • Rückgriff auf forensische Risikoeinschätzungen und -­analysen.
  • Einsatz forensischer Tools und Datenanalysen im Rahmen der Jahresabschlussprüfung.


Die aktuelle gesamtwirtschaftliche Entwicklung, beeinflusst durch große Krisen wie den Konflikt in der Ukraine und die anhaltenden Auswirkungen der COVID-19 Pandemie, setzt Unternehmen zunehmend unter Stress und stellt sie vor neue Herausforderungen. Sie sehen sich mit Identitäts- und Integritätsrisiken konfrontiert, die Beziehungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens beeinflussen und die Anfälligkeit für Fraud-Risiken erhöhen.

Die Komplexität der Lieferketten und die herausfordernde Suche nach geeigneten Geschäftspartnern führen zu einer Vielzahl von Transaktionen zwischen Unternehmen, Kunden, Verkäufern und Zulieferern. In diesem Kontext können unter anderem Risiken von Betrug, wettbewerbs- und kartellrechtlichen Verstößen und betrügerischen Geschäftspraktiken entstehen.

Neben dem Risiko der Unternehmensfortführung („Going Concern“) sind diese Themen bedeutende gesamtwirtschaftliche Probleme, die im Laufe der vergangenen Jahre an Brisanz gewonnen haben und sich in verschiedenen Ausprägungen von Fraud-Risiken konkretisieren. Aus diesem Grund sind die Richtigkeit der Bilanzierung und die korrekte Darstellung der Geschäftsvorfälle und -beziehungen im Jahresabschluss der Unternehmen von erheblicher Bedeutung.

Der Jahresabschluss hat zwei Grundfunktionen: Er informiert über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und dokumentiert die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zum Bilanzstichtag als Basis für Planungen und künftige Entscheidungen des Unternehmens, der Anteilseigner und weiterer Stakeholder. Des Weiteren dient er als Bemessungsgrundlage für die Verteilung des Ergebnisses.

In Deutschland ergeben sich die Vorschriften zur handelsrechtlichen Rechnungslegung aus dem Handelsgesetzbuch (HGB). Sie verpflichten alle Kaufleute zur Buchführung und zur Aufstellung eines Jahresabschlusses. Diese Vorschriften werden ergänzt durch zusätzliche Bestimmungen für Kapitalgesellschaften, eingetragene Genossenschaften und Unternehmen bestimmter Wirtschaftszweige (Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute, Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds). Eine Prüfungspflicht dieser Jahresabschlüsse richtet sich für Kapitalgesellschaften und haftungsbegrenzte Personengesellschaften nach den Größenkriterien des HGB (Umsatz, Bilanzsumme und Anzahl der Beschäftigten, § 267 HGB). Der Jahresabschluss und der Lagebericht mittelgroßer und großer Gesellschaften unterliegen einer Pflichtprüfung durch einen Abschlussprüfer. Des Weiteren verpflichtet das Publizitätsgesetz (PublG) rechtsformunabhängig auch andere Unternehmen mit einer natürlichen Person als Vollhafter ab einer bestimmten Größenordnung zur Prüfung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses durch einen Wirtschaftsprüfer. Zusätzlich sind in Deutschland Unternehmen, die als Inlandsemittenten Aktien oder Schuldtitel ausgeben, nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) zur Zwischenberichterstattung verpflichtet. Die Prüfung oder prüferische Durchsicht dieser Berichterstattung durch einen Wirtschaftsprüfer ist nicht verpflichtend

Die durch einen Abschlussprüfer durchzuführende Jahresabschlussprüfung ist darauf ausgerichtet, innerhalb der inhärenten Grenzen einer solchen Prüfung hinreichende Sicherheit darüber zu erlangen, dass der Abschluss als Ganzes ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittelt und den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

Der Abschlussprüfer verfolgt dabei das Ziel, die Risiken wesentlicher falscher Darstellungen im Jahresabschluss aufgrund von dolosen Handlungen oder Irrtümern zu identifizieren, zu beurteilen und mit angemessene Prüfungshandlungen zu reagieren (International Standard on Auditing [DE] 240 „Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers bei dolosen Handlungen“).

Die Rolle von Forensikern in der Jahresabschlussprüfung

Welche Bedeutung wird vor diesem Hintergrund dem Einsatz von Forensikern im Rahmen von Jahresabschlussprüfungen beigemessen?

Obwohl die primäre Verantwortung für die Verhinderung und Aufdeckung von Fraud und dolosen Handlungen im Unternehmen bei dessen gesetzlichen Vertretern und Aufsichtsorganen liegt, wird auch die Jahresabschlussprüfung vermehrt auf die Aufdeckung von Fraud ausgerichtet.

Während die Abschlussprüfer grundsätzlich von der Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses und des Lageberichts ausgehen und ihre Tätigkeiten entsprechend ausrichten, richtet sich der Fokus der Forensiker auf die Identifizierung von Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten im Abschluss. Durch Einbindung der Forensiker und Anwendung eines entsprechend ausgerichteten Risk Assessments wird der Fokus der Jahresabschlussprüfung somit um die Ausrichtung auf Fraud-Risikofaktoren ergänzt.

Die Forensiker unterstützen das Prüfungsteam bei der Identifizierung und Beurteilung wesentlicher falscher Darstellungen im Jahresabschluss, die auf dolosen Handlungen oder Irrtümer zurückzuführen sind. Die hier gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Ausgestaltung des Prüfungsansatzes und der durchzuführenden Prüfungshandlungen durch das Prüfungsteam ein.

Was sind dolose Handlungen im Unternehmen und wie werden sie begünstigt?

Bei dolosen Handlungen handelt es sich um absichtliche Handlungen einer oder mehrerer Personen aus dem Kreis des Managements, der für die Überwachung Verantwortlichen, der Mitarbeitenden oder Dritter, wobei durch Täuschung ein ungerechtfertigter oder rechtswidriger Vorteil erlangt werden soll.

Zur Beantwortung der Frage nach den Ursachen für dolose Handlungen ist zu überlegen: Welche äußeren Umstände ermöglichen oder begünstigen dolose Handlungen und an welchen Indikatoren lassen sie sich erkennen?

Die Untersuchungen von Donald R. Cressey, der als Pionier der Erforschung von Wirtschafts- und organisierter Kriminalität gilt, in diesem Bereich stellen drei wesentliche Faktoren in den Vordergrund: Motivation, Gelegenheit und Rechtfertigung („fraud triangle“).

Eine wichtige Erkenntnis aus seiner Forschung ist, dass die sich gegenseitig bedingenden Faktoren gleichzeitig gegeben sein müssen, um die Wahrscheinlichkeit einer dolosen Handlung zu erhöhen. Dolose Handlungen gibt es in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. In Deutschland zählen Betrug, Korruption, Veruntreuung von Vermögenswerten, Insolvenzdelikte und Bilanzbetrug zu den häufigsten.

Die Anreize für solche Handlungen können sehr unterschiedlicher Natur sein, unter anderem Leistungsdruck, die Notwendigkeit der Finanzierung des privaten beziehungsweise teuren Lebensstils oder die Absicherung der eigenen Machtposition und monetärer Interessen.

Unterstützung durch die Forensiker

Vor dem Hintergrund der Überlegungen dieser Untersuchungen beginnt die Unterstützung der Forensiker im Rahmen der Planungsphase der Jahresabschlussprüfung mit der Einschätzung potenzieller Fraud-Risiken für das Unternehmen. Dazu erfolgt die Identifizierung von Fraud-Risikofaktoren, sogenannter Red Flags, im Unternehmen. Auf diese Weise werden potenzielle Umstände und Indikatoren identifiziert, die dolose Handlungen im Unternehmen begünstigen beziehungsweise zu wesentlichen Fehlern aufgrund von dolosen Handlungen im Jahresabschluss führen können. In Zusammenarbeit mit dem Prüfungsteam wird eine Analyse des wirtschaftlichen und industriellen Umfeldes (Business Riks) durchgeführt. Hintergrundrecherchen (Business Intelligence & Research), die Suche nach negativer Presseberichterstattung (Adverse Media Screening) sowie Geschäftspartnerrisikoanalysen (Third-Party Risk Assessments), die sich aus umfangreichen Quellen speisen, werden als Unterstützung bei der Identifizierung potenzieller Risiken eingesetzt.

Neben der Verwendung von Ergebnissen aus analytischen Prüfungshandlungen werden von den Forensikern auch IT-gestützte Analysen eingesetzt, um große Mengen strukturierter und unstrukturierter Daten zu analysieren und in verwertbarer Form darzustellen. In Ergänzung werden Informationen zu allgemein bekannten Betrugsmustern sowie branchenspezifische Betrugsbeispiele und historische Entwicklungen zu den verschiedenen Betrugsarten zur Einschätzung der Fraud-Risiken herangezogen.

So identifizierte potenzielle Risiken werden mit der Expertise der Forensiker hinsichtlich Signifikanz und Relevanz vor dem Gesamthintergrund des Unternehmens bewertet.

Dazu gehören die Analyse des internen Kontrollsystems des Mandanten wie auch die Auswertung von Hinweisgebersystemen und Compliance-Management-Programmen. Auch forensische Interviews in Form von Befragungen verschiedener Personen helfen bei der Informationsgewinnung.

Die im Rahmen dieser Tätigkeiten gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Ausgestaltung des Prüfungsansatzes und der geplanten Vorgehensweise durch die Abschlussprüfer mit ein.

Die Forensiker stellen zur Unterstützung der Prüfungsteams weitere Möglichkeiten wie Fraud-Awareness-Trainings oder Analysen und Einschätzungen der Integritätskultur im Unternehmen zur Verfügung, um das Bewusstsein für potenzielle Fraud-Risikofaktoren zu erhöhen.

Weiterführende Hilfestellung zur Beantwortung von Fragen in Bezug auf Transaktionsrisiken wie Geldwäsche und Reputationsrisiken im Rahmen von Due-Diligence-Prozessen vervollständigen die Zusammenarbeit mit dem Prüfungsteam.

Im Rahmen von bereits festgestellten oder vermuteten Fraud-Fällen werden die Forensiker bei der Beurteilung des Sachverhalts und seiner potenziellen Auswirkungen herangezogen. Sie unterstützen das Unternehmen bei der Aufklärung des Sachverhalts oder führen eigene Untersuchungen durch.

Fazit

Die Einbindung der Forensiker und die Erweiterung der Jahresabschlussprüfung um eine forensische Sichtweise garantieren nicht die Aufdeckung aller potenziell dolosen Handlungen im Unternehmen, erhöhen jedoch die Wahrscheinlichkeit einer frühzeitigen Identifizierung entsprechender Risikofaktoren.
 

Co-Autor: Julia Kaesberg


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