Nach Auffassung des EuGH steht die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit dem Untergang der sog. „finalen“ Verluste von EU-Freistellungsbetriebsstätten nicht entgegen. Mit dem aktuellen Urteil setzt der BFH diese Rechtsprechung um und verneint deshalb die Berücksichtigung finaler Verluste einer Betriebsstätte bei der Körperschaft- und der Gewerbesteuer.
Im konkreten Fall unterhielt eine AG mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland eine Zweigniederlassung in dem damaligen EU-Mitgliedstaat Großbritannien. Diese erwirtschaftete Verluste und stellte 2007 ihre Geschäftstätigkeiten ein, so dass die bis dahin entstandenen steuerlichen Verluste in Großbritannien nicht mehr genutzt werden konnten. Das Finanzamt berücksichtigte die Verluste der Zweigniederlassung bei der Festsetzung der von der AG geschuldeten inländischen Körperschaft- und Gewerbesteuer 2007 nicht. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH fünf Fragen zur Klärung vor (BFH-Beschluss vom 06.11.2019, I R 32/18). Die zentrale Frage war, ob sich aus der Niederlassungsfreiheit eine Pflicht zur Berücksichtigung der endgültigen („finalen“) Verluste der EU-Freistellungsbetriebsstätte beim deutschen Stammhaus ergibt. Mit Urteil vom 22.09.2022 (C-538/20, Rs. W) entschied der EuGH, dass die Niederlassungsfreiheit dem Untergang der finalen Verluste in einem solchen Fall nicht entgegensteht (vgl. Steuernachricht vom 22.09.2022).
In seiner Folgeentscheidung versagt der BFH die Berücksichtigung finaler Verluste der EU-Freistellungsbetriebsstätte bei der inländischen Besteuerung (Urteil vom 22.02.2023, I R 35/22 (I R 32/18)). Im Fall der auf einem DBA beruhenden Freistellung sei strikt die sog. Symmetriethese einzuhalten. Der abkommensrechtliche Begriff der Betriebsstättengewinne beziehe sich auf einen Nettobetrag. Somit seien auch Betriebsstättenverluste nicht in die Bemessungsgrundlage der inländischen Steuer einzubeziehen. Die Folgeentscheidung wie auch das EuGH-Urteil in der Rs. W bestätigten die Rechtsprechung in der Rs. Timac Agro (EuGH-Urteil vom 17.12.2015, C-388/14). In diesen Fällen beruhe der „symmetrische“ Ausschluss der Berücksichtigung der Betriebsstättengewinne und -verluste auf einer bilateralen Vereinbarung (DBA) mit dem Betriebsstättenstaat. Abzugrenzen seien diese Fälle vom EuGH-Urteil vom 12.06.2018 in der Rs. Bevola/Trock (C-650/16), in dem ein unionsrechtlich anzuerkennender finaler Verlust angenommen wurde, da hier der Ausschluss des Besteuerungsrechts nicht auf einem DBA beruht, sondern auf einer unilateralen Entscheidung des nationalen Steuerrechts.
Des Weiteren äußert sich der BFH zur Behandlung der „finalen“ Verluste von Freistellungsbetriebsstätten im Zusammenhang mit der Gewerbesteuer. Auch hier dürften diese Verluste nicht steuermindernd geltend gemacht werden, da Ausgangspunkt für die Gewerbesteuer die einkommens- und körperschaftsteuerliche Gewinnermittlung sei (§ 7 Satz 1 GewStG). Daher beruhe die Nichtberücksichtigung der „finalen“ Verluste bei der Gewerbesteuer nicht auf einer Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG, sondern allein auf der abkommensrechtlichen Freistellung.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
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