Gerichte entscheiden zu Tarifspaltung in der Ersatz- und Grundversorgung

Die Energiepreise steigen weiterhin an, aktuell auch nochmals befeuert durch den Krieg in der Ukraine. Zuletzt hatten die hohen Energiepreise zu Kündigungen und Insolvenzen bei verschiedenen Strom- und Gaslieferanten geführt. Die durch sie versorgten Kunden fielen nach § 38 EnWG in die Ersatz- und anschließend Grundversorgung. Die Ersatz- und Grundversorgung gehören zu den Pflichten der örtlichen Grundversorgungsunternehmen.

Die Grundversorger konnten ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die neuen Kunden mit Strom und Gas zu beliefern, nur durch eine Nachbeschaffung der entsprechenden Energiemengen erfüllen. Dies führte zu erheblichen Mehrkosten. Um diese Mehrkosten nicht auf ihre Bestandskunden zu schlüsseln, haben viele Grundversorger gesonderte Tarife für Neukunden entwickelt. Die Preise dieser Neukunden-Tarife liegen zum Teil signifikant über den Allgemeinen Preisen der Grund- und Ersatzversorgung, die für die bereits bestehenden Lieferverhältnissen gelten. 

Streit über die Zulässigkeit verschiedener Tarife in der Grund- und Ersatzversorgung 

Über die Frage, ob die verschiedenen Tarife in der Grund- und Ersatzversorgung für Bestands- und Neukunden rechtlich zulässig ist, ist schon früh ein Streit entstanden. Während insbesondere die Verbraucherzentralen sich gegen eine Zulässigkeit aussprechen und Abmahnungen gegenüber einzelnen Grundversorgern ausgesprochen haben, bewerten Branchenverbände und die Landeskartellbehörde NRW die unterschiedlichen allgemeinen Preise als „weder energierechtlich noch kartellrechtlich zu beanstanden“ (Landeskartellbehörde NRW). 

Aktuelle Rechtsprechung 

Mittlerweile haben sich auch bereits mehrere Gerichte zu der Frage positioniert.  
Den Anfang machte das LG Berlin am 25. Januar 2022 (Az. 92 O 1/22 Kart) und entschied, dass sich das Preisniveau in der gegenwärtigen Situation eines Ende 2021 sprunghaft angestiegenen Einkaufspreises nicht aufgrund strategischer Entscheidung bestimme, sondern danach, in welchem Umfang dem Unternehmen durch „Hedging“ Gaskontingente zu niedrigeren Preisen zur Verfügung stünden. Die Grundversorger hätten mit den unterschiedlichen Preisen auch keinen Kartellrechtsverstoß begangen, weil sie bereits nicht per se eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Missbrauchs nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 18 GWB innehätten. 

Die gegenteilige Auffassung wird vom LG Mannheim vertreten. Dieses entschied am 23. Februar 2022 (Az. 22 O 3/22 Kart), dass ein Grundversorger durch die Forderung höherer Preise für Neukunden in der Grund- und Ersatzversorgung seine marktbeherrschende Stellung missbrauche. Auch das LG Frankfurt a.M. hat sich gegen die Zulässigkeit unterschiedlicher Preisen ausgesprochen, auf eine Begründung seines Beschlusses vom 14. Februar 2022 (Az. 3-06 O 6/22) jedoch verzichtet. 

Das LG Köln hat sich wiederum klar zugunsten des Vorgehens der Grundversorger bekannt (Beschluss vom 8. Februar 2022, Az. 31 O 14/22). Eine Preisdifferenzierung abhängig vom Datum des Vertragsschluss stelle laut LG Köln keine unzulässige Preisspaltung dar, weil dem Gebot der Gleichpreisigkeit kein allgemeines Diskriminierungsverbot zu entnehmen sei. § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG verpflichte zwar den Grundversorger dazu, „jeden Haushaltskunden“ zu den allgemeinen Preisen und Bedingungen zu versorgen – „jeden“ bringt aber lediglich zum Ausdruck, dass der begünstigte Haushaltskunde gegenüber dem Grundversorger einen Anspruch auf Abschluss des Grundversorgungsvertrags zu den vom Grundversorger bekanntgegebenen Allgemeinen Bedingungen und Preisen habe. Selbst wenn man davon ausginge, dass § 36 EnWG ein Verbot der Ungleichbehandlung statuiere, müssten neben den Interessen der Haushaltskunden auch die schützenswerten Interessen der Grundversorger berücksichtigt werden. Während der Grundversorger kein abstraktes Leistungsverweigerungsrecht aus wirtschaftlichen Gründen habe, könne der Neukunde innerhalb von zwei Wochen die Ersatzversorgung kündigen. Vor diesem Hintergrund sei die Ausgestaltung insgesamt interessengerecht. 

Die Entscheidung des LG Köln wurde am 2. März 2022 vom OLG Köln (Az. 6 W 10/22) bestätigt, welches entschied, dass das Vorgehen des Grundversorgers, vorübergehend gesplittete Neukundentarife einzuführen, zulässig ist. 

Weitere Entscheidungen zugunsten der Grundversorger ergingen u.a. vom LG Leipzig (Beschluss vom 1. Februar 2022, Az. 01 HK o 167/22 EV)und vom LG Dortmund (Beschluss vom 2. März 2022, Az. 10 O 11/22). 

Zukünftige Berücksichtigung im Energiewirtschaftsgesetz? 

Die offene Frage über die Zulässigkeit könnte zukünftig über eine Änderung des EnWG geklärt werden. Jedenfalls hat der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen, über eine Gesetzesänderung die Grund- und Ersatzversorgung neu zu regeln. 

Schadensersatzforderungen gegen Energiediscounter 

Ausgangspunkt der derzeitigen Situation waren die Kündigungen und Insolvenzen der Energiediscounter. Daher sollen diese jetzt auch in die Verantwortung genommen werden.  
Laut der Verbraucherzentrale NRW haben sich die Energiediscounter für einen bestimmten Zeitraum zu der Belieferung mit Energie vertraglich verpflichtet. Hält ein Energiediscounter seine vertragliche Verpflichtung nicht ein, indem er die Belieferung einstellt und auch nicht wirksam kündigt, liege eine Vertragspflichtverletzung vor, so die Verbraucherzentrale NRW. Die Verbraucherzentrale Hessen sammelt bereits Kläger für eine Musterfeststellungsklage gegen einen Energiediscounter.  
 
Autor:innen: RA Dr. Boris Scholtka, RA Katharina Rath