„Der anhaltende Fachkräftemangel stellt eine der größten Herausforderungen für den österreichischen Mittelstand dar. Trotz intensiver Bemühungen der Unternehmen, qualifiziertes Personal zu rekrutieren, besteht die Lücke weiterhin und hat sich sogar vergrößert. Dies beeinträchtigt nicht nur das Wachstum und die Innovationsfähigkeit unserer Betriebe, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung des Landes. Es ist entscheidend, dass wir sowohl auf politischer als auch auf unternehmerischer Ebene effektive Strategien entwickeln, um Lösungen zu finden und die Zukunftsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft zu sichern“, so Erich Lehner, Managing Partner Markets bei EY Österreich, und verantwortlich für den Bereich Mittelstand.
Geringes Wachstum der Beschäftigung
Nur mehr jeder fünfte Betrieb (21 %) in Österreich will in den kommenden Monaten zusätzliche Beschäftigte einstellen – das sind genauso viele wie vor einem Jahr. Allerdings ist der Anteil derer, die Stellen streichen wollen, gegenüber Jänner 2023 spürbar von 15 auf 18 Prozent gestiegen. So hoch war der Prozentsatz seit 2009, dem Höhepunkt der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, nicht mehr. Damals wollten sogar 27 Prozent der Unternehmen Stellen streichen. Demnach sind hier nur mehr leichte Beschäftigungsimpulse zu erwarten. Unterm Strich planen lediglich drei Prozent der Betriebe zusätzliche Stellen zu schaffen. Eine ähnlich geringe Beschäftigungsdynamik wurde zuletzt 2013 verzeichnet (4 %), selbst im Corona-Krisenjahr 2021 lag der Saldo noch höher als aktuell (9 %).
Die meisten neuen Stellen wollen Unternehmen in Vorarlberg (30 %), Wien (24 %) und Kärnten (21 %) schaffen. Am wenigsten neue Arbeitsplätze sind im Burgenland (10 %) geplant.
Fachkräftemangel verursacht bei 45 Prozent der Unternehmen Umsatzeinbußen
In Österreich gestaltet sich der Fachkräftemangel auch wirtschaftlich herausfordernd: Knapp die Hälfte aller Unternehmen (45 %) verzeichnet Umsatzeinbußen infolge der Personalnot – genauso viele wie vor einem Jahr. Allerdings ist der Anteil jener, die erhebliche Einbußen von mehr als fünf Prozent des Umsatzes beklagen, von 16 auf 19 Prozent gestiegen. Besonders ausgeprägt sind die Folgen des Fachkräftemangels auf den Umsatz im Gesundheitsbereich (69 %), im Tourismus (50 %) und in der Industrie (40 %).
Fachkräftemangel in vielen Bundesländern stark ausgeprägt
Unternehmen in ganz Österreich – unabhängig vom Bundesland – fällt es schwer, derzeit neue und ausreichend qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Immer mehr Betriebe spüren die Engpässe, die sich seit vielen Jahren bemerkbar gemacht haben, akut. Dennoch zeigen sich regionale Unterschiede: Am ausgeprägtesten ist der Fachkräftemangel bei Unternehmen in Tirol (53 % haben „große“, 27 % „eher große“ Probleme) und Oberösterreich (52 % fällt es „sehr schwer“; 34 % „eher schwer“ Personal zu finden). Auch in der Steiermark (50 % bzw. 33 %) sowie in Wien (48 % bzw. 31 %) gestaltet sich die Suche nach guten Mitarbeiter:innen herausfordernd. Am besten ist die Situation noch in Niederösterreich und im Burgenland – doch auch hier klagen mehr als 30 Prozent über große Schwierigkeiten bei der Fachkräfterekrutierung.
„Der Fachkräftemangel wird zum größten Risiko für Unternehmen und ist für viele Unternehmen existenzbedrohend. Wir müssen jetzt gezielte Maßnahmen ergreifen, um die Ausbildung und Weiterbildung zu fördern, Anreize für Fachkräfte zu schaffen und vielleicht auch neue Wege in der Arbeitsmigration zu beschreiten. Der Fachkräftemangel ist ein komplexes Problem, das eine vielschichtige und nachhaltige Strategie erfordert“, so Lehner.
Steigende Rekrutierungskosten belasten österreichische Unternehmen
Gut jedes zweite heimische Unternehmen (51 %) gibt an, dass die Such- und Rekrutierungskosten für das eigene Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren gestiegen sind. Die Kostensteigerung liegt bei durchschnittlich acht Prozent. Besonders Unternehmen im Bereich Gesundheit und Life Science (74 %) und im Sektor Immobilien, Baugewerbe und Bauhandel (55 %) sind von den vermehrten Ausgaben betroffen. Am wenigsten die Betriebe im Transport- und Verkehrssektor (35 %). Als wichtigsten Grund für den Fachkräftemangel in österreichischen Unternehmen machen die befragten Betriebe die mangelnde Bereitschaft unter Bewerber:innen bzw. Arbeitskräften aus, Vollzeit zu arbeiten (58 %). Ein weiterer Grund ist für sie die mangelnde Ausbildung und Qualifikation der Bewerber:innen (47 %). Erst auf Rang drei der wichtigsten Gründe folgt der demografische Wandel, also die Alterung der Bevölkerung (36 %).
Gut drei von zehn Betrieben (31 %) nennen als einen wichtigen Grund für den aktuellen Fachkräftemangel eine unzureichende Unterstützung seitens der Regierung. Ein zu hohes Arbeitslosengeld bzw. eine zu geringe Arbeitsmoral ist hingegen nur für eine kleine Minderheit von drei Prozent der Unternehmen ein maßgeblicher Grund.
Wunsch an die Bundesregierung: Bildungsförderung für qualifizierte Fachkräfte
92 Prozent der mittelständischen Unternehmen setzen inzwischen Maßnahmen gegen die sich verschärfende Problematik des Fachkräftemangels ein. Am häufigsten nutzen sie eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und die Intensivierung der Aus- und Weiterbildung (jeweils 56 %). Fast jeder zweite Betrieb (46 %) bietet Bewerber:innen attraktive Zusatzleistungen und Benefits an und jeder dritte Betrieb (33 %) kooperiert mit Bildungseinrichtungen. Höhere Löhne werden hingegen von kaum einem Unternehmen als Strategie der Wahl genutzt: Lediglich ein Prozent der Betriebe greift auf diese Maßnahme zurück.
Heimische Betriebe erwarten auch von der Regierung verstärkte Maßnahmen: Mehr als jedes zweite österreichische Unternehmen wünscht sich von der Regierung eine Bildungsförderung für qualifizierte Fachkräfte (60 %) bzw. eine verstärkte Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen (52 %). Immerhin 43 Prozent der befragten Unternehmen wünschen sich eine gezielte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Gut jeder vierte Betrieb (28 %) wünscht sich die Förderung von MINT-Fächern. Lediglich jeder fünfzigste befragte Mittelständler gibt an, dass sich nichts ändern müsse und die Rahmenbedingungen passen würden.