Brüder mit ausgestreckten Armen, die auf einem Baumstamm gehen

Weshalb freiwillige CO2-Zertifikate mehr Kontrolle erfordern

Greenwashing oder sinnvoller Weg zur Klimaneutralität? Beides kann Unternehmen auf dem Voluntary Carbon Market begegnen.


Überblick

  • Freiwillige CO2-Kompensation bietet Unternehmen die Möglichkeit, Klimaschutz zu betreiben oder Klimaschutzstrategien abzurunden.
  • Doch der freiwillige Markt für CO2-Zertifikate ist nicht reguliert – das birgt Risiken.

Große Treibhausgasemittenten wie der Energiesektor oder die Luftfahrt sind dem Klimaschutz verpflichtet. Sie müssen am EU-Emissionshandel teilnehmen, also ein erkauftes CO2-Zertifikat pro ausgestoßene Tonne nachweisen. Der Handel unterliegt staatlicher Kontrolle, die Einnahmen daraus gehen in den Klima- und Transformationsfonds.

Daneben existiert – ergänzend oder für nicht betroffene Unternehmen an dessen Stelle – ein freiwilliger Markt für CO2-Zertifikate, der Voluntary Carbon Market. Wer beispielsweise seinen ökologischen Fußabdruck verbessern oder zusätzlich zu unternehmenseigenen Dekarbonisierungsmaßnahmen trotz nicht oder nur sehr schwer vermeidbarer Emissionen eine Netto-null-Emission erreichen möchte, erwirbt hier in der Regel CO2-Zertifikate zur Kompensation. Ein Beispiel sind waldbasierte CO2-Zertifikate. Diese haben zum Ziel, die Abholzung von Wäldern zu vermeiden, sie wieder aufzuforsten oder nachhaltiger zu bewirtschaften. Dadurch sollen die eigenen CO2-Emissionen ausgeglichen beziehungsweise weltweit das Treibhausgas CO2 reduziert werden. Denn Bäume wandeln mittels Photosynthese Kohlendioxid (CO2) um, behalten den Kohlenstoff (C) für den Stoffwechsel ein und geben den Sauerstoff (O2) wieder ab. Diese „Speicherung“ besteht allerdings nur temporär, denn wenn das Holz der Bäume verbrennt oder verfault, wird das CO2 wieder freigesetzt.



Im Zuge der steigenden Nachfrage entwickelt sich der Voluntary Carbon Market zu einem fragmentierten Markt, auf dem waldbasierte Kompensationszertifikate mit zum Teil unangemessen hohen Kompensationsversprechen und geringer Transparenz verkauft werden.



Dennoch kann der Erwerb waldbezogener Kompensationszertifikate auf dem freiwilligen Markt bei richtiger Anwendung ein durchaus geeignetes Instrument sein, um Wälder als lebenswichtige Ökosysteme zu schützen und die negativen Auswirkungen des eigenen Wirtschaftens auf das Klima zu verringern. Doch im Gegensatz zum verpflichtenden Emissionshandel unterliegen CO2-Zertifikate des freiwilligen Marktes keiner regulatorischen Kontrolle. Und das, obwohl ihre Entwicklung rasant ist: Laut einer Studie des Umweltbundesamtes stieg die Menge verkaufter und stillgelegter Zertifikate von 2017 bis 2020 von 22,1 Millionen Tonnen auf 43,6 Millionen Tonnen CO2. Stillgelegte Zertifikate sind an ein Projekt gebunden und können nach Erwerb nicht weiter gehandelt werden.

Im Zuge dieser steigenden Nachfrage entwickelt sich der Voluntary Carbon Market zu einem fragmentierten Markt, auf dem waldbasierte Zertifikate zur CO2-Kompensation mit zum Teil in der Werbung unangemessen hohen Kompensationsversprechen und geringer Transparenz verkauft werden. Wenn es schlecht läuft, wollen Unternehmen zwar Gutes zur Nachhaltigkeit tun, sehen sich aber am Ende mit dem Vorwurf des Greenwashing konfrontiert und machen sich dadurch angreifbar.

Mangel an Regulierung beim Emissionshandel erzeugt zusätzliche Risiken

Auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt haben sich einige große Standardsetzer etabliert, die auch als Offsetprogramme bezeichnet werden. Dahinter steht die Ermittlung der CO2-Reduktion, für die ein Projektentwickler einen Projektplan auf der Basis des gewählten Standards erstellt. Dieser Plan wird von einer dritten Seite validiert und auf Einhaltung der Bewertungsvorgaben des Standards fortlaufend in unterschiedlich großen Zeitabständen überprüft. Zum Offsetprogram gehört außerdem ein eigenes Register, in dem die Projekte gelistet werden. Verschiedene Handelsplattformen bieten sie zum Zertifikatkauf an.




Die angeblich geplante Abholzung eines Waldgebiets kann als Argument dienen, mit dem Schutzprojekt viele Bäume zu retten und hierfür Zertifikate zu verkaufen. Die in Aussicht gestellte zusätzliche CO2-Reduktion entspricht dann möglicherweise nicht der Realität.




Beim Greenwashing steckt der Teufel im Detail. Mit Kauf des CO2-Zertifikats wird die Kompensation auch dann im ökologischen CO2-Fußabdruck (Carbon Footprint) des Käufers berücksichtigt, wenn sie letztlich womöglich gar nicht erreicht wird, zum Beispiel weil Waldflächen durch Schädlingsbefall beschädigt oder durch andere Einflüsse zerstört wurden und die Bäume dadurch wieder Kohlendioxid an die Atmosphäre abgeben. In manche Offsetprogramme sind für dieses Risiko zwar Puffer in der Kalkulation integriert, das Ergebnis kann dennoch verfälscht sein.

 

Ebenso spielt die eventuelle Nutzung der Bäume nach Ende des Kompensationszeitraums eine Rolle. Denn bei der rückwirkenden Freisetzung von CO2 spielt es eine entscheidende Rolle, ob aus den Bäumen Pellets oder Baumaterialien werden. Die künftige Verwendung der Bäume beziehungsweise des Holzes und somit die mögliche Permanenz der Kompensation wird jedoch in der Regel nicht berücksichtigt.

 

Auch unrealistische Szenarien können das Bild verfälschen. Die angeblich geplante Abholzung eines Waldgebiets kann als Argument dienen, mit dem Schutzprojekt viele Bäume zu retten und hierfür umweltfreundliche Zertifikate zu verkaufen. Die in Aussicht gestellte zusätzliche CO2-Reduktion entspricht dann möglicherweise nicht der Realität.

Der Mangel an Regulierung des freiwilligen Marktes zur CO2-Kompensation zeigt sich unter anderem darin, dass kein übergreifendes Register existiert, in dem alle Zertifikate erfasst sind. Dabei könnte genau das Doppelverwendungen vermeiden. Wechselwirkungen mit anderen klimaneutralen Umweltschutzzielen wie Biodiversität oder mit weiteren sozialen Zielen werden teilweise ebenfalls nicht eingeschlossen. Da Anbieter auch von der Anzahl der verkauften Zertifikate profitieren, können daraus Interessenkonflikte resultieren.

 

Maßnahmen zur Verbesserung der freiwilligen CO2-Kompensation

 

Eines wird entsprechend deutlich: Damit der Handel für waldbasierte CO2-Zertifikate verlässlich und transparent wird, braucht er eine behördliche Aufsicht. Und es gibt weitere Maßnahmen, die die Stellung des Voluntary Carbon Market verbessern würden:

  • ein einheitlicher, evidenzbasierter Standard zur Messung der CO2-Reduktion, der Ausfallrisiko, Permanenz sowie das Äquivalenzprinzip bei der Bewertung prognostizierter Kompensation im Vergleich zur Ex-post Zertifizierung phasengleicher Kompensation (nach der tatsächlichen Minderung) betrachtet
  • eine Überprüfung und Durchsetzung der Standards durch unabhängige und fachkundige Akteure
  • Verbesserung der Messbarkeit der CO2-Reduzierung durch Satelliten oder LIDAR-Systeme (Light Detection and Ranging) sowie allgemein durch den Einsatz und die Weiterentwicklung von Technologien
  • Beachtung der Qualität von Zertifikaten und der Seriosität der Projektinitiatoren seitens der Unternehmen und Investoren und ggf. Nutzung von Beratung für die Kaufentscheidung
  • ein kontinuierliches Monitoring der Kompensationen

 

Auch wenn der freiwillige Markt für CO2-Zertifikate ein Stück weit dem Wildwuchs zum Opfer fällt, bleibt er eine gute Idee und eine gute Basis für Unternehmen, um eigene Klimaschutzmaßnahmen anzugehen oder abzurunden. Neben dem Verbesserungsbedarf von regulatorischer Seite – hier laufen gerade Initiativen der EU sowie der Vereinten Nationen – hängt es vor allem von der individuellen Herangehensweise ab, ob auch unter den noch bestehenden Bedingungen das beste Ergebnis für die Umwelt auf diesem Markt erzielt werden kann.

Fazit

Mit freiwilligen CO2-Zertifikaten können Unternehmen Treibhausgasemissionen ausgleichen. Doch im Gegensatz zum verpflichtenden Emissionshandel ist dieser Markt nicht reguliert; gerade die Verlässlichkeit von waldbasierten CO2-Zertifikaten zur Kompensation von Treibhausgasen ist verbesserungswürdig. Es lohnt ein prüfender Blick, um Klimaschutz und nicht Greenwashing zu betreiben.

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