Unlängst hatte ich die Universität abgeschlossen und war nun bereit, an meiner Karriere zu arbeiten. Alles war neu, das moderne Büro mit den Glaswänden, die jungen Kolleg:innen, die sich mit mir das Zimmer teilten, mein eigener Laptop und der große Arbeitsplatz samt Bildschirm. Meinen Bürosessel hatte ich schon etwas eingesessen und der Großteil von den vielen neuen Namen war mir geläufig, auch wenn ich den einen oder anderen manchmal noch verwechselte. Ich wartete ungeduldig darauf, dass es mit den großen Projekten losgehen würde.
Ich kam also gerade aus dem Büro meines Projektmanagers, wo er mir von einer spannenden Herausforderung eines unserer Kunden erzählt hatte. Meine Hände zitterten leicht und ich konnte meine Vorfreude kaum verbergen – das war mein erstes großes Projekt! Ich beeilte mich, an den Laptop zu kommen, und konnte es kaum erwarten, mit den Recherchen zu beginnen: Was war die genaue Geschäftstätigkeit des Unternehmens? Wie stand es um seine Finanzen? Und mit welchen Mitbewerber:innen konkurrierte es um seine Kund:innen? Mein Wissensdurst war riesig und ich hämmerte in die Tasten. „In zwei Tagen sind wir dann vor Ort“, teilte mir mein Projektmanager mit. Wir sollten dort die Geschäftsführung kennenlernen und die Eckdaten des Projekts besprechen. Endlich! Jetzt geht es wirklich los, dachte ich erneut und trieb die Recherchen voran.
Der Tag des Kick-offs kam schnell und ich musste zügig los. Hastig packte ich meine Laptoptasche und sprang eilig ins Auto, um den Zug nicht zu verpassen. Mein neuer Anzug saß gut, die Krawatte war gebunden, wenn auch noch etwas ungeübt. Ich begutachtete meine Schuhe ein letztes Mal, ja, sie waren sauber. Immerhin wollte ich bei meinem ersten offiziellen Termin einen guten Eindruck sowohl bei meinem Vorgesetzten als auch beim Kunden erwecken. Am Bahnhof angekommen erwartete mich schon mein Projektmanager gemeinsam mit seiner Partnerin. Es musste alles perfekt laufen!
Ich war gut vorbereitet, meine Nachforschungen zu den Unternehmenskennzahlen hatte ich sehr gewissenhaft durchgeführt und die Ergebnisse mit meinem Projektmanager besprochen. Am Vorabend hatte ich mir die Unterlagen noch einmal ganz genau durchgelesen, um für den Termin gerüstet zu sein. Trotzdem, und obwohl ich normalerweise ein ruhiger Typ bin, war ich nervös. Über meinen Laptop hinweg schaute ich aus dem Fenster des Zuges und sah die Landschaft vorbeiziehen. Das beruhigte mich ein wenig, konnte mir die Aufregung aber nicht ganz nehmen.
Zwei Stunden später kamen wir beim Unternehmen unseres Kunden an und wurden vom Empfang sogleich zu einem großen Meetingraum geleitet. Jeden Moment war es jetzt wirklich so weit, die Personen, die wir treffen sollten, waren sicherlich schon auf dem Weg. Ich schaute mich um und suchte mir gerade einen Platz an dem hölzernen Tisch, als die Tür aufging und drei Männer höheren Alters den Raum betraten. Sie hatten einen sehr formellen und gepflegten Auftritt und kamen zur Begrüßung auf uns zu. Erst auf die Partnerin, dann auf den Projektmanager und schließlich war ich an der Reihe. Mir schwirrten lauter Fragen durch den Kopf: Waren meine Schuhe wirklich sauber? Wie sollte ich die Hände schütteln – kurz und kräftig oder freundschaftlich und warm? Ich entschied mich für Ersteres und nahm eine aufrechte Haltung ein, so fühlte ich mich selbstsicherer.
„Hallo, Franz“, stellte sich der erste Herr mit klarer und energischer Stimme vor und reichte mir betont förmlich die Hand. Bestimmt der Geschäftsführer, jetzt bloß nichts falsch machen, dachte ich. Mit einem „Hallo“ hatte ich aber nicht gerechnet und schon gar nicht damit, dass er mir gleich seinen Vornamen nannte, obwohl wir uns noch gar nicht kannten. Während seine Kollegen in einen Small Talk mit meinem Team verwickelt waren, antwortete ich schließlich einfach mit: „Hallo, Günter.“ Er reagierte verdutzt. Auch die anderen Anwesenden waren verstummt und schauten zu mir herüber. Da wurde es mir mulmig – irgendetwas stimmte hier nicht.
Wir tauschten Visitenkarten und setzten uns an den Tisch in der Mitte des Raumes, das Meeting startete. Ich ordnete meine Unterlagen vor mir, legte die Visitenkarten daneben und studierte sie während der ersten Wortwechsel.
Als ich bei der letzten Karte ankam, weiteten sich meine Augen und mein Magen zog sich zusammen. Franz war nicht sein Vorname gewesen, wurde mir jetzt schlagartig klar, sondern sein Nachname. Wie peinlich! Wie hatte ich das nicht bemerken können? Ich erahnte, wie unhöflich meine lockere Begrüßung angekommen sein musste. Noch dazu hatten es alle gehört, und das Schlimmste: Die Verabschiedung hatten wir noch vor uns. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Meine Konzentration war verloren, ich konnte dem Meeting kaum mehr folgen. Gefühlt lagen die Augen des Geschäftsführers ständig auf mir, ungläubig, mit welch ungesittetem jungen Berater sie es hier zu tun hatten. Und was dachten sich erst meine Vorgesetzten? In meinem Kopf drehte sich alles nur noch darum, wie ich den verpatzten ersten Eindruck wieder gutmachen konnte – sofern das überhaupt noch möglich war.
In die Flut meiner Gedanken vertieft schien mir das Meeting endlos lange zu dauern. Doch es kam an sein Ende und damit auch der Moment, sich zu verabschieden. Geschlagen und beschämt murmelte ich ein „Auf Wiedersehen“, während ich mich bei den drei Personen mit einem leichten Händedruck verabschiedete.
Mein Team und ich verließen das Unternehmen und fuhren wortkarg mit dem Zug nach Hause. Keiner erwähnte meinen Ausrutscher, was die Situation für mich nicht verbesserte. Gleichzeitig wollte ich ihn vor der Partnerin aber auch nicht ansprechen, ich hoffte, dass sie ihn vielleicht doch überhört hatte.
Geknickt fuhr ich vom Bahnhof nach Hause, als mich mein Projektmanager anrief. „Günter, du warst so ruhig bei der Heimfahrt, was ist los?“, fragte er. Ich schilderte ihm meine Einschätzung zu meinem Ersteindruck und bat ihn um Ideen, wie ich die ganze Situation wieder ausbügeln könnte. Da lachte er und erwiderte: „Interessante Situation, in die du dich da gebracht hast. Aber mach dir keine großen Gedanken, es gibt wirklich Schlimmeres.“ Was auch immer er mit „Schlimmeres“ gemeint hatte, für mich war der Tag an Peinlichkeit nicht zu übertreffen gewesen. Ändern konnte ich die Situation allerdings auch nicht mehr.