BMF überrascht mit Entwurf für größte Unternehmensteuerreform seit 2008

Um insgesamt gut 6 Mrd. Euro pro Jahr will das BMF die Wirtschaft entlasten. Der Entwurf eines Wachstumschancengesetzes, der am 12.07.2023 bekannt wurde, enthält dazu u.a. die angekündigte Investitionsprämie, eine erweiterte Forschungszulage, Verbesserungen für Personengesellschaften und eine Erweiterung des Verlustabzugs. Als Gegenfinanzierung sollen insbesondere eine überarbeitete Zinsschranke mitsamt Zinshöhenschranke und eine Mitteilungspflicht für nationale Steuergestaltungen dienen. Unklar ist derzeit, ob der Entwurf in dieser Form die Unterstützung aller drei Koalitionspartner hat.

Eine Woche nach der Verabschiedung des Haushaltsentwurfs für 2024, mit dem wichtige politische Verteilungsfragen innerhalb der Koalition geklärt wurden, scheint das BMF seine steuerpolitische Agenda abzuarbeiten. Der am 12.07.2023 bekannt gewordene Referentenentwurf eines Wachstumschancengesetzes soll dazu mehrere Projekte aus dem Koalitionsvertrag im Bereich der Unternehmensbesteuerung umsetzen, von denen einige zuletzt für ein sog. „Steuerfairnessgesetz“ im Gespräch waren. Hinzu kommen ergänzende, seit Anfang 2023 seitens des BMF diskutierte Entlastungsmaßnamen. In Summe soll die jährliche Entlastung 6,66 Mrd. Euro (sog. volle Jahreswirkung) betragen.

Das vom BMF zusammengestellte Paket enthält insbesondere folgende Maßnahmen, die größtenteils ab dem Jahr 2024 anzuwenden sein sollen:

  • Die im Koalitionsvertrag noch für die Jahre 2022 und 2023 angekündigte Prämie für Klimaschutzinvestitionen soll nun für die Jahre 2024 bis 2027 kommen. Die Prämie soll für Investitionen in neue abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sowie in bestehende bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die zu nachträglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten führen, verfügbar sein. Voraussetzung ist, dass diese in einem Energiesparkonzept oder Energiemanagementsystem enthalten sind. Die Prämie soll 15 Prozent der Investition, maximal 30 Mio. Euro betragen. Ein darüber hinausgehender Ausbau der Investitionsprämie soll geprüft werden. Sie soll innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids ausgezahlt werden.
  • Bei der Forschungszulage soll u.a. die maximale Bemessungsgrundlage auf 12 Mio. Euro verdreifacht und die Zulage grundsätzlich auch auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten der in einem begünstigten FuE-Vorhaben verwendeten, abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter erstreckt werden. Außerdem ist vorgesehen, den Ansatz der Aufwendungen von Auftragsforschung auf 70 Prozent anzuheben.
  • Ein Verlustrücktrag soll künftig für bis zu drei Jahre und dauerhaft i.H.v. 10 bzw. 20 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung) möglich sein.
  • Der Verlustvortrag (§ 10d Abs. 2 EStG) soll für die Jahre 2024 bis 2027 uneingeschränkt möglich sein (vorübergehende Suspendierung der Mindestbesteuerung). Ab dem Jahr 2028 soll die Mindestbesteuerung nur für den 10 Mio. Euro (20 Mio. Euro bei Zusammenveranlagung) übersteigenden Gesamtbetrag der Einkünfte wieder eingeführt werden.
  • Gewerbesteuerliche Verlustnutzung (§ 10a GewStG): Korrespondierend mit der zeitlichen Suspendierung der einkommen- und körperschaftsteuerlichen Mindestbesteuerung soll auch für die gewerbesteuerliche Verlustnutzung die betragsgemäße Begrenzung (Mindestbesteuerung) für Erhebungszeiträume 2024 bis 2027 suspendiert werden. Ab dem Erhebungszeitraum 2028 soll dann wieder die Mindestbesteuerung greifen, allerdings mit einem auf 10 Mio. Euro angehobenen maßgebenden Höchstbetrag. Eine Einführung der Möglichkeit eines gewerbesteuerlichen Verlustrücktrags ist weiterhin nicht vorgesehen.
  • Erweiterte Grundstückskürzung: Die mit dem Fondsstandortgesetz mit Wirkung ab dem Erhebungszeitraum 2021 eingeführte besondere Unschädlichkeitsgrenze für bestimmte Einnahmen aus Stromlieferungen (aus dem Betrieb aus Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, Betrieb von Ladestationen für E-Fahrzeuge oder E-Fahrräder, § 9 Nr. 1 Satz 3 Buchst. b GewStG) soll von 10 Prozent auf 20 Prozent erhöht werden. Die erhöhte Grenze soll bereits ab dem Erhebungszeitraum 2023 anzuwenden sein.
  • Die Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG soll mit Wirkung ab dem VZ 2025 reformiert werden. Dabei soll die Verwendungsreihenfolge verbessert werden, indem steuerfreie und tarifbesteuerte Gewinne, die nach dem 31.12.2023 im Unternehmen belassen wurden, vorrangig entnommen werden können. Des Weiteren soll das Thesaurierungsvolumen erhöht werden. Hierzu ist vorgesehen, dass der nicht entnommene Gewinn (= begünstigungsfähiger Gewinn) um die gezahlte GewSt und die Beträge, die zur Zahlung der ESt nach § 34a Abs. 1 EStG entnommen werden, erhöht wird. Zudem soll die Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG bereits im Vorauszahlungsverfahren berücksichtigt werden können.
  • Optionsmodell (§ 1a KStG): Anpassung von § 1a KStG um das sog. Optionsmodell attraktiver zu gestalten. Dabei soll u.a. der Anwendungsbereich auf alle Personengesellschaften ausgeweitet werden, sodass künftig auch insbesondere GbRs optieren können. Außerdem wird die zeitliche Regelung zur Antragstellung dergestalt angepasst, dass auch in Neugründungsfällen eine Optionsausübung möglich ist. Bei der für eine Buchwertfortführung erforderlichen Miteinbringung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen soll auf die Einbringung der Beteiligung an der Komplementärin verzichtet werden dürfen. Auch in Bezug auf die Ausschüttungsfiktion soll angepasst werden (Zufluss erst bei tatsächlicher Entnahme).
  • Zinsschranke (§ 4h EStG): Der Gesetzentwurf sieht eine umfassende Reform der Zinsschranke sowie eine vermeintliche Anpassung der Norm an die Vorgaben der ATAD-Richtlinie vor. So sollen u.a. sowohl die Konzernklausel (§ 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b) EStG) als auch die Escape-Klausel für Eigenkapital (§ 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c) EStG) gestrichen werden. Daneben soll die derzeit geltende Freigrenze i.H.v. 3 Millionen Euro künftig in einen Freibetrag umgewandelt werden.
  • Zinshöhenschranke (§ 4l EStG-E): Mit der Einführung eines neuen § 4l EStG-E soll eine Abzugsbeschränkung für Zinsaufwendungen für Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG gesetzlich implementiert werden. Danach sollen Zinsaufwendungen nicht abziehbar sein, soweit der vereinbarte Zinssatz den gesetzlich definierten Höchstzinssatz übersteigt. Flankiert wird die Abzugsbeschränkung von einer speziellen Gegenbeweismöglichkeit sowie einer Substanzausnahme. Laut Gesetzesbegründung sollen mit der Einführung des § 4l EStG-E Gestaltungen unter Zwischenschaltung substanzloser Gesellschaften vermieden werden.
  • Anpassung der sog. Nachspaltungsveräußerungssperre (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ff. UmwStG) in Reaktion auf in 2021 ergangene BFH-Rechtsprechung. Dabei soll erstmals der Begriff der „außenstehenden Person“ i.S. des § 15 Abs. 2 UmwStG sowie das Merkmal „Vorbereitung einer Veräußerung“ i.S. der Norm definiert werden.
  • Anhebung der GWG-Grenze (§ 6 Abs. 2 EStG) auf 1.000 Euro.
  • Erhöhung der Wertgrenze für den Sammelposten (§ 6 Abs. 2a EStG) auf 5.000 Euro und Verkürzung des Abschreibungszeitraums auf drei Jahre.
  • Erhöhung der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG auf 50 Prozent.
  • Erhöhung der Freigrenze für den Quellensteuereinbehalt bei Vergütungen für Rechteüberlassungen von 5.000 auf 10.000 Euro, § 50c Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 EStG-E.
  • Anpassungen an die zum 01.01.2024 in Kraft tretende Reform des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), insbesondere die Aufnahme einer für die Ertragsbesteuerung geltenden Definition der Gesamthand in § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO-E sowie Anpassung im ErbStG und BewG.
  • Einführung der am 17.04.2023 in einem Diskussionsentwurf vorgestellten obligatorischen eRechnung im B2B-Bereich (vgl. EY-Steuernachrichten v. 20.04.2023). Neben den bereits bekannten Details sieht der RefE eine Übergangsphase vor, in der unter Zustimmung des Empfängers auch keine eRechnung genutzt werden kann. Des Weiteren sieht der RefE keine Anwendung der eRechnung auf Kleinbetragsrechnungen und Fahrausweise vor.
  • Einführung einer Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen, die sich eng an die bisherige Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen anlehnt, insbesondere §§ 138l bis 138n AO-E.
  • Einführung eindeutiger Regelungen zur Teilnahme an internationalen Risikobewertungsverfahren, wie sie bei OECD (ICAP) und EU (ETACA) bereits bestehen (§ 89b AO-E).
  • Umsetzung der Vorgaben der EU-Amtshilferichtlinie zu Joint Audits, §§ 12 „Gleichzeitige Prüfung“ und 12a „Gemeinsame Prüfung“ EU-Amtshilfegesetz.
  • Vereinfachung des Meldeverfahrens für Kassen, § 146a Abs. 4 AO-E.
  • Arbeitnehmerbesteuerung, u.a: Anhebung der Pauschalbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen auf 15 bzw. 30 Euro, § 9 Abs. 4a Satz 3 EStG-E und Anhebung des Freibetrags für Zuwendungen an Arbeitnehmer bei Betriebsveranstaltungen auf 150 Euro, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG-E.
  • Erhöhung der Freigrenze für private Veräußerungsgeschäfte von 600 auf 1.000 Euro, § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG-E.
  • Aufhebung der Besteuerung der Soforthilfe Dezember (Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz – EWSG).

Anders als in den vergangenen Monaten diskutiert, enthält der Entwurf dagegen keine Einführung einer Liste von Staaten, die aus deutscher Sicht zuzüglich zu den Staaten auf der EU-Blacklist als Steueroasen zu qualifizieren sind. Auch Maßnahmen gegen sog. Gewerbesteueroasen sind nicht enthalten.

Derzeit ist offen, ob der Referentenentwurf in der vorliegenden Form innerhalb der Bundesregierung abgestimmt ist oder ob noch mit Änderungen zu rechnen ist. Unabhängig davon plant das BMF Mitte August die Kabinettsbefassung über einen Regierungsentwurf. Bis Jahresende 2023 soll das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. 

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