BFH zur Entstehung der Kapitalertragsteuer bei fehlender Bescheinigung des Einlagekontos

Der BFH äußert sich zur Nacherhebung der Kapitalertragsteuer für eine offene Gewinnausschüttung in Fällen, in denen auf Grund von § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG eine bescheinigte Einlagenrückgewähr in Höhe von 0 Euro fingiert wird. Er entscheidet dazu, dass die Kapitalertragsteuer und die damit verbundenen kapitalertragsteuerlichen Pflichten bereits mit Zufluss der Ausschüttung entstehen. 

Bezüge von einer Kapitalgesellschaft gehören wegen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht zu den Einnahmen, soweit für sie Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG verwendet wurden. Ob ein Bezug danach als nicht steuerbare Einlagenrückgewähr qualifiziert wird, hängt neben dem Fehlen eines ausschüttbaren Gewinns (§ 27 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 KStG) davon ab, dass die Kapitalgesellschaft die ihr in § 27 KStG auferlegten Pflichten erfüllt. Zu diesen Pflichten gehört nach § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG das rechtzeitige Erstellen einer Bescheinigung über die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos durch die ausschüttende Kapitalgesellschaft. Wird keine Bescheinigung erteilt, gilt nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG mit der Bekanntgabe des gesonderten Feststellungsbescheids der Betrag einer Einlagenrückgewähr als mit 0 Euro bescheinigt. Eine spätere Erteilung oder Berichtigung ist nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG nicht zulässig.

Im Urteilsfall wurde eine Ausschüttung aus der Kapitalrücklage vorgenommen, ohne dass eine Bescheinigung über die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG erteilt wurde. Die Klägerin hatte weder die Kapitalertragsteuer noch den Solidaritätszuschlag einbehalten und abgeführt. In der Körperschaftsteuererklärung unterblieb ein Hinweis auf die Ausschüttung, so dass das Finanzamt das steuerliche Einlagekonto erklärungsgemäß mit den Werten des Vorjahres feststellte. Später reichte die Klägerin eine geänderte Feststellungserklärung verbunden mit dem Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheids ein. Das Finanzamt lehnte dies ab und setzte per Nachforderungsbescheid Kapitalertragsteuer gegen die Gesellschaft als Entrichtungsschuldnerin fest. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit der Argumentation, dass die Kapitalerträge gemäß § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG erst mit Bekanntgabe des Feststellungsbescheids fingiert würden und ein Steuerabzug im Zuflusszeitpunkt mangels Entstehung der Kapitalertragsteuer ihrer Auffassung nach nicht zulässig gewesen sei.

Mit Urteil vom 17.05.2022 (VIII R 14/18) äußerte sich der BFH erstmals zum Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer und den damit verbundenen kapitalertragsteuerlichen Pflichten bei fehlender Bescheinigung über die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos. Dabei entschied der BFH, dass die Kapitalertragsteuer nicht erst mit der Bekanntgabe des gesonderten Feststellungsbescheids für das Einlagekonto (als das die Fiktion nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG auslösende Ereignis), sondern rückwirkend bereits mit dem Zufluss der Ausschüttung entsteht. Die Fiktion einer bescheinigten Einlagenrückgewähr von 0 Euro überlagert damit bereits im Ausschüttungszeitpunkt die materiell-rechtliche Prüfung der Einlagenrückgewähr anhand der Verwendungsrechnung i.S.d. § 27 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 KStG. Da im Zeitpunkt des erstmaligen Feststellungsbescheids die erforderliche Bescheinigung gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG nicht vorlag, handelt es sich für den BFH nach der gesetzlichen Fiktion um eine reguläre Gewinnausschüttung, die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegt. Die damit verbundenen kapitalertragsteuerlichen Pflichten der steuerentrichtungspflichtigen Kapitalgesellschaft greifen dabei nach Auffassung des BFH nicht erst durch das die Fiktion auslösende Ereignis, sondern zeitlich bereits mit dem Zufluss der Ausschüttung.

Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.

Direkt zum BFH-Urteil kommen Sie hier.

 

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