Die Vergabe von Krediten in der Eurozone und in Deutschland wird in diesem und im kommenden Jahr voraussichtlich deutlich unter das Niveau der Vorjahre zurückfallen: Laut EY European Bank Lending Forecast wird das Kreditvolumen in der Eurozone im Jahr 2023 nur noch um 2,1 Prozent wachsen – nicht einmal halb so stark wie im Vorjahr. 2022 hatte das Kreditvolumen noch um 5,0 Prozent zugelegt und damit das stärkste Plus seit vierzehn Jahren erreicht. Im kommenden Jahr ist sogar nur noch ein Anstieg um 1,7 Prozent zu erwarten.
In Deutschland wird die Abschwächung der Kreditvergabe voraussichtlich sogar noch kräftiger ausfallen: Nach einem Wachstum um 6,9 Prozent im vergangenen Jahr wird für 2023 ein Plus von 2,8 Prozent und für 2024 sogar nur noch ein Wachstum um 0,3 Prozent prognostiziert.
Hauptgrund für die rückläufige Kreditvergabe ist die aktuelle Konjunkturschwäche: Die Eurozonen-Wirtschaft befand sich im 1. Quartal 2023 offiziell in einer Rezession, kämpft mit einer nach wie vor hohen Inflation und einem beispiellosen Anstieg der Zinssätze.
Ab 2025 wird die Kreditnachfrage aber wieder kräftig steigen, so die EY-Prognose – sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Eurozone. Dafür sorgen sowohl das Abklingen des globalen Energiepreisschocks als auch die erwarteten Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank im Jahr 2024. Beide Entwicklungen werden die Ausgaben ankurbeln, das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen stützen und die Nachfrage nach Krediten erhöhen, so die EY-Prognose, die auf Konjunkturprognosen und Daten der Europäischen Zentralbank beruht.
Ralf Eckert, Managing Partner Financial Services Deutschland bei EY, kommentiert: „Die Rahmenbedingungen bleiben zwar sehr schwierig – aber immerhin bedeutet der aktuelle Rückgang der Energiepreise, dass die wirtschaftlichen Aussichten sich wieder etwas aufgehellt haben. Die schlimmsten Szenarien sind nicht eingetreten, eine massive Energiekrise konnte abgewendet werden. Allerdings kämpfen Haushalte und Unternehmen in ganz Europa weiterhin mit einer hohen Inflation. Und der Krieg in der Ukraine sorgt weiterhin für erhebliche Spannungen. Daher ist es verständlich, dass sich die Nachfrage nach Krediten – etwa um ein Haus zu kaufen, in den Urlaub zu fahren oder teure Anschaffungen zu tätigen – erheblich abschwächt.“
Starker Rückgang bei Immobilienkrediten – besonders in Deutschland
Ein besonders starker Rückgang ist bei Immobilienkrediten zu erwarten, deren Bestand in den Büchern der Banken in der Eurozone im vergangenen Jahr noch um 4,9 Prozent wuchs – in Deutschland lag das Plus sogar bei 5,3 Prozent. Im laufenden Jahr wird hingegen ein Rückgang des Wachstums auf 1,4 Prozent in der Eurozone und 0,5 Prozent in Deutschland erwartet. „In Deutschland fällt die Abschwächung besonders stark aus, weil hierzulande die vielfältigen Auswirkungen der Krise auch besonders stark zu spüren sind“, sagt Eckert. „So wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich nicht wachsen, und die Abkühlung auf dem Immobilienmarkt ist in Deutschland besonders heftig.“
Im ersten Quartal war das Volumen neuer Wohnimmobilienkredite in Deutschland bereits massiv – um 52,0 Prozent – gegenüber dem sehr starken Vorjahr eingebrochen. Mit einem weiteren Rückgang im Jahresverlauf wird angesichts der Zinsentwicklung gerechnet: „Steigende Hypothekenzinsen, gestiegene Baupreise und gleichzeitig sinkende verfügbare Einkommen bei einer gleichzeitigen Verschärfung der Kreditvergabekriterien – all das wirkt sich derzeit sowohl auf die Nachfrage als auch auf die Verfügbarkeit von Hypotheken aus“, so Eckert. „Und vorläufig ist keine Trendwende absehbar. Im Gegenteil: Im Verlauf dieses Jahres wird die EZB die Zinsen voraussichtlich weiter erhöhen. Damit dürfte sich die Lage eher noch verschärfen. Erst im kommenden Jahr rechnen wir mit sinkenden Zinsen.“
Bestand an Unternehmenskrediten 2024 sogar rückläufig
Der Bestand an Unternehmenskrediten in den Eurozonen-Ländern war im vergangenen Jahr noch um 5,5 Prozent gestiegen – im laufenden Jahr wird nur noch mit einem Wachstum um 3,0 Prozent gerechnet, im kommenden Jahr wächst der Bestand sogar nur noch um 0,9 Prozent – in Deutschland und Frankreich wird der Bestand an Unternehmenskrediten sogar voraussichtlich sinken: um jeweils 0,4 Prozent. Erst 2025 soll die Kreditvergabe an Unternehmen wieder anziehen (plus 3,5 Prozent in der Eurozone) und 2026 ein Wachstum von 4,5 Prozent erreichen, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen wieder verbessern. „Die Kreditvergabe an Unternehmen wird derzeit stark von wirtschaftlicher Unsicherheit, Marktvolatilität und hohen Energiepreisen beeinflusst“, betont Eckert. „Es spricht jedoch einiges dafür, dass sich die Lage bis 2024 beruhigt und die Nachfrage nach Krediten zur Finanzierung von Investitionen dann wieder steigt.“
Verbraucherkredite weniger stark nachgefragt
Die EY-Studie prognostiziert, dass der Bestand an Verbraucherkrediten in der gesamten Eurozone im Jahr 2023 um 2,0 Prozent und im Jahr 2024 um 1,9 Prozent wachsen wird – eine geringe Wachstumsdynamik im Vergleich zu den Vor-Pandemie-Standards, als das Wachstum durchschnittlich 5,0 Prozent betrug. Für Deutschland wird ein Anstieg der Verbraucherkredite um gerade einmal 0,9 Prozent prognostiziert. Der nach wie vor relativ starke Arbeitsmarkt und eine – auch dank sinkender Inflation – stetige Erholung des Verbrauchervertrauens dürften allerdings die künftige Nachfrage nach Verbraucherkrediten stützen, so dass sich in der Eurozone das Kreditwachstum im Jahr 2025 auf 3,9 Prozent beschleunigen wird. Für Deutschland wird ein Anstieg um 3,1 Prozent veranschlagt.
Leichter Anstieg der Kreditausfälle erwartet
Die schwache Konjunktur dürfte zu einem Anstieg der notleidenden Kredite (Non Performing Loans, kurz: NPL) führen, deren Anteil im vergangenen Jahr bei gerade einmal 1,8 Prozent lag. Für 2023 wird mit einem Anstieg auf 2,6 Prozent und für 2024 sogar auf 3,9 Prozent gerechnet. Zum Vergleich: Die Quoten notleidender Kredite erreichte 2013 mit 8,4 Prozent einen Höchststand.
Für Spanien und Italien werden im Jahr 2023 mit 4,2 bzw. 4,4 Prozent die höchsten NPL-Quoten prognostiziert, was zum Teil auf das hohe Volumen an variabel verzinslichen Hypotheken in beiden Märkten zurückzuführen ist. In Deutschland wird der Anteil notleidender Kredite voraussichtlich mit 1,5 Prozent im laufenden Jahr und 2,1 Prozent im kommenden Jahr auf einem relativ niedrigen Niveau bleiben. Dank einer strengeren Regulierung und einer Verschärfung der Kreditvergabekriterien nach der weltweiten Finanzkrise werden sich die Auswirkungen des Wirtschaftsabschwungs nach Einschätzung Eckerts in Grenzen halten: „Zwar werden die Kreditausfälle vorübergehend steigen – die Auswirkungen auf die Bankbilanzen werden aber voraussichtlich deutlich geringer ausfallen als inder Finanzkrise. Und es spricht viel dafür, dass sich die Situation im Verlauf des Jahres 2024 wieder verbessern wird.“