Frau packt ihre Lampe aus

Plattformökonomie im Handel: ein Survival-Guide


Plattformen sind im Einzelhandel nicht mehr wegzudenken. Wie können bereits etablierte Player mithalten?

Wer heute fernsieht, der streamt. Wer einkauft, der füllt den digitalen Warenkorb. Wer eine Reise bucht, der tut das online. Wer ein Taxi bestellt, der sucht nach einer Mitfahrgelegenheit via App. Ganz klar: Plattformen sind aus dem Leben im digitalen Zeitalter nicht mehr wegzudenken. Sie brechen die Grenzen zwischen Branchen auf und verändern diese grundlegend — vor allem die Handel- und Konsumgüterindustrie. Die zentrale Frage ist: Wie können bereits etablierte Player mithalten?
 

Es begann mit einem Joint. 1972 führten Studenten der Stanford Universität und des MIT den ersten Onlineverkauf der Welt durch. Das Produkt des Begehrens war eine kleine Menge Marihuana. Seither fand eine regelrechte Transformation der Geschäftsmodelle aller Branchen, vor allem aber der des Handels und der Konsumgüterindustrie statt. Die sogenannten Plattformunternehmen verdrängen etablierte Wettbewerber, verschieben die Grenzen zwischen bestehenden Branchen und führen sie zu eigenen Ökosystemen zusammen. Im Fachjargon spricht man von „Plattformökonomie“.
 

Viele der etablierten Händler und Konsumgüterproduzenten stellt das vor komplexe Fragestellungen. Hat man noch keine genaue Strategie, wird das schnell zum Risiko. Wer nicht auf das neue Umfeld reagiert, wird die aktuelle Marktposition kaum verteidigen oder gar seinen Marktanteil weiter ausbauen können. Unser Survival-Guide fasst die wichtigsten Schritte zum Bestehen im neuen Zeitalter zusammen:
 

Klare strategische Positionierung als Grundvoraussetzung

Am Anfang steht eine schwierige Entscheidung. Die Handelslandschaft wird durch Online-Angebote vielfältiger, gleichzeitig kämpfen die Händler mit der abnehmenden Loyalität und Frequenz der Konsumenten. Doch nur wer Kunden langfristig binden kann, wird sich den wirtschaftlichen Erfolg sichern. Es stellt sich die Frage, wie die Kunden zu loyalen Fans und potenziellen Werbeträgern entwickelt werden können. Das EY-Parthenon-Performance-Ranking zeigt, dass Händler eine bewusste strategische Entscheidung treffen müssen: Wollen sie „everybody‘s darling“ sein, allen gefallen und sich mit den etablierten Big Players oder großen Online-Plattformen messen? Oder grenzen sie sich bewusst ab, setzen auf Authentizität und sind der „hero“ für eine bestimmte Zielgruppe oder Shopping-Mission? Unsere Analyse hat eindeutig gezeigt, dass sich jene Händler durchsetzen, die sich klar für einen der beiden Wege entscheiden. Sie sind erfolgreicher und wachsen im Umsatz doppelt so stark wie Unternehmen ohne klares Profil.
 

Aus diesem Grund ist — unabhängig davon, für welche weiteren Optionen Sie sich später entscheiden - eine klare strategische Positionierung die Basis aller weiteren Überlegungen. Zu Beginn steht die Frage, warum der Kunde bei Ihnen kaufen soll. Von der Sortimentskompetenz über den Preisvorteil, das Produktportfolio, die spezifischen Beratungs- und Serviceleistungen, die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit bis hin zum mitverkauften Erlebnis — die Dimensionen sind vielfältig und es bedarf sorgfältiger Überlegungen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.
 

Sobald die Positionierung steht, widmet man sich der Kanalstrategie also der Frage, wie die Endkunden erreicht werden sollen. Unterschiedliche Modelle sind erfolgversprechend, denn obwohl sich zunehmend Omnichannel-Konzepte durchsetzen, gibt es eine Reihe von erfolgreichen Online-Playern ebenso wie gewinnbringende, primär filialbasierte Modelle. Die Wahl des richtigen Konzepts hängt stark von der Branchentypologie, der strategischen Positionierung und den Erwartungen der Zielgruppe ab.
 

Drei strategische Optionen für die weitere Entwicklung
 

Sobald eine klare Positionierung festgelegt wurde, gibt es verschiedene Optionen zur weiteren Entwicklung, die wir in drei Typen zusammengefasst haben:

Typ 1: der Autarke

Vertikale Integration entlang der gesamten Wertschöpfungskette steht für den Autarken im Fokus. Vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Vertrieb hat er die gesamte Wertschöpfung innerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen vereint. Dadurch werden Zwischenhändler überflüssig, die Kosten beispielsweise für die Beschaffung sind insgesamt geringer und der Preis für den Endkunden attraktiver. Der direkte Zugang zum Konsumenten muss genutzt werden, um ein hohes Maß an Einzigartigkeit zu erreichen und um Kunden zu Fans zu machen. Starke Eigenmarken spielen dabei oftmals eine zentrale Rolle. Die Produkte punkten meist durch Funktionalität, Design und Preisvorteil. Die insgesamt starke Marktstellung des Autarken ermöglicht es ihm mitunter sogar, auch ohne Nutzung von Plattformen erfolgreich zu agieren, wie Beispiele aus dem Fashion- oder auch dem Möbelhandelsbereich zeigen. Jedoch steht dieser Typ nur wenigen großen Branchenplayern offen, die ihr Geschäftsmodell auch international skalieren können.

Typ 2: der Kooperative

Der Kooperative bewegt sich in einem Umfeld, in dem bestehende Plattformen und Ökosysteme bereits eine dominante Marktstellung aufgebaut haben. Investitionen in ein eigenes Netzwerk sind daher wenig erfolgversprechend und zudem riskant. Für diesen Typ ist eine Kooperationsstrategie die vielversprechendste Option. Schon die Teilnahme an übergreifenden Kundenbindungsprogrammen kann ihm den Zugang zu einer größeren Community ermöglichen. Die Kooperationen mit Plattformen bzw. Ökosystemen sind eine effektive und kostengünstige Möglichkeit, die eigene Marktdurchdringung voranzutreiben und einen Wachstumsschub zu generieren. Allerdings ist bei Nutzung bestehender Plattformen immer darauf zu achten, dass keine zu großen Abhängigkeiten entstehen. Ein ausgewogener Mix ausgewählter Vertriebs- und Marketingkanäle ist in der Regel nachhaltig erfolgreich.

Typ 3: der Entwickler

Haben sich im eigenen Marktsegment bereits Plattformen etabliert, kann der Aufbau einer eigenen Plattform mit umfangreichen Investitionen und hohem Risiko verbunden sein. Trotzdem kann der Typ „Entwickler“ auch in diesem Umfeld erfolgreich operieren — insbesondere dann, wenn er sich auf Nischen und Spezialbereiche fokussiert. Das Risiko für den Aufbau lässt sich zudem auch streuen: durch Partnerschaften und Allianzen mit anderen Händlern und Produzenten. Diese alternativen Ökosysteme können durch Bündelung der Kompetenzen die Kundenerwartungen besser erfüllen und einen differenzierbaren Mehrwert bieten. Aufgrund der hohen Eintrittsbarrieren der spezifischen Anforderungen und der in der Regel hohen Investitionskosten steht die Option, eine eigene Plattform bzw. ein eigenes Ökosystem zu entwickeln, nur wenigen Unternehmen offen.

 

Plan B: der Exit

Wird keine der strategischen Optionen verfolgt und kann mittel- bis langfristig keine klare Positionierung erreicht werden, sollte ein frühzeitiger Verkauf des Unternehmens oder Teilen davon bei maximalem Unternehmenswert in Erwägung gezogen werden. Alternativ kann das Unternehmen aber auch rechtzeitig in ein bestehendes Ökosystem eingegliedert werden.

Fazit

Plattformen sind in der Handel- und Konsumgüterbranche auf dem Vormarsch. Es handelt sich um keinen vorübergehenden Trend, sondern um eine regelrechte Neuordnung der Wirtschaft mit partiell disruptiven Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund ist es heute für jedes einzelne Unternehmen notwendig, das eigene Geschäftsmodell und die strategische Positionierung des Unternehmens zu überdenken, damit der Übergang in die neue, digitale Plattformordnung gelingt.


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