EuGH zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs

Das deutsche Umsatzsteuergesetz spricht allen Unternehmern den Vorsteuerabzug bereits zum Zeitpunkt der Leistungserbringung zu, auch wenn sie die bezogene Leistung noch nicht bezahlt haben. In dem Fall, in dem der leistende Unternehmer (Vertragspartner) die Steuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet, verstößt das gegen Unionsrecht, urteilt der EuGH.

Die Vorsteuer auf eine Eingangsleistung, die ausgeführt worden ist, kann der Unternehmer gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich auch dann schon abziehen, auch wenn er die Eingangsleistung noch gar nicht bezahlt hat. Der EuGH hat nun entschieden, dass dies dann nicht zulässig ist, wenn der Unternehmer, der die Leistung erbracht hat, die Umsatzsteuer gemäß § 20 UStG nicht nach vereinbarten, sondern nach vereinnahmten Entgelten berechnet (EuGH-Urteil vom 10.02.2022, C-9/20).

Zwar berechnen die meisten Unternehmer die Umsatzsteuer auf ihre Ausgangsleistungen gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG nach vereinbarten Entgelten. Denn § 20 UStG gestattet Unternehmern nur auf Antrag und unter bestimmten Bedingungen, die Umsatzsteuer nicht nach vereinbarten, sondern nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Für all diese Unternehmer, die auch als Ist-Versteuerer bezeichnet werden, wird künftig voraussichtlich ein Regimewechsel anstehen.

Dies wiederum wird sich generell nachteilig für all die Unternehmer auswirken, die eine Eingangsleistung von einem solchen Ist-Versteuerer beziehen. Denn der Cash-Flow-Vorteil fällt weg, der sich daraus ergibt, dass sie die Vorsteuer zeitlich geltend machen können, bevor sie den leistenden Unternehmer bezahlt haben. Weit schwerer ins Gewicht fallen dürfte aber, dass der Unternehmer, der die Eingangsleistung bezieht und den Vorsteuerabzug geltend machen möchte, im Allgemeinen gar keine Kenntnis darüber hat, ob sein Vertragspartner nach vereinnahmten oder nach vereinbarten Entgelten abrechnet und wann dieser die Umsatzsteuer entrichtet. Er müsste dies also erfragen. Zudem müsste der die Eingangsleistung beziehende Unternehmer organisatorisch die Vorsteuern aus Leistungen von Ist-Versteuern von den anderen trennen. Das dürfte kaum ein praktikabler Ansatz sein.

Noch allerdings steht auf das EuGH-Urteil das Folgeurteil des Finanzgerichts Hamburg aus. Auch Gesetzgeber oder die Finanzverwaltung dürften wohl nicht in allzu naher Zukunft reagieren. Auch ist nicht auszuschließen, dass dem Urteil des Finanzgerichts Hamburg eine Revision zum BFH folgt. In dieser nun beginnenden Zwischenzeit, in der die nationale Regelung des § 15 UStG nicht der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie entspricht, können sich die betroffenen Unternehmer grundsätzlich auf dasjenige Recht berufen, das in dem sie betreffenden Fall jeweils günstiger für sie ist.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des EuGH zur Verfügung.

Direkt zum EuGH-Urteil kommen Sie hier.

 

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