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Wie Unternehmen im ESG-Kriteriendschungel nicht verlorengehen

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Für Unternehmen können ESG-Kriterien sowohl Chance als auch Problem bedeuten – umso wichtiger ist die richtige Strategie.


Überblick

  • ESG wird für Unternehmen immer wichtiger – auch durch steigenden regulatorischer Druck der EU sowie durch den Kapitalmarkt.
  • Firmen sollten sich von dem ESG-Kriteriendschungel nicht abschrecken lassen, sondern bereits jetzt die richtige Richtung einschlagen.
  • Eine umfassende ESG-Strategie gehört als zentraler Bestandteil in die Gesamtstrategie eines Unternehmens.

Joseph Rudyard Kipling, der Autor des Dschungelbuchs, hat einmal gesagt: „Der Dschungel redet mit mir, weil ich weiß wie ich zuhören muss.“ Und genau darum geht es auch hier, man muss sich auf ESG einlassen, um zumindest zuhören, wenn nicht mitreden zu können. Denn die Hoffnung, dass sich der Dschungel lichtet, ist verfehlt. Die Wirkzusammenhänge sind komplex und so wird es auch mit der Regulatorik weitergehen. Grund genug hier einmal einen kurzen Weg durch das Dickicht zu schlagen.

ESG: Diese Kriterien stecken hinter dem Akronym

ESG – ein Akronym in aller Munde. Es steht für „Environmental, Social and Governance“, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Im Jahr 2004 tauchte dieses Konzept zum ersten Mal auf, und zwar in einer Studie der Vereinten Nationen mit dem Namen „Who Cares Wins“. Im Kern ging es darum, dass Unternehmen mit größerer Wahrscheinlichkeit langfristig Erfolg haben und Rendite erzielen, wenn sie alle drei Verantwortungsbereiche in ihren Entscheidungen berücksichtigen, statt sich nur auf kurzfristigen Profit auszurichten.

ESG
wurde das Akronym erstmals in einer UN-Studie erwähnt.

Hinter dem Akronym verbergen sich eine Vielzahl an Indikatoren und Metriken. Im Bereich Umwelt wird untersucht, wie ein Unternehmen zu ökologischen Problemen wie Klimawandel, Abfall, Umweltverschmutzung, Entwaldung und Ressourcenknappheit beiträgt und diese bewältigt.

 

Die sozialen Kriterien analysieren, wie das Unternehmen mit Menschen umgeht, wie es sich zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Diversity, Menschrechte in der Lieferkette oder gesellschaftliches Engagement verhält.

 

Die Governance-Kriterien beleuchten eine nachhaltige Unternehmensführung, hierzu gehören Themen wie Korruption, Diversität und Struktur des Vorstands, aber auch die Bindung der Bonusauszahlung von Führungspersonal an das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele.

ESG-Ratings stehen in der Kritik

Zusammengefasst werden die Bewertungen in sogenannten ESG-Ratings, die den „Kriteriendschungel“ auf einen Score verdichten. Diese funktionieren wie eine Art Index und setzen sich aus unterschiedlich gewichteten Nachhaltigkeitsindikatoren zusammen, alle mit dem Ziel eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen messbar zu machen und diese entlang ihrer Risiken und Chancen zu bewerten.

Klingt an sich gut, aber es gibt viel Kritik. Denn hier gilt die Regel: „Welche Qualität herauskommt, hängt von der Qualität ab, die reinkommt.“ Und genau hier setzen viele Organisationen und nicht zuletzt die Europäische Union (EU) an.

Bei den Umweltdaten ist man aktuell am weitesten. Als weltweit treibende Kraft kann hier das „Carbon Disclosure Project“, kurz CDP, genannt werden. Das CDP erhebt jährlich Unternehmensdaten und Informationen zu CO2-Emissionen, Klimarisiken sowie Reduktionszielen und -strategien auf freiwilliger Basis. Die daraus entstandene Datenbank ist die weltweit größte ihrer Art.


Das Carbon Disclosure Project (CDP) hat weltweit eine Vorreiterrolle bei der Erhebung von umweltbezogenen Unternehmensdaten.


Für europäische kapitalmarktorientierte Unternehmen besteht außerdem bereits eine Berichtspflicht. Diese Unternehmen müssen jährlich über wesentliche Entwicklungen aus den Bereichen Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange, Achtung der Menschenrechte sowie Bekämpfung von Korruption und Bestechung berichten.

ESG-Ratings: Herausforderung der Vereinheitlichung

Bleibt trotzdem das Problem einer einheitlichen Qualität und der Vergleichbarkeit. Entsprechend haben sich zwei Standards etabliert, diese verpflichtende Berichte zu erstellen – der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) sowie die Global Reporting Initiative (GRI).

Im Zuge der kommenden Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erweitert die Europäische Kommission ihre Anforderungen rund um die Nachhaltigkeitsberichterstattung an europäische Unternehmen. Es werden Vorschläge gemacht, welche ESG Informationen zukünftig verpflichtend offengelegt werden müssen. Zum anderen wird auch ein Großteil der europäischen Industrielandschaft zur Offenlegung verpflichtet. Die CSRD erhöht somit die Chance auf mehr Vergleichbarkeit unter Unternehmen. Ähnliches gilt für die EU Taxonomie, welche definiert was als „nachhaltig“ gilt und es erlaubt entsprechende Aktivitäten bei Umsatzzahlen, Betriebskosten und Investitionsausgaben auszuweisen.


Durch die kommende Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) besteht die Chance auf mehr Vergleichbarkeit unter Unternehmen innerhalb der EU.


Relevanz bekommt dies alles für Unternehmen, weil ihr Zugang zu Fremd- und Eigenkapital in Zukunft wesentlich von ihrer „Performance“ im Nachhaltigkeitsbereich abhängen wird. Ein Beispiel ist das UN-Netzwerk Principles of Responsible Investments (PRI), eine Initiative von 5.020 Unternehmen, aus Investment- und Beteiligungsgesellschaften sowie deren Dienstleistern, mit Assets im Wert von etwa 121 Billionen US-Dollar. Diese haben eine Selbstverpflichtung abgegeben, ESG-Faktoren in Investmententscheidungen und in das Management von Assets zu integrieren und danach zu entscheiden. Auch der Ausschluss von Unternehmen oder sogar ganzen Branchen ist bereits Wirklichkeit. Ausgeschlossen werden beispielsweise Menschenrechts- und Arbeitsrechtsverletzungen, Glücksspiel, Korruption und Bestechung, Tabak, Alkohol, Kernenergie und Umweltzerstörung.

Andere Kapitalgeber versuchen die ESG-Kriterien anzuwenden, indem sie Unternehmen und Branchen mit guten ESG-Ratings auswählen, um diese als Chance zu nutzen. Wiederum andere gehen noch einen Schritt weiter und wollen in Unternehmen mit einem positiven Nettoeffekt für Gesellschaft und Umwelt investieren (Impact Investment). In bestimmten Bereichen sind entsprechend gute Ratings auch bereits ein verpflichtendes Kriterium, um als Lieferant in den Markt eintreten zu können. Wichtig zu verstehen ist, dass es bei der Firmenbewertung nicht nur um rückwirkende Einschätzungen geht, sondern eben auch um aktuelles Verhalten, Lieferkette, Unternehmensführung, Strategie und auch die nachweisliche Einhaltung der eigenen Versprechen und Standards.

Greenwashing-Vorwürfe nehmen zu

Neben dem steigenden Druck, genauere und vergleichbarere Angaben zu machen, müssen die Unternehmen gleichzeitig auf mögliche Greenwashing-Vorwürfe vorbereitet sein. Diese werden immer häufiger erhoben, um Druck auf Nachhaltigkeitsaussagen auszuüben, die ordnungsgemäß begründet werden müssen. Da der Markt für ESG- und Nachhaltigkeitsprodukte so prominent und neu ist, wollen viele Akteure mitmischen und versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie sich und ihre Produkte differenzieren. Dies wiederum untergräbt das Ziel, das die Regulierungsbehörden anstreben, nämlich den Bedarf an vergleichbaren Daten und Informationen. Wieder ist die Reaktion ein neues Regelwerk – die EU-Green-Claims-Verordnung, also die Vorgabe, dass alle Umweltaussagen nach anerkannten Verfahren und von stattlichen oder staatlich zertifizierten Stellen nachgewiesen werden müssen.


Die EU-Green-Claims-Verordnung will Greenwashing von Unternehmen bekämpfen.


Unternehmen können bei ESG von First-Mover-Effekt profitieren

Unternehmen, die sich nun fragen, ob sie nicht besser abwarten sollten, bis alle Regeln, Ratings und Standards klar sind, also quasi die erste echte Straße durch den Dschungel führt, stehen damit nicht allein da. Allerdings ist das eine kritische Strategie. Denn die Ressourcen, um die hinter all dem liegende Transformation durchzuführen, sind knapp. Es gibt nicht genug ESG-Experten, nicht genug grünen Strom oder Wasserstoff, nicht genug Berater, um ERP-Systeme umzubauen, nicht beliebig viele Fördergelder etc. Insofern gibt es einen gewissen positiven First-Mover-Effekt, wenn Unternehmen jetzt schon die richtige Richtung einschlagen. Dabei können 4 Handlungsempfehlungen als Kompass diesen:

  1. Unternehmen sollten sich auf die Bereiche der ESG-Agenda konzentrieren, die für ihre Stakeholder (Kapitalgeber, Kunden, Mitarbeiter, Regulator, Gesellschaft) bezogen auf ihr Geschäft am wichtigsten und wertschaffendsten sind.
  2. Firmen sollten nicht zu viel Zeit darauf verwenden, durch Ambitionen Erwartungen zu schüren, sondern Vertrauen in ihre Nachhaltigkeits-Leistungsfähigkeit durch nachweisbare Aktionen erzeugen.
  3. Unternehmen sollten ein klares nachhaltiges Zielbild entwickeln, für das sie stehen wollen und dann bei diesem Narrativ bleiben.
  4. Nachhaltigkeit sollten Unternehmen nicht als Projekt oder Programm behandeln, sondern als neuen bleibenden Prozess.

Anlageentscheidungen, Kosten, neue Kunden oder Aufträge – das alles wird zunehmend von der ESG-Performance getrieben sein. Steigender regulatorischer Druck der EU sowie durch den Kapitalmarkt können ESG zu einer Chance oder einem Problem machen. Somit führt auch kein Weg daran vorbei, die notwendigen Daten zu erheben, zur Verfügung zu stellen und eine ESG-Strategie als zentralen Bestandteil in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Diese umzusetzen ist eine echte Transformationsaufgabe, bei der alle Stakeholder, oft aber auch Lieferanten oder Konkurrenten, an Bord geholt werden sollten. Das erfordert neue Fähigkeiten, Systeme, Strukturen und Verhaltensweisen, denn nur so werden Unternehmen im Dschungel überleben können und auch vielleicht bald sagen: „Der Dschungel redet mit mir, weil ich weiß wie ich zuhören muss.“

Fazit

ESG-Kriterien sind in aller Munde und viele Unternehmen wollen sich als möglichst nachhaltig präsentieren. Doch aktuell haben die Kriterien in puncto einheitliche Qualität und Vergleichbarkeit noch Nachholbedarf. Hier will die Europäische Kommission mit neuen Verordnungen nun Klarheit schaffen. Für Unternehmen führt kein Weg daran vorbei, eine umfassende ESG-Strategie zu entwickeln. Wenn sie bereits jetzt die richtige Richtung einschlagen, können sie von einem positiven First-Mover-Effekt profitieren.

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