Laut BFH entfaltet die Anwendung der sog. Fünftel-Regelung auf gewerbliche Veräußerungsgewinne im Jahr 2000 im konkreten Einzelfall keine unzulässige Rückwirkung und ist insoweit mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar. Dabei ist für den BFH bei bilanzierenden Steuerpflichtigen Vertrauensschutz gegenüber unecht rückwirkenden Gesetzen über mehr als einen Veranlagungszeitraumwechsel hinweg grundsätzlich nicht zu gewähren.
Im konkreten Fall hat der Steuerpflichtige eine atypisch stille Unterbeteiligung am Kommanditanteil einer KG im Jahr 1998 mit einer zweijährigen Frist gekündigt. Zwischen der Kündigung und dem Eintritt der Kündigungsfolgen im Jahr 2000 wurde die für den Steuerpflichtigen günstigere Regelung über die Anwendung des halben Steuersatzes auf gewerbliche Veräußerungsgewinne zum 01.01.1999 durch die sog. Fünftel-Regelung nach § 34 Abs. 1 EStG ersetzt. Ab dem VZ 2001 war die Anwendung des halben Steuersatzes alternativ zur Fünftel-Regelung im Zusammenhang mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens wieder möglich. Streitig war daher die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung der Fünftel-Regelung auf den Veräußerungsgewinn im Jahr 2000.
Laut BFH entfaltet § 34 Abs. 1 EStG keine unzulässige Rückwirkung für das Streitjahr 2000 (Urteil vom 24.02.2022, III R 9/20). Dabei lässt sich die Rückwirkung in echte und unechte Rückwirkung unterteilen. In dem Streitfall sieht der BFH eine sog. unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung), da die Rechtsfolgen der Änderung des § 34 Abs. 1 EStG zwar erst mit dem Ausscheiden im Jahr 2000 und damit in einem VZ nach dem Wirksamwerden der Gesetzesänderung eintraten, diese aber tatbestandlich an einen bereits zuvor ins Werk gesetzten Sachverhalt (Kündigung im Jahr 1998) anknüpften.
Diese Art der Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig; sie erfordert vielmehr eine Verhältnismäßigkeits- bzw. Vertrauensschutzprüfung im Einzelfall. Dabei geht der BFH unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass über mehr als einen Veranlagungszeitraumwechsel hinweg weniger auf den Bestand der Rechtslage vertraut werden könne. Für die Anwendung des zeitlich gestuften Vertrauensschutzes ist demnach der zeitliche Abstand zwischen der Disposition und deren wirtschaftlicher Realisierung entscheidend. Ein besonderer Dispositionsschutz greift laut BFH, wenn die Disposition zeitnah – d.h. innerhalb des bereits laufenden VZ oder spätestens nach einem Veranlagungszeitraumwechsel – Wirkungen entfalten soll. Diese vom BVerfG zur Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG auf Arbeitnehmerabfindungen aufgestellten Grundsätze wendet der BFH entsprechend auf bilanzierende Steuerpflichtige an und weist damit die Auffassung des Steuerpflichtigen zurück, der bei bilanzierenden Steuerpflichtigen einen Vertrauensschutz über mindestens zwei Veranlagungszeitraumwechsel hinweg geltend machen wollte. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen war dagegen laut BFH im konkreten Fall nicht schutzwürdig, gerade weil der Zeitraum zwischen Kündigung und Ausscheiden zwei Veranlagungszeitraumwechsel umfasste.
Darüber hinaus habe die bloße Erwartung, etwaige Gewinne später (im konkreten Fall mit Wirksamwerden der Kündigung) zu einem ermäßigten Steuersatz versteuern zu können, nichts mit einem gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit des der Besteuerung zugrunde liegenden Vorgangs zu tun. Es gäbe keinen allgemeinen (Vertrauens-)Schutz vor zukünftigen steuerrechtlichen Änderungen in Bezug auf noch nicht realisierte und verfestigte Wertsteigerungen im Bereich der gewerblichen Einkünfte. Die für Wertzuwächse im Privatvermögen vom BVerfG entwickelten Grundsätze zum besonderen Vertrauensschutz bei vor Verkündung des rückwirkenden Gesetzes bereits zugeflossenen Leistungen sind laut BFH wegen des Dualismus der Einkunftsarten auf grundsätzlich steuerverhaftete Vermögenszuwächse im Gewerbebetrieb nicht übertragbar.
Zudem konnte der BFH auch nicht erkennen, dass eine besondere Schutzwürdigkeit aufgrund eines konkret vorhandenen Vermögensbestandes, einer verfestigten Vermögensposition oder einer verfestigten Erwartung auf Vermögenszuwächse vorlag. Des Weiteren sah der BFH in der Anwendung der Fünftel-Regelung im Jahr 2000 weder einen Verstoß gegen Art. 12 GG (Berufsfreiheit), Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) noch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nach Maßstäben des Art. 3 GG.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.
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