Ausgangssituation und aktuelle Entwicklungen
Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (im Folgenden: Vereinigtes Königreich) hat am 31.01.2020 die EU verlassen. Vom 01.02. bis zum 31.12.2020 lief eine befristete Übergangsphase, in der das Vereinigte Königreich weiterhin wie ein EU-Mitglied behandelt wurde (Art. 126 und 127 sowie 185 des Austrittsabkommens [ABl. C 384 I vom 12.11.2019, S. 1 ff.]). Parallel dazu haben die EU und das Vereinigte Königreich an einem Abkommen als Grundlage für die gegenseitigen Beziehungen nach Ablauf der Übergangsphase gearbeitet. Am 31.12.2020 wurde schließlich das „Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits“ im Amtsblatt der EU (L 144/14) veröffentlicht, das am 01.01.2021 zunächst vorläufig in Kraft getreten ist. Damit das Abkommen endgültig in Kraft treten kann, ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich.
Handlungsbedarf
Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die Rechnungslegung (§§ 264 Abs. 3, 264b, 291 HGB)?
a) Auswirkungen auf Abschlussstichtage eines in Deutschland ansässigen Tochterunternehmens eines britischen Mutterunternehmens bis einschließlich 31.12.2020
Da das Vereinigte Königreich bis einschließlich 31.12.2020 als EU-Mitglied zu behandeln war, können sich in Deutschland ansässige Tochterunternehmen von Mutterunternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich durch Einbeziehung in den Konzernabschluss und Konzernlagebericht des britischen Mutterunternehmens für das Geschäftsjahr 2020
- von Aufstellungs-, Prüfungs- und/oder Offenlegungspflichten in Bezug auf deren Jahresabschluss und/oder Lagebericht gem. §§ 264 Abs. 3, 264b HGB,
- von der Erweiterung ihres Lageberichts um eine nichtfinanzielle Erklärung gem. § 289b Abs. 2 HGB und
- von der Pflicht zur Teilkonzernrechnungslegung gem. § 291 HGB
befreien lassen.
Nach Auffassung des HFA und des FAB beim Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) (siehe IDW Life 2020, S. 1034) erfüllen solche Konzernabschlüsse und lageberichte von Mutterunternehmen mit satzungsmäßigem Sitz im Vereinigten Königreich die Voraussetzungen der §§ 264 Abs. 3, 264b, 289b Abs. 2 und 291 HGB, die auf Stichtage bis einschließlich 31.12.2020 aufgestellt werden, weil zu solchen Stichtagen das Vereinigte Königreich noch als EU-Mitgliedstaat galt (oder sogar noch ein solcher war). Der befreienden Wirkung steht nicht entgegen, wenn die Prüfung dieser Konzernabschlüsse und lageberichte (durch einen britischen Wirtschaftsprüfer oder eine britische Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) erst nach Ablauf der Übergangsphase abgeschlossen wird. Obgleich britische Wirtschaftsprüfer und britische Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ab dem 01.01.2021 nicht mehr zugelassene Abschlussprüfer bzw. Prüfungsgesellschaften i. S. d. Art. 3 Abs. 1 der EU-Abschlussprüferrichtlinie (2006/43/EG) sind, sind durch sie durchgeführte Prüfungen der o. g. Abschlüsse nach Auffassung des HFA und des FAB (noch) als materiell „im Einklang mit" der EU-Abschlussprüferrichtlinie stehend anzusehen (Voraussetzung nach § 264 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b, § 264b Nr. 2 bzw. § 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 HGB). Es ist derzeit nicht bekannt, dass das Vereinigte Königreich sein die Abschlussprüfung regelndes nationales Recht bereits mit Wirkung zum 01.01.2021 wesentlich geändert hätte und insoweit das Einklangerfordernis doch nicht erfüllt wäre.
Fazit: In Deutschland ansässige Tochterunternehmen können also für ihren Jahresabschluss und ihren Lagebericht bis einschließlich zum 31.12.2020 noch die Erleichterungen der §§ 264 Abs. 3, 264b HGB in Anspruch nehmen, sofern dieser Jahresabschluss und Lagebericht in einen bis einschließlich 31.12.2020 aufgestellten Konzernabschluss und lagebericht eines britischen Mutterunternehmens einbezogen werden und auch alle weitere Voraussetzungen der §§ 264 Abs. 3, 264b HGB erfüllt sind. Auch eine Befreiung von der Teilkonzernrechnungslegungspflicht des in Deutschland ansässigen Tochterunternehmens ist mit vorstehendem Konzernabschluss und Konzernlagebericht möglich, sofern alle weiteren Voraussetzungen des § 291 HGB erfüllt sind.
b) Auswirkungen auf Abschlussstichtage eines in Deutschland ansässigen Tochterunternehmens eines britischen Mutterunternehmens nach dem 31.12.2020
Seit 01.01.2021 ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU und gilt auch nicht länger als solches. Auch ist das Vereinigte Königreich bislang nicht dem Abkommen über den EWR beigetreten. Folglich können in Deutschland ansässige Tochterunternehmen von Mutterunternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich für Jahresabschlüsse und Lageberichte, deren Stichtag nach dem 31.12.2020 liegt, die Erleichterungen der §§ 264 Abs. 3, 264b HGB nicht mehr in Anspruch nehmen. Insoweit fehlt es an einem Mutterunternehmen mit Sitz in der EU oder im EWR. Aus demselben Grund ist auch der Anwendungsbereich des § 291 HGB nicht mehr eröffnet.
Eine Befreiung von der Teilkonzernrechnungslegungspflicht ist indes weiterhin möglich, sofern sämtliche Voraussetzungen des § 292 HGB erfüllt werden. Konzernabschlüsse und lageberichte britischer Mutterunternehmen, die in der Vergangenheit die Voraussetzungen des § 291 HGB erfüllt haben, dürften dies unter sonst gleichen Voraussetzungen auch nach § 292 HGB tun. Erleichternd kommt hinzu, dass § 292 HGB – abweichend zu § 291 HGB – nur eine Prüfung des befreienden Konzernabschlusses, nicht aber des befreienden Konzernlageberichts verlangt. Umgekehrt hindert ein Versagungsvermerk zu einem Konzernabschluss eines Mutterunternehmens aus einem Drittstaat – anders als nach dem Wortlaut des § 291 Abs. 1 Satz 1 HGB – die Befreiung gem. § 292 HGB.
KPH/ASU