Wirtschaftliche Betrachtungsweise bei Streubesitzdividenden

Laut BFH kommt es bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen an. Der BFH widersprach damit der Finanzverwaltung, die im entschiedenen Fall allein auf das zivilrechtliche Eigentum abstellte. 

Im konkreten Fall war eine GmbH zunächst unter 10 Prozent an einer AG beteiligt. Im Dezember 2013 schloss sie einen Kauf- und Übertragungsvertrag ab, der sie über die 10 Prozent Hürde brachte und unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung stand. Die Kaufpreiszahlung und damit der Übergang des zivilrechtlichen Eigentums erfolgte erst im Jahr 2014. Streitig war, ob die GmbH die im Jahr 2014 zugeflossenen Dividenden gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG steuerfrei vereinnahmen konnte oder ob es sich um Streubesitzdividenden i.S.d. § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG handelte, die steuerpflichtig sind. Nach der Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG sind die Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG nicht steuerfrei, wenn die Beteiligung einer Kapitalgesellschaft zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals der Beteiligungsgesellschaft beträgt. Dabei vertrat die GmbH die Auffassung, es sei nicht die zivilrechtliche Rechtslage, sondern die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich. Da der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf die GmbH bereits im Dezember 2013 stattgefunden habe, sei sie zu Beginn des Jahres 2014 zu mehr als 10 Prozent an der AG beteiligt gewesen.

Dem folgte der BFH und entschied, dass bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen maßgeblich ist (Urteil vom 07.06.2023, I R 50/19). Der in der Norm genannte Begriff „Beteiligung“ beziehe sich auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 AO. Dabei bestätigte der BFH seine ständige Rechtsprechung im Hinblick auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO beim Erwerb von Wertpapieren. Es komme laut BFH darauf an, wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zustehe. Dabei sei erforderlich, dass der Erwerber die „Rechtsmacht“ vom Inhaber des Wertpapiers ableite und der Verkäufer somit von der der wirtschaftlichen Inhaberschaft ausgeschlossen sei.

Nach diesem Maßstab war die GmbH am 01.01.2014 wirtschaftliche Eigentümerin der Anteile. Denn sie hatte bereits ein Anwartschaftsrecht erlangt, das ihr einseitig von dem Veräußerer nicht mehr entzogen werden konnte. Dagegen sei der Umstand, dass die mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insb. die Stimmrechte) noch nicht übergegangen seien, irrelevant. Denn es lag im konkreten Fall allein in der Hand der GmbH als Erwerberin, die aufschiebende Bedingung durch Zahlung des bereits fälligen Kaufpreises eintreten zu lassen und dadurch die Stimmrechte vollständig an sich zu ziehen.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

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