Neugieriges Kind schaut auf eine gezeichnete Rakete an der Wand

„In der Raumfahrt steckt immenses Potenzial für den Mittelstand“

Die Rocket Factory Augsburg (RFA) will den New-Space-Markt erobern – und bietet damit auch dem Mittelstand neue Wachstumschancen.


Überblick

  • Die Rocket Factory Augsburg (RFA) will nach dem Henry-Ford-Prinzip Raketen so preiswert wie Autos herstellen und mit seinen dreistufigen Kleinraketen den New-Space-Markt erobern.
  • Der Weltraumsektor wird kommerzieller. Private Kapitalgeber investieren Milliardenbeträge in die neuen Technologien. Deutschland braucht hier mehr Risikobereitschaft.
  • Die Raumfahrt ist eine Zukunftstechnologie mit riesigem Wachstumspotenzial auch für mittelständische Unternehmen. Es kommt alles darauf an, dass Deutschland den Anschluss nicht verpasst.

Jörn Spurmann von der Rocket Factory Augsburg (RFA) spricht im Interview über preiswerte Trägerraketen, den „War for Data“ im All und die Bedeutung, die die Weltraumtechnologie für den Standort Deutschland hat. Und er verrät, welche großen Chancen „New Space“ mittelständischen Unternehmen bietet.

Die Rocket Factory Augsburg ist 2018 als Spin-off der international agierenden Augsburger Weltraumschmiede MT Aerospace an den Start gegangen. Was war der Anlass für diese Neugründung?

Jörn Spurmann: MT Aerospace gehört zu den drei führenden europäischen Raumfahrt- und Technologieunternehmen und steuert – pointiert gesagt – die Hälfte aller Komponenten für den Bau der Ariane-Raketen bei. Das brachte uns auf die Idee, selbst eine komplette Rakete zu entwickeln: Wenn wir schon die Hälfte einer Rakete konstruieren, dann können wir auch eine vollständige bauen. So gründeten wir 2018 die Rocket Factory. Wir haben uns von Anfang an bewusst wie ein Start-up aufgestellt, um möglichst flexibel, frei von vorgegebenen Strukturen und auch kostengünstig arbeiten zu können.

Sie haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, nach dem Henry-Ford-Prinzip preisgünstige Raketen wie Autos zu bauen. Wie können wir uns das vorstellen? Was machen Sie anders als der Wettbewerb?

Spurmann: Henry Ford hat gesagt, dass jeder, der bei ihm am Band steht, sich auch ein Auto leisten können muss. Wenn das Autofahren die Faszination der Menschen im 20. Jahrhundert war, dann ist es die Weltraumfahrt für die Menschen im 21. Jahrhundert. Wir wollen Nutzlasten wie beispielsweise Satelliten aller Größen günstig, präzise und flexibel in den Orbit transportieren und damit den Zugang zum All demokratisieren. Dazu müssen die Trägerraketen preiswert hergestellt werden. Dies wollen wir dadurch schaffen, dass wir – wie Henry Ford – die Raketen am Fließband produzieren und dabei Massenkomponenten beispielsweise aus der Automobilindustrie einsetzen, um so die Preise massiv zu senken. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesem Konzept auf dem richtigen Weg sind.

Jörn Spurmann_CCO

Die meisten Investitionen in den Weltraumsektor kommen nach wie vor von öffentlichen Auftraggebern wie der NASA oder ESA. Aber es gibt immer mehr private Player. Wohin geht die weitere Reise?

Spurmann: Der Trend geht ganz klar hin zu privaten Investoren und damit verbunden hin zu kommerziellen Geschäftsmodellen. Elon Musk mit seinem SpaceX- und Richard Branson mit seinem Virgin-Galactic-Projekt sind wohl die schillerndsten Beispiele dafür. Dahinter steckt zum einen die unglaubliche Faszination, die der Weltraum auf uns Menschen ausübt. Zum anderen ist aber auch klar, dass die Informationen und Daten, die im und vom Weltall aus ermittelt und weitergeleitet werden können, strategisch immens wichtig sind und sich mit ihnen sehr, sehr viel Geld verdienen lässt. Das haben vor allem private Investoren in den USA und China erkannt, die in den vergangenen Jahren Milliarden von Euro in Satelliten investiert haben, um sich damit die Datenhoheit im Weltraum zu sichern. 


Und wo steht Deutschland bei diesem „War for Data“ im Weltraum?

Spurmann: Wir haben auf der einen Seite hochspezialisierte private Unternehmen, die Schlüsselkomponenten für die internationale Raumfahrt herstellen und zu den Marktführern gehören. Auf der anderen Seite fehlt bei uns aber die Risikobereitschaft, richtig viel Geld in weitere Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu investieren. Aktuell punktet der Staat mehr mit geringem Engagement und vorsichtiger Zurückhaltung als mit klarer Bereitschaft, umfassenden Strategien und großangelegten Investitionsprogrammen. Das ist umso erstaunlicher, weil die Weltraumfahrt ein Zukunftsmarkt mit riesigem Potenzial ist, der ganz entscheidend für unseren weiteren Wohlstand ist. Wir müssen aufpassen, dass wir den New-Space-Trend nicht verschlafen und beim Wettlauf um die Datenhoheit zurückfallen. Hier sehe ich die Regierung stark in der Pflicht. Sie muss endlich zukunftsfähige Entscheidungen treffen.


„Die Weltraumfahrt ist ein Zukunftsmarkt mit riesigem Potenzial, der ganz entscheidend für unseren weiteren Wohlstand ist. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir den New-Space-Trend nicht verschlafen.“


Der Klimawandel, das rasante Wachstum der Mega-Cities oder auch die Sicherstellung der Mobilität gehören zu den großen Herausforderungen der Menschheit. Was kann die Weltraumtechnologie zur Lösung beitragen?

 

Spurmann: Sehr viel! Wir haben nur aus dem Weltraum den kompletten Überblick über das, was auf der Erde passiert – sei dies beim Klima mit seinen globalen Folgen, beim Wachstum der Mega-Cities oder bei Umweltkatastrophen wie Ölteppichen auf den Meeren oder Lecks in Pipelines. Beispielsweise gehört die Agrarindustrie schon heute zu den größten Kunden von Satellitendaten, mit denen sie etwa die Vitalität der Kulturen, den Proteinwert des Getreides oder den optimalen Erntezeitpunkt bestimmt. Wenn wir uns darüber hinaus vor Augen halten, dass unsere Navigationssysteme nur aufgrund der Weltraumsatelliten funktionieren, die ihre Daten permanent zur Erde senden, zeigt dies einmal mehr, wie wichtig die Weltraumtechnologie ist. Die Daten, die wir hier erhalten, sind wertvolle Ressourcen, mit denen wir viele Probleme auf der Erde lösen können – für unsere und die nachfolgenden Generationen!

Kritiker weisen bei allem Nutzen, den uns die Weltraumfahrt liefert, auch auf ihre Schattenseiten wie beispielsweise den Weltraumschrott hin. Wie ist Ihre Sicht der Dinge dazu?

Spurmann: Der zunehmende Weltraumschrott ist tatsächlich ein Problem. Während vor zehn Jahren etwa 3.000 sogenannte Trümmerteile mit einem Durchmesser von ungefähr zehn Zentimetern im Orbit umherschwirrten, sind es heute schon über 30.000 Stück. Wenn wir in den Millimeterbereich gehen, sind es sogar knapp 130 Millionen Trümmerteile, die sich im All befinden. Aber dieses Problem lässt sich lösen, da der Schrott wieder eingesammelt werden kann. Ich sehe hier sogar ganz neue Marktchancen für die Weltraumfahrt. Befördert werden sie beispielsweise durch ein US-amerikanisches Gesetz, welches fordert, dass die Trümmerteile spätestens nach fünf Jahren vom Verursacher eingesammelt werden müssen. Diese Aufgabe könnten darauf spezialisierte Servicefirmen übernehmen.



„Wir beziehen 80 Prozent unserer Komponenten von deutschen Mittelständlern, wobei wir insgesamt mit über 800 Lieferanten zusammenarbeiten. Das zeigt, welches Potenzial für den Mittelstand in der Weltraumtechnologie steckt.“


Raumfahrt ist ein weltweiter branchenübergreifender Wachstums- und Innovationstreiber. Wie wichtig ist sie für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland? Und profitiert der Mittelstand von ihr?

Spurmann: Die Raumfahrttechnologie ist für den Standort Deutschland enorm wichtig, und zwar strategisch wie technologisch. Sie gewinnt – bildlich gesprochen – mehr und mehr an Höhe und hat eine Faszination und Schubkraft, vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen. Und gerade mittelständische Unternehmen können von ihr stark profitieren. So beziehen wir beispielsweise 80 Prozent unserer Komponenten von deutschen Mittelständlern, wobei wir insgesamt mit über 800 Lieferanten zusammenarbeiten. Das zeigt, welches Potenzial für den Mittelstand in der Weltraumtechnologie steckt. Wenn Deutschland diese Möglichkeiten nicht erkennt und wir den Markt beispielsweise den USA oder China überlassen, sinkt unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Es gibt das geflügelte Wort „Kapital ist der Treibstoff für Wachstum“. Das gilt allemal für eine so anspruchsvolle Branche wie den Raketenbau und die Weltraumtechnologie. Wie finanziert sich die Rocket Factory Augsburg?

Spurmann: Wir gehören – ebenso wie MT Aersospace – zum börsennotierten Bremer OHB-Raumfahrt- und Technologiekonzern, der den Großteil an der Rocket Factory hält. Ebenso haben wir mehrere Finanzinvestoren sowie einen strategischen Partner an Bord. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass allein im vergangenen Jahr internationale Wagniskapitalfonds eine Summe von über 15 Milliarden Dollar in Weltraumfirmen gesteckt haben, sollte genug Treibstoff für weiteres Wachstum vorhanden sein.

Der Fachkräftemangel ist ein ganz großes Thema, das die deutsche Wirtschaft beschäftigt. Wie kommen Sie an die Experten, die Sie brauchen? Haben Sie vielleicht sogar Tipps für den Mittelstand?

Spurmann: Diese Herausforderung ist an uns bislang vorübergegangen. Aber das ist verständlich: Der Raketenbau ist für jeden Ingenieur die Königsdisziplin. Darüber hinaus sind wir international ausgerichtet; Englisch ist unsere Unternehmenssprache. So haben wir seit unserer Gründung über 17.000 Bewerbungen erhalten, von denen wir uns die allerbesten aussuchen konnten. Derzeit arbeiten bei uns etwa 220 Kolleginnen und Kollegen aus 33 Ländern. Hier wäre mein Tipp an Mittelständler, sich auch internationaler zu positionieren. Allerdings haben wir Schwierigkeiten, gute Leute für unsere Verwaltungsaufgaben wie Personal, Finanzen oder Controlling zu bekommen. Hier müssen wir uns noch etwas einfallen lassen …


„Wir dürfen nie vergessen, dass unser Wohlstand Zukunftstechnologien braucht. Die Raumfahrt gehört allemal dazu.“


Was sind Ihre nächsten großen Meilensteine? Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?

Spurmann: Wir denken nicht in Jahren, wir denken in Monaten. Unser nächster großer Meilenstein ist der Start unserer 30 Meter langen „RFA ONE“ im kommenden Jahr. Die Raketenstufen und Systeme stehen schon in der Werkshalle und warten auf die Endmontage. Mit unserer Rakete werden wir 1,3 Tonnen ins All befördern können – und das zu einem Preis, der deutlich niedriger ist als der unserer Mitbewerber. Wenn wir es dann noch schaffen, mit unserem Start der Faszination für die Raumfahrt in Deutschland einen weiteren Turbo-Schub zu geben, bin ich mehr als glücklich. Denn wir dürfen nie vergessen, dass unser Wohlstand Zukunftstechnologien braucht. Und die Raumfahrt gehört allemal dazu.

Podcast Zukunft Familienunternehmen

Disruption. Transformation. Resilienz.

In unseren gemeinsamen Podcasts mit dem Lehrstuhl für Familienunternehmen der WHU – Otto Beisheim School of Management behandeln wir Top-Themen, mit denen sich der Mittelstand und Familienunternehmen im Zeitalter der Disruption auseinandersetzen müssen. Zusammen mit erfolgreichen Familienunternehmen diskutieren wir, worauf es ankommt, damit die Transformation gelingt.

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Fazit

Die Rocket Factory Augsburg (RFA) will nach dem Henry-Ford-Prinzip seine dreistufigen Kleinraketen so preiswert wie Autos herstellen und damit den New-Space-Markt erobern. Die Weltraumtechnologie ist sowohl strategisch als auch finanziell ein riesiger Wachstumssektor. Dies zeigt sich sowohl am „War for Data“ im Orbit als auch an den Milliardenbeträgen, die private Kapitalgeber in die Raumfahrt investieren. Jetzt kommt alles darauf an, dass Deutschland den Anschluss nicht verpasst und die Regierung keine Hürden, sondern kommerziell ausgerichtete Förderprogramme aufsetzt. Denn die Zukunftstechnologie Raumfahrt sichert unseren langfristigen Wohlstand. Gerade für den Mittelstand bietet New Space neue Perspektiven und Wachstumspotenziale.


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